Nanofood: «Micelle Q10 inside»? Nein danke!

Nr. 5 –

In den Augen der Branche bergen nanotechnisch optimierte Lebensmittel grosses Zukunftspotenzial. Wenn nur die KonsumentInnen daran interessiert wären. Doch die sind ebenso verunsichert wie die Behörden.


Ende Mai 2008 hat die Migros verschiedene Wellness-Energy-Drinks aus ihrem Actilife-Sortiment zurückgezogen. Damit gibt es zurzeit auf dem Schweizer Markt keine Lebensmittel mehr, die «neuartige Nanomaterialien» enthalten. Zu diesem Schluss kommt eine Studie über Nanotechnologie im Lebensmittelbereich, die das Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung (TA-Swiss) im Auftrag des Parlaments durchgeführt und vergangenen Freitag in Bern vorgestellt hat.

Die Wellness-Energy-Drinks der Migros standen nur wenige Monate im Gestell. Auf ihnen fand sich folgendes Logo: «Micelle Q10 inside». Micellen sind eine Art Nanokapseln, die beispielsweise Vitamine, Mineralstoffe oder Aromen umhüllen. Im Fall des Migros-Getränks stammten sie von der St. Galler Firma Mivital und beinhalteten das energiespendende Koenzym Q10. Weil Nanokapseln die Wirkung der Substanzen, die sie transportieren, erhöhen oder verändern können, hat sie die TA-Swiss-Studie genauer unter die Lupe genommen - nebst allen anderen Lebensmitteln und Lebensmittelverpackungen, die künstliche Nanomaterialien enthalten.

Die AutorInnen der Studie - alles MitarbeiterInnen des Öko-Instituts im deutschen Freiburg - gingen folgenden Fragen nach: Welche nanotechnisch veränderten Lebensmittel befinden sich bereits auf dem Markt? Wer stellt sie her? Welches Zukunftspotenzial bergen sie - und welche Risiken? In den Regalen der Schweizer Lebensmittelgeschäfte stiessen die WissenschaftlerInnen auf zahlreiche alte Bekannte - Zusatzstoffe wie E 551, Siliziumdioxid. Das pulvrige Material, dessen einzelne Teilchen zwischen fünf und fünfzig Nanometer gross sind, ist als Antiklumpmittel in Gewürzen, Saucenpulver oder Brausetabletten bereits seit Jahrzehnten im Einsatz und gilt als ungefährlich.

Kupfer, Silber, Gold

Der Wellness-Energy-Drink mit «Micelle Q10 inside» steht nicht mehr im Gestell, weil er sich zu schlecht verkaufte, wie die Migros auf Anfrage mitteilt. Die Schweizer Bevölkerung hat sich bislang kaum für Functional Food begeistern lassen: Lebensmittel, die mit Zusatzstoffen wie Omega-3-Fettsäuren, Eisen oder eben dem energiespendenden Koenzym Q10 angereichert sind, verkaufen sich hierzulande in achtzig Prozent der Fälle schlechter als im europäischen Durchschnitt. «Für eine gesundheitsfördernde Ernährung hat die Nanotechnologie im Lebensmittelbereich heute nahezu keine Bedeutung», sind die AutorInnen der TA-Swiss-Studie überzeugt.

International jedoch sieht die Lebensmittelbranche im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel das grösste nanotechnische Marktpotenzial. Auf dem Weltmarkt findet sich bereits eine breite Palette an nanobasierten Nahrungsergänzungsmitteln und Diätprodukten - zum Teil mit Wirkstoffen, die in der Schweiz und in Europa für Lebensmittel gar nicht zugelassen sind: Kupfer, Silber, Gold und andere Schwermetalle. Via Internet können die als gesundheitsfördernd bezeichneten Produkte aber auch in der Schweiz bezogen werden. Doch die TA-Swiss-Studie warnt: «Hier besteht der nachgewiesene Nutzen lediglich in der Gewinnmaximierung des Herstellers.»

