Functional Food: Ein Fall für die Krankenkassen?

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Verdauungsfördernde Jogurts oder cholesterinsenkende Margarinen spülen den Lebensmittelmultis viel Geld in die Kassen – aber nicht so viel wie erhofft. Sollen nun die Krankenkassen die Gewinne erhöhen?

Wie bequem wäre es, einseitige Ernährungsgewohnheiten korrigieren zu können, ohne auf seine Leibspeisen verzichten zu müssen. Die Lebensmittelindustrie kommt diesem Wunsch in wachsendem Masse nach – Functional Food, also Lebensmittel mit gesundheitlichem Zusatznutzen, soll es richten. Ein Pseudoschnitzel auf Sojabasis tröstet den Fleischliebhaber darüber hinweg, dass er Fleisch zugunsten gesundheitsverträglicher Cholesterinwerte im Blut weglassen muss. Süssigkeiten, Müsliriegel oder Tiefkühlgemüse helfen gegen die Bildung von Blutgerinnseln oder Gefässschäden, wenn sie mit Vitamin E und C oder mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren angereichert sind. Zur gleichen Kategorie von Lebensmitteln zählen Säfte mit zusätzlichen Mineralien und Vitaminen oder Backwaren mit Folsäuren oder Omega-3-Fettsäuren.

Einträgliches Geschäft

Functional Food ist für die Lebensmittelmultis ein einträgliches Geschäft, aber nicht so lukrativ wie erhofft: «Der Trend, der vor fünf Jahren in der Luft lag, hat sich nicht bestätigt», sagt Adrian Rüegsegger, wissenschaftlicher Mitarbeiter vom Zentrum für Technologie-Abschätzung (TA-Swiss), das im Auftrag des Bundes Chancen und Risiken neuer Technologien eruiert. Eine TA-Swiss-Studie ermittelte für dieses Produktesegment vor fünf Jahren einen Umsatz von rund 300 Millionen Franken oder knapp einem Prozent des gesamten Lebensmittelmarktes. Jährliche Wachstumsraten von bis zu zwanzig Prozent wurden in Aussicht gestellt.

Doch die Schweizer KonsumentInnen scheinen gegenüber den versprochenen gesundheitlichen Effekten skeptisch zu sein. Dies zeigt eine kürzlich publizierte Studie der Marktforscher von ACNielsen. Danach kaufen nur acht Prozent der Schweizer Functional Food. Europaweit sind es elf Prozent und weltweit gar neunzehn Prozent.

Einzelne Lebensmittelhersteller sind von ihren neuen Produkten so überzeugt, dass sie einen Beitrag von den Krankenkassen fordern. So sagte Emmi-Chef Walter Huber unlängst in einem Interview, er sehe keinen Grund, weshalb seine Produkte, die nachweislich einen gesundheitlichen Zusatznutzen haben, nicht im Leistungskatalog der Krankenkassen sein sollten. Er habe bereits die vierte Produktionsanlage für gesundheitsfördernde Jogurtdrinks in Betrieb genommen, das Wachstum liege im zweistelligen Bereich.

Stephan Wehrle, der Emmi-Firmensprecher, doppelt nach: «Die Verwendung von Produkten wie diesen Jogurtdrinks verstehen wir als präventive Massnahme, mit der die Gesundheitskosten langfristig gesenkt werden können.» Daher sei es volkswirtschaftlich sinnvoll, einen Anreiz dafür zu schaffen, zum Beispiel bei einem leicht erhöhten Cholesterinspiegel statt teurer Medikamente einen der gesundheitsfördernden Jogurtdrinks zu schlucken.

Nestlé und Unilever, die ebenfalls Functional Food im Angebot haben, geben sich zurückhaltender. Nestlé schliesst sich laut ihrem Mediensprecher Philippe Oertle der Emmi-Forderung nicht an, und Anne Zwyssig von Unilever überlässt den Entscheid in dieser gesundheitspolitischen Frage den Krankenkassen. Novartis schliesslich hat sich soeben von ihrem Functional-Food-Segment definitiv getrennt und die Marken Ovo und Isostar verkauft. Demgegenüber teilen die beiden Grossverteiler Migros und Coop mit, der Umsatz von Functional Food habe leicht zugenommen. Während Migros keine Umsatzzahlen publizieren will, nennt Coop für seine rund 45 Produkte einen Umsatz von etwa 50 Millionen Franken für 2004.

In anderen europäischen Ländern sind die Nahrungsmittelkonzerne erfolgreicher. So konnte beispielsweise Unilever Hollands grössten Krankenversicherer VGZ vom Nutzen seiner cholesterinsenkenden Becel-Margarine überzeugen. Seit Anfang Jahr zahlt die Krankenversicherung als erste europaweit ihren 2,1 Millionen Versicherten jährlich vierzig Euro, wenn sie solche Margarine kaufen.

«Keine politischen Chancen»

Kommt es in der Schweiz auch bald zu Krankenkassenbeiträgen an Functional Food? Peter Marbet, Leiter Kommunikation von Santésuisse, räumt dem Bestreben keine politischen Chancen ein. Die Forderung vom Emmi-Chef Huber betrachtet er als «Marketing-Gag». Die politische Diskussion gehe in eine ganze andere Richtung und heisse «Sparen». Zudem funktioniere das Schweizer System anders, betont Marbet und illustriert dies mit einem Beispiel: Bei uns müsste der Patient zum Arzt gehen, um sich einen Jogurtdrink verschreiben zu lassen, den er dann in der Apotheke beziehen könne. Die Arztkonsultation käme dabei auf fünfzig Franken zu stehen, während der Drink selbst drei Franken kostet. «Das wäre einfach absurd», kommentiert Marbet. Im Rahmen der Zusatzversicherungen stehen den Kassen solche Leistungen hingegen frei. Schon heute würden einzelne Kassen an Prävention einen Beitrag bezahlen – wie zum Beispiel an die Kosten für den Besuch von Fitnesszentren. Das dabei angewandte Gutscheinsystem könnte theoretisch genauso gut für Functional Food zum Einsatz kommen.

