Südafrika: Das teure Erbe der Apartheid

Nr. 46 –

Das demokratische Südafrika musste gigantische Schulden übernehmen, die das Apartheidregime zur Umgehung der internationalen Sanktionen verursacht hatte.

Neue Recherchen erhellen die Frage, warum 1996 die demokratisch gewählte Regierung ihr linkssozialdemokratisch inspiriertes Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramm aufgab und einen Wirtschaftskurs einschlug, den Gewerkschaften und Linke als neoliberale Wende hart kritisierten. Im Juni 2004 verteidigte Tito T. Mboweni, Direktor der südafrikanischen Notenbank (South African Reserve Bank SARB), in einer Rede vor dem Black Management Forum die ab 1996 verfolgte Wirtschaftspolitik und fügte den bemerkenswerten Satz an, man müsse fairerweise einräumen, dass die Übergangsregierung nur die «Spitze eines grossen Eisberges» der Zahlungsbilanzschwierigkeiten gesehen habe.

Was war Mboweni als ANC-Vertreter in der Finanzkommission der Übergangsregierung verborgen geblieben? Kurz vor den ersten demokratischen Wahlen im März 1994 besass das Land laut Statistik noch Währungsreserven, die für zwei Wochen Warenimporte ausreichten. Doch in Tat und Wahrheit waren die Währungsreserven katastrophal negativ. Das war den veröffentlichten Statistiken allerdings nicht anzusehen und vermutlich der damaligen Übergangsregierung nicht bekannt. Insgesamt bestanden Verpflichtungen gegenüber dem Ausland von mehr als achtzehn Milliarden US-Dollar (damals 26 Milliarden Schweizer Franken) in Form von Terminverträgen (vgl. Kasten «Glossar»), die nicht durch Währungsreserven abgedeckt waren. Trotz der 1985 verhängten internationalen Finanzsanktionen war es der südafrikanischen Notenbank in den letzten Jahren des Apartheidregimes mit Terminverträgen gelungen, insgesamt fast zwanzig Milliarden Dollar (damals fast 29 Milliarden Franken) aufzutreiben.

Dass die Notenbank Termingeschäfte gemacht hatte, war bekannt. Doch ihr Umfang wurde weit unterschätzt. Einen Monat vor den ersten demokratischen Wahlen hatte das Land eine negative Liquidität an ausländischen Währungen, die dem Wert von rund sieben Monaten Einnahmen des Landes aus Warenexporten (inklusive Gold) entsprachen.

Das dürfte nur wenigen Insidern bekannt gewesen sein, sonst hätte sich das tatsächliche Ausmass der Finanzkrise des Apartheidregimes nicht mehr vertuschen lassen. Wie Mboweni später erklärte, hatten «die Märkte» in den letzten Jahren der Apartheid nicht gemerkt, dass Südafrika permanent am Rande einer Finanzkrise stand, wie sie in Südostasien ein paar Jahre später ausbrach. Unklar ist, ab welchem Zeitpunkt die Exponenten der neuen südafrikanischen Regierung von der Notenbank über die katastrophale Devisensituation informiert wurden.

Die Kosten für den Staat

Mitte 1989 dämmerte auch den renitentesten Wirtschaftsführern in Südafrika, dass das Apartheidregime keine Zukunft mehr haben würde. Zu diesem Zeitpunkt änderte das Regime vorsorglich das Statut der Notenbank und verankerte deren Unabhängigkeit gegenüber der Regierung. Zugleich wurde festgeschrieben, dass die Verluste aus den Termingeschäften auch in Zukunft auf die Regierung überschrieben werden. Später erwiesen sich vor allem langfristige Währungsabsicherungen als sehr verlustreich. Insgesamt übernahm der Staat in den letzten zehn Jahren der Apartheid schätzungsweise maximal sechzig Milliarden Rand (dies entsprach im Jahr 2003 mehr als zehn Milliarden Schweizer Franken) aus Verlustgeschäften. Erst 1997 beendete die Notenbank diese Dienstleistung an die Privatwirtschaft.