Umgekehrt geht von diesen Zusatzstoffen in nanoskaliger Form eine erhebliche toxikologische Gefahr aus. Die Studie empfiehlt deshalb ein Moratorium für solche Substanzen in Nahrungsergänzungsmitteln. Harald Krug, Toxikologe an der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt Empa in St. Gallen, macht ausserdem auf eine Gesetzeslücke aufmerksam: «Werden sogenannt ‹natürliche Extrakte› als Zusatzstoffe verwendet, müssen sie in der Schweiz gar nicht deklariert werden.» Harmlos aber sind diese natürlichen Zusätze nicht in jedem Fall. Heidelbeeren zum Beispiel enthalten krebserregende Aromastoffe. «Werden diese nanoverkapselt, so nimmt sie der Körper in höherer Dosis auf - und das ist kritisch», sagt Krug.

Verlängerte Haltbarkeit

An der Präsentation der TA-Swiss-Studie in Bern betonte Michael Beer vom Bundesamt für Gesundheit, dass grundsätzlich alle Lebensmittel auf dem Schweizer Markt bedenkenlos konsumiert werden könnten. Die Schweiz habe eines der weltweit strengsten Lebensmittelgesetze. Nicht unter dessen Bestimmungen fallen allerdings Lebensmittelverpackungen. Und just bei den Verpackungen spielen Nanomaterialien bereits eine bedeutende Rolle und bergen gemäss der Studie ein «bedeutendes wirtschaftliches Potenzial». Denn sie verlängern die Haltbarkeit der Lebensmittel, indem sie zum Beispiel Aromen bewahren, vor Mikroben oder UV-Strahlen schützen oder verhindern, dass Sauerstoff oder Wasserdampf in die Verpackung eindringen können.

Dafür verantwortlich sind hauchdünne Beschichtungen mit mineralischen oder metallischen Nanopartikeln, die aussen, innen oder zwischen zwei Verpackungsschichten angebracht werden können. In der Schweiz sind derzeit verschiedene Pet-Flaschen auf dem Markt, die solche Nanobeschichtungen aufweisen. Sie sorgen etwa dafür, dass die Kohlensäure länger im Bier bleibt oder der Granini-Fruchtsaft nicht oxidiert. Wo die Beschichtung wie beim Granini-Saft innen angebracht ist, kann es sein, dass ein Teil des Nanomaterials in das Getränk übergeht. Im Fall von nanosilberhaltigen Folien, wie sie auf dem internationalen Markt bereits eingesetzt werden, ist dieser Effekt sogar erwünscht. Denn das verhindert die Bildung von Mikroben im Lebensmittel.

Die TA-Swiss-Studie geht davon aus, dass solche Folien auch in der Schweiz bald benutzt werden. «Nanosilber drängt zurzeit ganz massiv in alle möglichen Anwendungsbereiche», sagt Martin Möller, einer der AutorInnen der Studie (vgl. Interview weiter unten). «Das meiste davon ist nicht sehr sinnvoll, beziehungsweise ökologisch bedenklich.» Kritische Stimmen warnen etwa, dass mit antimikrobiellen Verpackungen auch hochresistente Mikroorganismen herangezüchtet werden könnten, die dann ähnliche Probleme verursachen würden wie antibiotikaresistente Keime. «In den USA wird Nanosilber als Pestizid eingestuft. Das finde ich vorbildlich.»

Eines der grundsätzlichen Probleme bleibt, dass die Hersteller schlecht oder gar nicht darüber informieren, ob und wie sie Nanotechnologie einsetzen. Die AutorInnen fordern die Lebensmittelbranche auf, verantwortungsvoller mit ihren Produkten umzugehen. In erster Linie muss sie die Unbedenklichkeit der verwendeten Nanomaterialien zweifelsfrei sicherstellen können: «Die notwendige Intensivierung der human- und ökotoxikologischen Risikoforschung ist in erster Linie eine Aufgabe der Hersteller und Importeure.» Solange eine entsprechende Wissensbasis fehlt, könne weder eine Risikobewertung gemacht noch eine rechtliche Steuerung von Nanomaterialien in Angriff genommen werden.



Martin Möller u.a.: «Nanotechnologie im Bereich der Lebensmittel.» TA-Swiss. vdf-Verlag. Zürich 2009. 228 Seiten. 48 Franken.

