Firmenboykott: Erstes Opfer: Coca-Cola
Zwei Aktivisten wollen Grossunternehmen mit den eigenen Waffen schlagen: der Spekulation.
Während der Industrialisierung in England setzte sich sozialer Protest in Form der «Rough Music» durch. Wenn etwa der Bäcker ein Brot, das weniger wog, als es angeschrieben war, verkaufte, zogen die Menschen vor seinen Laden und machten lauten Lärm mit Pfannendeckeln und anderen Instrumenten, was allen kundtat: Der Bäcker betrügt uns! Kauft nicht mehr bei ihm!
Heute, im Zeitalter der Globalisierung, muss nach neuen Möglichkeiten des Protestes gesucht werden. Demonstrationen vor den Niederlassungen der einzelnen Unternehmen schlagen aber kaum bis zur Zentrale durch. Dafür gibt es heute das Internet, das globalisiert Lärm verbreiten kann.
Lärm wirkt dann, wenn er die Börsenkurse in Bewegung setzt. Genau hier, glaubt der amerikanische Umweltaktivist und Ex-Wallstreet-Banker Max Keiser, muss der Hebel angesetzt werden. Keiser, der bereits vor einigen Jahren die unternehmenskritische Plattform Karmabanque.com lancierte, hat sich nun mit Zac Goldsmith, Herausgeber des englischen Umweltmagazins «The Ecologist», zur Gründung eines Hedge Fund (s. ganz unten) zusammengetan. Goldsmith ist der Sohn des gefürchteten Börsenspekulanten James Goldsmith und verfügt über ein Vermögen von über 500 Millionen Dollar.
Mit Hilfe des Fund wollen die Aktivisten Unternehmen, die sich gegenüber der Umwelt oder den Menschen schädlich verhalten haben, büssen, indem sie deren Aktienkurse unter Druck setzen. Keiser zeigt sich überzeugt, dass er den globalisierungskritischen AktivistInnen mit seiner Finanzkonstruktion ein Werkzeug gibt, das die internationalen Konzerne mit ihren eigenen Waffen schlägt: der Spekulation.
Anfällig auf Druck?
Als erstes grosses Opfer haben sich Keiser und Goldsmith Coca-Cola ausgesucht. Coca-Cola habe ein langes Sündenregister vorzuweisen, argumentieren sie: In Südamerika beschäftige Coke Söldner, um Streiks niederzuknüppeln und Gewerkschaftsführer zu foltern und zu töten. In Indien pumpe das Unternehmen den Bauern das Grundwasser weg und versorge diese mit Krebs erregenden Düngemitteln. Und in den USA sei Coca-Cola wegen rassistischen Verhaltens gebüsst worden. Börsenspezifische Besonderheiten machen die Coca-Cola-Aktie anfällig auf äusseren Druck: Coke verkauft im Jahr für über zwanzig Milliarden Dollar, vor allem das Getränk Coca-Cola. Die Marktkapitalisierung von Coke, also der Wert, den alle Aktien von Coke insgesamt haben, beträgt über 100 Milliarden Dollar. Das Verhältnis von Marktkapitalisierung und Umsatz liegt bei fünf zu eins, das bedeutet: Jedes Glas Coca-Cola im Wert von 50 US-Cent, das weniger getrunken wird, führt zu einem Verlust bei der Börsenkapitalisierung von 2.50 Dollar, da die Marktkapitalisierung ja direkt vom Umsatz und dem damit verbundenen Gewinn abhängt. Mit anderen Worten: Eine Veränderung des Umsatzes wirkt sich um das Fünffache auf den Börsenwert des Unternehmens aus. Und wenn nun viele plötzlich mit dem Cola-Trinken aufhörten, bricht die Börsenkapitalisierung - und somit der Wert jeder Coke-Aktie - entsprechend ein. Der Coke-Aktienkurs liegt heute etwa bei 41 Dollar. Ziel von Max Keiser ist es, in einem Jahr den Preis auf zwanzig Dollar zu drücken.
Auf der Suche nach Boykotteuren
Um das zu erreichen, gründeten Keiser und Goldsmith den Hedge Fund. Dieser nimmt Geld auf und verkauft Aktien von Coke, die er gar nicht besitzt (so genannte Leerverkäufe). Später, wenn der Kurs zurückgegangen ist, können die Aktien zu einem tieferen Preis wieder erworben werden - vorausgesetzt es gelingt, einen Boykott von Coke-Produkten breit umzusetzen und gleichzeitig tüchtig Aktien von Coke zu verkaufen.