Seit 1994 musste die Regierung weitere Währungsverluste von geschätzten sechzig Milliarden Rand (Wert 2003) aus dem Budget des jungen demokratischen Staats decken. Diese Summe entsprach 13,4 Prozent der Schulden der Zentralregierung vom März 2003. Die gesamten Währungsverluste in zwanzig Jahren dürften mehr als ein Viertel aller Schulden der Zentralregierung ausmachen. Man stelle sich vor, Südafrika wären für den Wohnungsbau für Arme von 1994 bis 2003 mehr als zehn Milliarden Franken zusätzliche Mittel zur Verfügung gestanden.

Wenn die International Apartheid Debt and Reparations Campaign von illegitimen Apartheidschulden spricht, muss sie auch diese rund 120 Milliarden Rand (zwanzig Milliarden Franken) auf den Staat übertragene Währungsverluste mitzählen.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Apartheidstaat vor seinem Ende die Löhne der vorwiegend weissen Staatsangestellten erhöhte und ihre Pensionsansprüche verbesserte. Die Pensionskasse der Staatsangestellten wechselte zu einem Kapitaldeckungsverfahren, damit wurde der Staat zum Grossschuldner der Pensionskassen.

In der Zwangsjacke

Die demokratische Regierung wollte die neu gewonnenen Möglichkeiten nutzen. Die Ausgabenkürzungen bei Armee und Polizei und der Zugang zum internationalen Kapitalmarkt sollten zur Entwicklung des Landes genutzt werden. Entgegen allen Erwartungen floss aber nur zögerlich Kapital ins Land. Ein Jahr nach den Wahlen lag die negative Liquidität auf einem neuen Tiefstand von minus 25,7 Milliarden Dollar. Danach versuchte die Notenbank, noch unter der Führung des «geerbten» Gouverneurs Chris Stals, mit hohen Zinssätzen ausländisches Kapital anzulocken. Doch die hohen Zinsen vernichteten Hunderttausende von Arbeitsplätzen. Zudem stiegen die ohnehin hohen Ausgaben für Schuldzinsen im Staatsbudget noch mehr an, und die neue Mittelschicht der Schwarzen, die sich mit Krediten Häuser und Autos gekauft hatte, verschuldete sich noch tiefer. Das Rezept funktionierte nicht.

Unter Mboweni, seit 1999 Gouverneur der Notenbank, wurden die Termingeschäfte zur Stützung des Rand reduziert, das sogenannte «Forward Book» - die Terminverpflichtungen - sollte allmählich liquidiert werden. Im Mai 2003 gelang es endlich, die negative Liquidität in eine positive umzuwandeln. Erst seither können Währungsreserven aufgebaut werden. Anfang 2004 wurde das «Forward Book» geschlossen, wobei Mboweni von einem historischen Ereignis sprach. Die Märkte sollten bitte zur Kenntnis nehmen, dass Südafrika nicht nur Oscars gewinnen, sondern auch seine Geschäftsbücher verantwortungsvoll in Ordnung bringen könne, sagte Mboweni sichtlich stolz.

Bis es so weit war, entstanden allerdings nochmals enorme Verluste für den Staat. Der grösste Teil der Währungsverluste nach der Apartheid fällt in die drei Jahre vor der endgültigen Liquidierung des «Forward Book». Angesichts der prekären Liquiditätslage gab es zudem ein ernsthaftes Vertrauensproblem für die neue Regierung und die Notenbank, was Südafrika Mühe bereitete, billige Anleihen auf dem Weltmarkt zu erhalten. Der Druck, sich mit einer Wirtschaftspolitik hervorzutun, die den Vorstellungen der internationalen Finanzwelt und des Währungsfonds (IWF) entsprachen, war gross, ebenso der Zwang zu einer trotz drängender sozialer Probleme und wachsender Arbeitslosigkeit übervorsichtigen Ausgabenpolitik. Dabei liegen sowohl die Staatsdefizite als auch die Staatsschuld in Südafrika tiefer, als es zum Beispiel die Maastricht-Kriterien der europäischen Wirtschaftsunion erlauben.

Nelson Mandela antwortete 2003 auf die Frage, worin er die grösste Herausforderung für den ANC sehe: «Wir hatten schöne Pläne, bevor wir die Wahlen 1994 gewannen. Aber dann entdeckten wir Tatsachen, die wir zuvor nicht gekannt hatten. Zum Beispiel hatten wir öffentliche Schulden von 254 Milliarden Rand, die wir mit fünfzig Milliarden Rand Zinsen pro Jahr bezahlten. Das lähmte praktisch alle unsere Pläne. Das ist das grösste Hindernis in diesem Land für den Fortschritt.»



