Schweizer Sklaverei: «Verdorbene Neger»

Nr. 42 –

Hans Fässler beleuchtet in seinem Buch ein düsteres Kapitel Schweizer Geschichte. Ehrbare Bürger sahen nichts Schlechtes am Sklavenhandel.

«Handeln mit Negern aus Afrika», lässt die Schlussakte des Wiener Kongresses aus dem Jahr 1815 feierlich verlauten, «ist aufgeklärten Männern aller Zeiten als den Prinzipien der Menschlichkeit und der universellen Moral auf verabscheuungswürdige Art zuwider.» Dass mit diesem Datum dem Handel mit versklavten Menschen kein Ende gesetzt worden ist, gehört zum allgemeinen Bildungsgut. Weit weniger verbreitet dürfte die Kenntnis von der intensiven Verflechtung Angehöriger der Alten Eidgenossenschaft und von Schweizer Bürgern mit der transatlantischen Sklaverei sein.

Die vom St. Galler Lehrer und Kabarettisten Hans Fässler auf seiner «Reise in Schwarz-Weiss» nachgezeichneten Fälle reichen vom 17. bis ins späte 19. Jahrhundert und rücken ins Bild, was Wirtschafts- und Sozial-, aber auch die Alltagsgeschichte bis vor wenigen Jahren vernachlässigt haben. Der Erfolg schweizerischen Wirtschaftens ist in die Kolonialgeschichte und ihre grausamste Erscheinung, die Ausbeutung von Sklaven, eingeschrieben. Das Buch, Bericht eines persönlichen Engagements, historische Studie und Streitschrift in einem, konfrontiert uns mit den Thesen afrikanischer und karibischer Historiker, welche die ökonomische Entwicklung Europas seit dem 16. Jahrhundert ganz wesentlich auf die Arbeitsleistung von schwarzen Sklaven und die industrielle Revolution auf das im Sklavenhandel erworbene (finanz)technische Wissen zurückführen.

Fässler hat sich gut dokumentiert: Die im Glarnerland seit dem 18. Jahrhundert florierende Textilindustrie stellte mit farbigen Mustern bedruckte Tücher, so genannte Indiennes her, auch «l’argent de la traite» (Währung des Sklavenhandels) genannt. Das Appenzeller Geschlecht der Zellweger betrieb einen Importhandel mit Rohbaumwolle aus Brasilien und liess in seinen Spinnereifabriken nordamerikanische Baumwolle aus Georgia und Louisiana verarbeiten. Zeugnisse der ökonomischen Potenz der Textildynastie sind das Trogener Pfarr- und Gemeindehaus. Ehrenhafte Genfer Bankiers, Basler, Neuenburger und Berner Patrizier investierten in koloniale Unternehmungen und den Sklavenhandel. Der Staat Bern ragte zwischen 1719 und 1734 als bedeutender Aktionär der South Sea Company hervor, die über den Asiento verfügte, das exklusive Recht zur Ausfuhr afrikanischer Sklaven nach Amerika. Der Radikale Jacob Laurenz Gesell, späteres Gründungsmitglied der Helvetia-Versicherung und Bezirksrichter, beteiligte sich in Rio de Janeiro an einem Handelsunternehmen und kehrte 1850 in Begleitung eines schwarzen «Geschöpfs» nach St. Gallen zurück. Dass auch weniger weltläufige Zeitgenossen in Kenntnis dieser transatlantischen Ökonomie wirtschafteten, belegt eindrücklich das Beispiel von Appenzeller Leinenwebern, die über die Abfahrtstermine der Konvois im Bilde sein wollten.

Der christliche Missionsgedanke und die Vorstellung einer natürlichen, von Gott gestifteten Ordnung der Welt lieferten das ideelle und legitimierende Substrat für die «Verwertung» menschlichen Lebens in der Sklavereiwirtschaft. Die Rassenlehre versah die Ausbeutung und Knechtung schwarzer und farbiger Menschen mit dem wissenschaftlichen Plazet. Selbst der Glarner Naturforscher und ausserordentliche Gesandte des Bundesrates, Johann Jakob Tschudi, der Lateinamerika zwischen 1838 und 1861 ausgiebig bereiste und sich für die Abschaffung der Sklaverei aussprach, tat dies vorwiegend aus wirtschaftspolitischen Überlegungen und mit der Gewissheit, «dass jede Vermischung mit Negern einen bedeutenden Rückschritt macht». Die bundesrätliche Antwort auf eine Motion, welche die Haltung von Sklaven durch Schweizer in Brasilien verbieten wollte, nimmt 1864 das Stereotyp des «verdorbenen Negers» auf und rechtfertigt die Praxis mit dem Mangel an freien Dienstboten.

Engagierte Geschichtsschreibung im Sinne der Gewissheit, für eine gerechte Sache zu kämpfen, entbindet nicht von der Pflicht, seine Argumentation sorgfältig zu entfalten. Gerade dies leistet Fässler nur beschränkt. Die geografische Streuung der Beispiele und die langen Aufzählungen biografischer, genealogischer und ökonomischer Fakten, welche das Anliegen des Buches - die offizielle Anerkennung begangenen Unrechts durch die Schweiz und Entschädigungszahlungen - stützen sollen, machen es dem nicht eingeweihten Leser schwer, die oft belehrend vorgetragenen Informationen zu ordnen. Entweder hätte der Autor ausgewählte Fälle von Opfer und Täter kontrastieren oder eine Darstellungsform wählen sollen, die einerseits die Chronologie berücksichtigt und andererseits eine Typologie der Akteure (Bankiers, Sklavenhändler, Plantagenbesitzer, Soldaten, Gelehrte) skizziert. Schliesslich bleiben die von Fässler gewählten Kriterien diffus, nach denen ein Mensch zum Komplizen der Sklaverei erklärt werden kann.

Die Frage, weshalb das Grauenvolle möglich wurde und im Zeitalter der Aufklärung die Vorstellung einer Hierarchie der Rassen über lange Zeit unproblematisch blieb, weshalb Sklavenhandel und bürgerliche Emanzipationsbestrebungen nicht zwingend Antagonismen bildeten, muss angesichts von Fässlers analytisch unergiebiger Fixierung auf das «Böse» geradezu verblassen. Kürzer, nüchterner im Ton und stringenter konstruiert hätte dieses zweifelsohne wichtige Buch an Prägnanz gewonnen.

Hans Fässler: Reise in Schwarz-Weiss. Schweizer Ortstermine in Sachen Sklaverei. Rotpunktverlag. Zürich 2005. 345 Seiten. 36 Franken