Softwarepatente: Der Kampf um die Wissensgesellschaft

Nr. 41 –

Die Materie ist abstrakt, doch die Bedeutung für die Gesellschaft im 21. Jahrhundert ist enorm: Sollen Computerprogramme patentierbar sein?

Der 6. Juli ist ein herausragendes Datum im diesjährigen politischen Kalender. An diesem Tag stimmte das Europäische Parlament mit 648 zu 14 Stimmen gegen die Richtlinie zur Patentierbarkeit «computerimplementierter Erfindungen» und verhinderte damit bis auf weiteres in der EU (und indirekt auch in der Schweiz) so genannte Softwarepatente. Dass über neunzig Prozent der ParlamentarierInnen an der Abstimmung teilnahmen, belegt, wie sehr dieses einst obskure Thema - die Erteilung eines temporären Monopols auf mathematische Formeln oder Programmabläufe - ins Zentrum der Wirtschaftspolitik gerückt ist.

Es ist aber nicht die hohe Stimmbeteiligung, die diese Abstimmung zum Ereignis macht: Hier konnte erstmals einer Entwicklung Einhalt geboten werden, durch die in den letzten zehn Jahren weltweit die Monopolisierung von Wissen und Kultur massiv erweitert und damit die Macht der Grosskonzerne, die nahezu alle relevanten Urheberrechte, Patente und Marken kontrollieren, gestärkt wurde. Dies ist nicht nur wichtig für die Entwicklung von Open-Source-Software, die durch Patentierbarkeit und die damit einhergehende Rechtsunsicherheit nahezu unmöglich gemacht worden wäre, sondern strahlt auch auf unzählige andere Arenen im Kampf um die Informationsordnung der Wissensgesellschaft aus - etwa auf die Auseinandersetzung um die Patentierung von Saatgut, um den Zugang zu teuren, patentgeschützten Medikamenten in Entwicklungsländern (und die explodierenden Gesundheitskosten bei uns) oder um die massenhafte Kriminalisierung von Menschen, die Musik in Filesharing-Netzwerken ohne kommerzielle Absicht austauschen.

Während jede dieser Auseinandersetzungen ihrer eigenen komplexen Dynamik folgt, sind sie doch miteinander verbunden, da sie sich jeweils auf dieselbe Grundfrage zurückführen lassen: Wie soll in der Informationsgesellschaft (zu der in knapp einem Monat in Tunis ein Uno-Gipfel stattfinden wird) die Produktion von Information, Wissen und Kultur geregelt werden? Immer deutlicher schälen sich hier zwei Positionen heraus, deren Gegensatz für das 21. Jahrhundert ähnlich folgenreich sein könnte, wie es die Auseinandersetzung zwischen Arbeit und Kapital für das 20. Jahrhundert war.

Auf der einen Seite stehen wesentliche Teile der Grossindustrie in den hoch entwickelten Ländern, die fordern, immaterielle Güter gleich wie materielle Güter zu behandeln. Das heisst, dass der Besitzer, der immer eindeutig feststellbar sein muss, das exklusive Recht hat, andere von der Nutzung seines Gutes auszuschliessen und den Gebrauch strikt zu regulieren. Ähnlich wie die Besitzerin eines Hauses das Monopolrecht an der Nutzung ihres Hauses geniesst, das auch die Möglichkeit des Leerstandes einschliesst, soll auch der Eigentümer einer Idee, einer Formulierung oder eines Bildes das Monopol zur weltweiten Nutzung dieses Titels geniessen. Dies wird in der Regel mit dem Schutz der Investitionen begründet, die notwendig seien, um eine schützbare Innovation zu schaffen. Mindestens ebenso wichtig ist aber die Möglichkeit, sich Marktmonopole (und die damit verbundenen Gewinne) zu sichern und unliebsame Konkurrenz fern zu halten, ohne deshalb in Konflikt mit dem Kartellrecht, welches diese Praktiken verhindern sollte, zu kommen.

Dem steht die Auffassung gegenüber, dass materielle und immaterielle Güter grundsätzlich verschieden seien und deshalb ganz anderen Regelmechanismen unterliegen sollen. Als Hauptunterschied wird angeführt, dass dank der Digitalisierung Informationen kostenfrei kopiert und weltweit verteilt werden können. Im Unterschied zu einem Haus, das nur von einer beschränkten Anzahl von Menschen genutzt werden kann, wird Information durch Nutzung nicht aufgebraucht, sondern kann allen interessierten Personen gleichermassen zur Verfügung gestellt werden, ohne dass irgendjemand deshalb weniger davon hätte.