Wer will, kann sich bei www.karmabanque.com als BoykotteurIn eintragen lassen. Zur Finanzierung des Fonds hat Karmabanque eine erste Einlage in der Höhe von über 100 000 Dollar vorgenommen. Zusätzlich haben sich Goldsmith und Keiser verpflichtet, pro 1000 neue BoykotteurInnen etwa 10 000 Dollar zur Sicherstellung weiterer Leerverkäufe zu investieren. Daneben kann man Anteile in der Höhe von 15 bis 70 000 Dollar zur Verfügung stellen. Das Geld, das Karmabanque aus diesen Spekulationen gewinnt, soll den lokalen Opfern von Coke sowie Organisationen wie Greenpeace oder Amnesty zur Verfügung gestellt werden. Das allenfalls gewonnene Kapital soll auch in lokale Banken, die an Bauern Kleinkredite vergeben, investiert werden. Für sich selbst beansprucht Karmabanque eine Kommission in der Höhe von zwei Prozent des angelegten Geldes.
Die Idee könnte Erfolg haben, wenn es gelingt, möglichst viele Spekulanten, andere Hedge Funds und kurzfristig orientierte Händler auf Coke anzusetzen und sie davon zu überzeugen, dass es genug Boykotteure gibt, um den Kurs zu beeinflussen. Keiser und Goldsmith benützen die Spekulanten gewissermassen als Hebel. Denn den Spekulanten selbst ist es gleichgültig, ob sich die Kurse nach oben oder nach unten bewegen, Hauptsache, sie bewegen sich und sie sitzen im richtigen Boot. Dann können sie Gewinne erzielen.
Zurzeit bewegen sich die Kurse aber wenig, was die Spekulanten nötigt, sich auf die Suche nach potenziellen Veränderungen zu machen. Und wenn sie glauben, dass sich die Kurse nach unten bewegen, dann verstärken sie die sinkenden Aktienkurse noch zusätzlich. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Immerhin hat eine der führenden Informationsdrehscheiben für Börsengeschäfte, die englische CBS, bereits die Gründung des Hedge Fund von Karmabanque angekündigt, was auch die Spekulanten auf die Absichten von Keiser und Goldsmith aufmerksam gemacht haben dürfte. Die Frage bleibt natürlich, ob sich genügend Cola-TrinkerInnen am Boykott beteiligen. Das würde eine breite Überzeugungsarbeit verschiedener Organisationen voraussetzen. Bis jetzt ist allerdings davon wenig zu spüren. Auch fragt sich, wie sich Coke zur Wehr setzt: Die Firma kann selbst oder über befreundete Finanzinstitute Stützkäufe vornehmen lassen. Eine weitere «Gefahr» wäre eine allgemeine Erholung der Börsenkurse, die aber aufgrund der bestehenden Instabilitäten des Dollars kaum eintreten wird. Grundsätzlich besteht natürlich immer die Gefahr, dass bei Leerverkäufen später zu einem viel höheren Preis zurückgekauft werden muss. Aber indem ein schrittweises Vorgehen geplant ist - ein erstes Kursziel könnte etwa der Fall des Börsenkurses von Cola von fünf Dollar sein -, können entsprechende Absicherungsstrategien vorgenommen werden.
Max Keiser glaubt, mit Hilfe seines Modells liessen sich breitere Bestrafungsaktionen gegen Unternehmen mit Sündenregister durchführen. Vorausgesetzt ist allerdings, dass dieser erste Probelauf gelingt. Dann würde sich die Branche genau auf dem Laufenden halten, was Karmabanque in Zukunft tut, und vielleicht bei einer nächsten Aktion - etwa gegen Exxon - mitmachen. Karmabanque ist der Versuch, Auswüchse der Marktwirtschaft mit den ihr innewohnenden Gesetzmässigkeiten einzudämmen. Grundsätzlichere Fragen des Einflusses der Politik auf den Markt bleiben dabei ausgeklammert. Trotzdem könnte Karmabanque neue politische Koalitionen schaffen und so auch neue Perspektiven eröffnen.
Hedge Funds
• Hedge Funds sind meist in Steueroasen residierende Fonds, die weitgehend frei von gesetzlichen Anlagerestriktionen und staatlicher Kontrolle in Wertpapiere aller Art investieren.
• Hedge Funds kennen praktisch keine Investitionsrichtlinien: Sie können etwa einen grossen Teil des Geldes für ein einziges Wertpapier ausgeben, das heisst, sie können stark konzentrierte Positionen eingehen. Sie können unterinvestieren, das heisst nicht alles Geld einsetzen, oder überinvestieren, das heisst mehr Geld einsetzen, als man hat.
• Hedge Funds können sich verschulden, Leerverkäufe tätigen (Wertpapiere verkaufen, die man nicht hat) und beliebig Derivate einsetzen.
• Hedge Funds haben deutlich höhere Spesen als traditionelle Fonds.