Die Rolle der Schweizer Banken

Es ist nicht klar, welche ausländischen Banken an diesen höchst geheimen Terminverträgen beteiligt waren, die für ein paar Jahre die Hoffnung der weissen Elite schüren halfen, das Apartheidregime sei in der Lage, die Finanzsanktionen zu überleben, und über eine Demokratisierung Südafrikas müsse nicht zwingend verhandelt werden.

Wegen der strikten Geheimhaltung waren wohl nur wenige Banken beteiligt. Die Schweizer Grossbanken waren schon in den siebziger Jahren eine wichtige Drehscheibe für den Goldhandel mit Südafrika. Die Goldimportstatistiken legen nahe, dass Bankgesellschaft, Bankverein (inzwischen zur UBS fusioniert) und Kreditanstalt (Credit Suisse) auch bei Termingeschäften eine massgebliche Rolle spielten.

Kurz nach der Wahl der Regierung Mandela stellten ihr die britische Barclays Bank, die Schweizerische Bankgesellschaft und eine deutsche Grossbank ein hochkarätiges Beratergremium zur Verfügung, obwohl bereits der Internationale Währungsfond und die Weltbank das Gleiche taten. Die Annahme liegt nahe, dass diese drei Grossbanken sich nicht zuletzt wegen der politisch und ökonomisch überaus heiklen Terminverträge Sorgen machten und halfen, die Sache mit viel Diskretion und ohne Finanzkrisen abzuwickeln.

Glossar

Rand: Die südafrikanische Währung heisst seit 1961 Rand (davor: südafrikanisches Pfund). Bis 1982 war 1 US-Dollar weniger als 1 Rand wert, 1985 kostete 1 Dollar rund 2 Rand, am 1. März 1994 entsprach 1 Dollar 3,46 Rand, am 20. Dezember 2001 13,6 Rand. Seit 2003 schwankt der Kurs um 7 Rand pro Dollar.

«Forward Book»: Das von der südafrikanischen Notenbank geführte Verzeichnis aller mit ausländischen Gläubigern abgeschlossenen Termingeschäfte und die damit verbundenen Verpflichtungen.

Termingeschäfte: Die südafrikanische Notenbank organisierte zum Beispiel Dollar, indem sie bei einer Schweizer Grossbank Gold auslieh und gegen Dollar auf dem Markt verkaufte. Dieses Gold zahlte sie später zu einem vereinbarten Dollarpreis (plus Zins) oder in Form von Gold zurück, das sie vom südafrikanischen Bergbau bezog und ohnehin an die Schweizer Grossbanken verkaufte (Goldswap). Diese Dollars brauchte die Reservebank vorzeitig, um sie südafrikanischen Geschäftsleuten oder der Regierung zum aktuellen Randwert zu leihen, die die Dollar sofort für Auslandsgeschäfte oder Schuldendienste brauchten. Die Notenbank musste den südafrikanischen Goldproduzenten die Randsumme zurückbezahlen, die dem Rand-Dollar-Kurs zum Zeitpunkt des Goldexports entsprach. Es ging also darum, dass ein Dollarkredit auf einen zukünftigen Dollarertrag - meist aus Exporten - aufgenommen wurde. Falls sich inzwischen der Randwert - was fast immer der Fall war - weiter verschlechtert hatte, entstand für die Notenbank ein Verlust, der dem Staat überschrieben wurde. Andere Verluste entstanden dadurch, dass die Notenbank den Importeuren zusicherte, dass sie später die Dollars, die sie zur Bezahlung der bestellten ausländischen Waren brauchten, zu einem festen Randkurs von der Notenbank beziehen konnten, auch wenn der Randkurs gesunken war.

Dieser Text erscheint gleichzeitig in der aktuellen Ausgabe «Finanzplatz Information» der Aktion Finanzplatz. Bearbeitung durch die WOZ-Redaktion.

Texte zur Beziehung der Schweizer Banken zu Südafrika finden sich unter www.apartheid-reparations.ch und www.aktionfinanzplatz.ch. Eine Studie von Mascha Madörin, «Hedging Apartheid», auf der dieser Artikel zum Teil beruht, ist ab Dezember 2006 auf www.apartheid-reparations.ch zu finden.