LeserInnenbriefe

Nr. 42 –

Diskussionsbedarf

«Gewissenskontrolle: Der Nationalrat und der unsichtbare Dritte», WOZ Nr. 41/2017

Fabian Ludwig vom Psychoanalytischen Seminar Zürich erklärt die den Holocaust verharmlosende Rede Jonas Frickers, die Schlachtviehtransporte seien schlimmer als die Transporte von Juden in die Nazi-Vernichtungsmaschinerie, als «Anschein» von Antisemitismus. Weil Fricker kein ausgebuffter Antisemit ist, als ob dies eine Voraussetzung wäre, um antisemitisch zu handeln. Zudem hat nicht die von Ludwig genannte «jüdische Gemeinschaft», sondern nur der israelitische Gemeindebund SIG – als Verbund eines Teils der Jüdischen Gemeinden – Frickers Entschuldigung zu seiner antisemitischen Rede angenommen – und offensichtlich vorschnell die Sache als «erledigt» deklariert. Denn sowohl Ludwig als auch Fricker mit seiner inhaltslosen Entschuldigung haben keinerlei Vorstellung und Empathie, wie die antisemitische Rede im Nationalrat auf Menschen wirkt, die im Holocaust viele Verwandte verloren haben. Nicht zuletzt wegen der Schweizer Rückweisungspolitik an den Grenzen und der in der Schweizer Psychiatrie entwickelten Eugenik.

Die letzte grosse Debatte über den Holocaust und die Rolle der Schweiz ist mit zwanzig Jahren offensichtlich schon viel zu lange her. So schnell als möglich und im grossen Stil müssen deshalb der Holocaust und seine unterschiedlichen Opfergruppen mit seinen Wurzeln im «christlichen Abendland» in den Schulen, Universitäten, Kirchen, also in allen Institutionen diskutiert werden. Dafür müssen sich die grünen und linken Kräfte inklusive WOZ und kritische PsychoanalytikerInnen einsetzen, anstatt dass die antisemitische Tat Frickers verharmlost wird und implizit seine aktiven KritikerInnen angeprangert werden.

Guy Bollag, Zürich

Nachdenken!

«Holocaustvergleiche: Frickers Totalausfall ist nicht einfach dem Zufall geschuldet», WOZ Nr. 40/2017

Der Kommentar von Sarah Schmalz zur «Affäre Fricker» dürfte differenzierter sein. Festzuhalten ist, dass der Bezug zum Holocaust inakzeptabel ist und einer überzeugten und ernst zu nehmenden Entschuldigung bedurfte, die ja bereits geleistet worden war. Der Artikel trägt hingegen nichts dazu bei, das Verständnis darüber zu vertiefen, wie es dazu kommen konnte, dass jemand – dem auch Schmalz attestiert, kein brauner Holocaustleugner zu sein – einen unangemessenen Vergleich anstellt. Bestürzend beschwingt wird dazu übergegangen, die eigene Klarheit und das eigene überlegene Verständnis zum Ausdruck zu bringen, um dann in pauschalisierende Argumente über den angeblich auf braunem Boden gewachsenen Tierschutz zu verfallen und das Verbot des Vergleichens zu zementieren (Jo Lang). Dabei wollen wir ja gerade vermeiden, dass etwa der Begriff des «Totalausfalls» auf das Parlament oder gar die Schweiz pauschalisiert würde.

Dass Erwin Kesslers Hervorhebung des Schächtens ein Angriff auf das Judentum ist, zeigt sich auch darin, dass es kein Schutz für Tiere ist und das christlich-atheistische Schlachten nicht gleicherweise bezichtigt. So hat es auch Alice Schwarzer auf das muslimisch-rituelle Töten von Schafen abgesehen. Es würde also grundsätzlich darum gehen, rassistische Argumente als strategische Waffen gegen bestimmte Gemeinschaften zu identifizieren und in aller Schärfe zu kritisieren. Doch Schmalz verschiebt die Argumentation lieber auf das Terrain der Zoologie, um gegen das «Ausradieren» von Unterschieden zwischen Menschen und Tieren zu weibeln. Vergleiche zwischen Menschen und Tieren stellen wir andauernd an, und nicht in beleidigender Absicht noch mit für Menschen beleidigender Wirkung, ganz im Gegenteil. Seit Flüchtende begannen, die Balkanroute in den Westen und Norden zu nehmen, lesen und hören wir fast täglich in den Medien, sie würden «wie Tiere» behandelt. Und es sind nicht die GegnerInnen von Flüchtenden und AusländerInnen, die sich des Vergleichs bedienen, sondern ihre Unterstützerinnen und Verteidiger, und unzählige Flüchtende haben ihn selbst benutzt, um auf ihre Erniedrigung hinzuweisen. Und niemand hält diesen Vergleich für beleidigend, sondern die Behandlung.

Warum Vergleiche zwischen der Behandlung von Menschen und Tieren im einen Fall als rechtschaffene Anprangerung politischen Handelns und im anderen als unakzeptable Beleidigung für Menschen funktionieren, ist eine Geschichte, über die nachzudenken sich lohnen würde.

Susanne Kappeler, per E-Mail

Einerseits verstehe ich Ihre Darlegung im Artikel völlig. Es ist beängstigend und nicht tolerierbar, wenn die Gräueltaten des Holocaust bagatellisiert werden. Und wie Sie im Artikel schreiben, kann es nicht sein, das JüdInnen immer wieder für die Anerkennung des Holocaust kämpfen müssen. Da gehe ich mit Ihrer Haltung einig. Ich denke, Sie wollen mit diesem Artikel vor allem aufzeigen, dass solche Vergleiche schlichtweg falsch sind und sie teilweise auch berechnend eingesetzt werden.

Ich habe aber das Gefühl, dass Sie die unhaltbaren Taten, die wir Menschen den Tieren antun, bagatellisieren. Mir ist auch klar, dass Sie in einem kurzen Artikel nicht alles berücksichtigen können. Aber in mir kam das Gefühl auf, dass Sie das Tierleid nicht wirklich beachten. Unsere Gesellschaft beutet Tiere aus, wortwörtlich werden sie ausgeschlachtet, um möglichst viel Profit aus ihnen zu schlagen. Wir halten Tiere unter Bedingungen, die wir für Menschen als völlig inakzeptabel ansehen. Warum ist es bei Tieren okay? Warum stört sich der grösste Teil der Bevölkerung nicht daran? Ich finde das extrem stossend. Ich bin der Meinung, dass Tiere den gleichen Wert haben beziehungsweise haben sollten wie Menschen. Ich sehe in Tieren ebenbürtige Wesen. Mir ist durch den Artikel klar geworden, dass der Holocaustvergleich hier sehr schwierig zu machen ist beziehungsweise nicht gemacht werden sollte.

Ich würde mir aber von der WOZ wünschen, mal (wieder?) einen Artikel zu unserem Umgang mit Tieren zu lesen.

Corinne Gerber, per E-Mail