Nach Meinung von FDP-Nationalrat und Präventivmediziner Felix Gutzwiller hat Functional Food im Leistungskatalog der Krankenkassen nichts verloren. «Es ist falsch, davon auszugehen, dass alles, was gesundheitlichen Zusatznutzen hat, dahin gehört. Gesunde Ernährung bleibt im Verantwortungsbereich des Einzelnen.» Laut Ida Stauffer, Sekretärin der Gesundheitskommission, sind denn auch im Parlament keine Bestrebungen für einen Ausbau in diese Richtung im Gang, sondern vielmehr solche für einen Abbau.

Fraglicher Nutzen

Auch wenn die Hersteller den gesundheitlichen Nutzen ihrer Produkte «wissenschaftlich nachweisen», ist noch vieles unklar. Dem modernen Konsumenten steht eine riesige Auswahl von Lebensmitteln zur Verfügung, sodass es sehr schwierig ist zu beurteilen, ob nun in der Vielfalt der täglich verzehrten Produkte das eine oder andere Functional-Food-Lebensmittel einen nachweisbaren, zusätzlichen Nutzen hat. Die gesundheitlichen Effekte lassen sich daher gesamthaft kaum bilanzieren.

Denise Rudin von der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz hält Forderungen wie jene von Emmi-Chef Walter Huber nach der Kategorisierung von gewissen Produkten als medizinische Leistungen für eine «gefährliche Entwicklung». Wer Functional-Food-Produkte verwende, sei nicht automatisch gesünder. «Wenn wir funktionelle Lebensmittel solidarisch finanzieren würden, wären die Menschen noch verwirrter, als sie im Bereich Ernährung und Gesundheit ohnehin schon sind», ist sie überzeugt. «Aus Sicht der Gesundheitsförderung kommen funktionelle Lebensmittel nur als mögliche Ergänzung zu einer gesunden Ernährung infrage, keinesfalls als Ersatz.»

Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung sieht laut Esther Infanger zudem das Problem, dass durch Functional Food die Grenzen zwischen Nahrungsmitteln und Medikamenten verwischt werden. Problematisch werde es vor allem dann, wenn jemand Functional Food wie ein Medikament zur «Symptombekämpfung» einnehme und die nötige Veränderung des Lebensstils dadurch vernachlässige, erklärt die Ernährungsberaterin. Wahllos eingenommen führen solche Lebensmittel ausserdem zu einer zu hohen Zufuhr von Nährstoffen oder Vitaminen, die ebenfalls schädlich sein könnte.

Nicht nur vom Nutzen her ist Functional Food fraglich. Eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen würde überdies gesundheitspolitisch und volkswirtschaftlich falsche Signale setzen.

Kein Heilmittel

Als Functional Food bezeichnet man Nahrungsmittel, denen gesundheitsfördernde Stoffe zugeführt oder aus denen bedenkliche Substanzen entfernt wurden und die daher einen gesundheitlichen Zusatznutzen bringen sollen. Die Abgrenzung zu einem Heilmittel ist für die KonsumentInnen somit nicht eindeutig. Das Bundesgericht versuchte 2001, mit einem wegweisenden Urteil diese Unklarheit zu beseitigen. Das Gericht wies eine Milchwerbung als unzulässig zurück, wonach Milch gross und stark mache und der Osteoporose vorbeuge. Zulässig hingegen sei es, wenn man auf die nützliche Funktion einzelner Nährstoffe hinweise. Also, Kalzium sei wichtig für den Knochenaufbau. So wirbt heute Unilever für seine Becel-Margarine damit, dass deren «optimale Fettsäurenzusammensetzung ideal für eine herzgesunde und cholesterinbewusste Ernährung» sei.

Besteht jedoch die Absicht, Functional Food ausdrücklich zur Prävention und Therapie einzusetzen, fällt er unter das Heilmittelgesetz. Weil diese Art von Lebensmitteln bisher nicht als Medikamente gelten, müssten sie zuerst vom Heilmittelinstitut Swissmedic als solche zugelassen werden. Erst nach erfolgreicher Zulassung durch Swissmedic könnten diese Produkte als Medikamente in die Spezialitätenliste aufgenommen werden. Schliesslich bräuchte es einen politischen Konsens darüber, ob sie aus der Grundversicherung bezahlt werden sollen, sagt Daniel Dauwalder vom Bundesamt für Gesundheit: «Bis jetzt sind bei uns jedoch keine solchen Ge-suche eingegangen.»

Gefragte Vitamine

Migros führt mit Actilife eine Eigenmarke für Functional und Health Food. Das Actilife-Sortiment stellt sich aus Säften, Brausetabletten, Low-Carb-Proteindrinks oder Molkenpulver zusammen. Besonders gut laufen vorab Vitamin-C- und Magnesium-Brausetabletten sowie Zink-, Eisen- und L-Carnitin-Lutschtabletten. Deren Zielgruppe ist eher weiblich und aktiv, ohne spezifische Altersgruppe. Mit einzelnen Produkten will Migros jedoch gezielt Senioren ansprechen. Coop macht derweil mit seinen Everyday-Säften, die Folsäure und Vitamine enthalten, sowie mit der Weight-Watchers-Linie für Schlankheitsbewusste gute Geschäfte.