Zusätzlich wird darauf hingewiesen, dass digitale Informationsproduktion in Wissenschaft und Kultur vielfach kumulativ ist. Das heisst, auf bestehendes Wissen wird nicht nur Bezug genommen, sondern dieses wird vielfach direkt in neues Wissen eingebaut, was einen schnelleren Entwicklungszyklus erlaubt. Das freie Betriebssystem Linux enthält immer noch den Softwarecode, der in den 1980er Jahren geschrieben wurde, andere Unix-Systeme enthalten Codes aus den sechziger Jahren. «Copy and paste», Sampling und Remixing sind Grundoperationen der digitalen Produktion; die direkte Inkorporation von Bestehendem in Neues ist Alltag. Es ist kein Zufall, dass heute mehr DJ-Sets als elektrische Gitarren verkauft werden. Die immer weiter gehende Monopolisierung von Wissen verhindert nicht nur den aktuellen Zugang dazu, sondern erlaubt auch den heutigen BesitzerInnen zu kontrollieren, wer das bestehende Wissen nutzen kann, um daraus in Zukunft neues schaffen.

Die Praxis der freien Software hat gezeigt, dass es möglich ist, komplexe Informationsgüter zu schaffen, ohne auf exklusive Besitzansprüche zu rekurrieren. Was hier in Entstehung begriffen ist, ist ein neues Paradigma der digitalen Produktion, das auf dem freien Zugang und der freien Veränderbarkeit der zentralen Wissensressourcen beruht. Davon inspiriert, gewinnen ähnliche Ideen auch auf anderen Gebieten an Boden, wie etwa die Diskussion um Zwangslizenzen für Aidsmedikamente zeigt.

Was bisher noch gefehlt hat, war ein politisches Subjekt, das diese Auffassung einer anderen Wissensordnung auch gegen den Widerstand der organisierten Interessen in den relevanten Foren durchsetzen konnte. Genau dies ist nun in der Auseinandersetzung um die Softwarepatente entstanden. Es bilden sich überraschende Koalitionen - Linke mit Kleingewerblern, technologiekritische Grüne mit technophilen Unternehmerinnen, und sogar die notorisch individualistischen und zerstrittenen freien Softwareprogrammierer haben sich gemeinsam nach Brüssel und Strassburg begeben. Unter dem Schlagwort Wissensallmend (information commons) formiert sich eine weltweite politische Bewegung, um eine offene Wissensordnung gegen die Kräfte der Schliessung und Monopolisierung durchzusetzen. Der 6. Juli 2005 markiert ihren ersten grossen politischen Sieg.

Softwarepatente sind allerdings nur eine von vielen Arenen, in denen diese beiden Visionen aufeinander prallen. Dieser Tage herrscht wieder Hochbetrieb bei der Weltorganisation für Intellektuelles Eigentum (WIPO) in Genf, und die Zeichen stehen auf Sturm. Zum einen geht es um die Verankerung einer «Entwicklungsagenda» im Mandat der WIPO, die verhindern soll, dass die Ent-wicklung des Urheber- und Patentrechts die Entwicklungsländer wie bisher benachteiligt. Zum anderen wird über ein höchst kontroverses Abkommen (broadcast treaty) verhandelt, das den Stationen weitreichende neue Monopolrechte über das von ihnen gesendete Material erteilen würde. Während die Konfliktlinien, zunehmend auch mit geopolitischen Dimensionen, in diesen Auseinandersetzungen immer klarer hervortreten, ist ihr Ausgang offener denn je. Nur so viel ist sicher: Die Einsätze sind extrem hoch, die Lobby der PatentbefürworterInnen ist gut organisiert, und die erzielten (beziehungsweise erzwungenen) Ordnungen werden den Charakter der Wissensgesellschaft nachhaltig prägen.


Felix Stalder ist Dozent für Medienökonomie an der Hochschule für Kunst und Gestaltung, Zürich, und Mitbegründer des Open-Source-Netzwerks Openflows.org.