PET-Flaschen mit Nanoschicht: Eine Aufgabe für Sherlock Holmes

WOZ: In der Schweiz sind nanobeschichtete PET-Flaschen bereits im Handel. Wenn ich morgen eine PET-Flasche kaufe, will ich als Konsumentin wissen: Ist da jetzt Nano drin? In Ihrer Studie finde ich aber keine Liste ...

Martin Möller: Und genau da sind wir beim Problem. Nehmen Sie diese Cola-PET-Flasche System BestPET: Da ist aussen eine vierzig bis sechzig Nanometer dicke Beschichtung angebracht. Bei anderen Flaschen ist die Beschichtung innen oder zwischendrin. Und es gibt natürlich auch noch die herkömmlichen Colaflaschen, die dicken zum Beispiel, die keine Nanomaterialien enthalten. Es wäre also nicht fair zu sagen, alles, was Cola drin hat, ist Nano-PET.

Was sagen denn die Getränkehersteller?

Die geben wenig bekannt. Wir mussten alles selbst recherchieren - auf der Basis von öffentlich verfügbaren Quellen. Da spielten wir ein bisschen Sherlock Holmes. Eine Quelle etwa beschreibt das BestPET-Verfahren der Firma Krones, eine andere Quelle sagt, BestPET wird von Coca-Cola benutzt. Nur in dieser Kombination kamen die Ergebnisse zustande. Momentan ist es einfach so, dass sowohl die Lebensmittelhersteller als auch die Verpackungshersteller äusserst zurückhaltend kommunizieren beziehungsweise gar nichts sagen.

Dabei sollten sie sich doch freuen: Immerhin stellen Sie in Ihrer Studie den nanobeschichteten PET-Flaschen ein gutes ökologisches Zeugnis aus. Gilt das tatsächlich für alle Formen der Nanobeschichtung?

Grundsätzlich schon, es gibt jedoch Unterschiede im Detail. Schauen Sie diese PET-Flasche hier (er zeigt eine grüne Plastikbierflasche): Wenn man sie aufschneidet, sieht man ihren Dreischichtenaufbau - einmal PET innen, einmal PET aussen, und in der Mitte dann die transparente Polyamidschicht, die nanoskalige Silikate enthält. Aus toxikologischer Sicht ist dieser Multilayer-Aufbau wahrscheinlich die beste Variante. Fürs Recycling aber möglicherweise die schlechteste. Denn man muss zuerst einmal diesen Verbund mechanisch auftrennen. Und das bedeutet einen Zusatzaufwand.

Sind denn vor allem PET-Flaschen mit dieser Nanozwischenschicht auf dem Markt?

Also, ich habe den Eindruck, dass diese Multilayer-Flasche immer mehr Marktanteil verliert - zugunsten von PET-Flaschen, die innen oder aussen beschichtet sind. Denn der Multilayer-Aufbau ist schwerer, teurer und die erste Generation der nanobeschichteten PET-Flasche. Die neuste Generation nun scheint die innen beschichtete zu sein.

Also genau jene Beschichtung, die toxikologisch am problematischsten ist, weil ein Teil der Beschichtung in das Getränk wandern kann?

Ja, auch wenn das noch nicht vollständig überprüft ist. Das Material selbst besteht aus Siliziumdioxid, das auch in Streuwürze verwendet wird, und gilt als unbedenklich. Was also kann passieren? Wenn es durch mechanische Beanspruchung zu Abplatzungen kommt, dann haben Sie da im Getränk drin Teilchen, die anders aussehen als die Nanopartikel in der Streuwürze: plättchenähnliche Gebilde von einem Quadratmikrometer Grösse, aber mit einer Dicke im Nanometerbereich. Ich habe nichts gefunden, das mir bestätigen würde, dass diese Teilchen völlig unschädlich sind, wenn sie vom Körper aufgenommen werden.

Es könnte also sein, dass sich diese Plättchen im Körper ablagern und anreichern, statt ausgeschieden zu werden?

Genau. Und solange das nicht bestätigt respektive ausgeschlossen ist, will ich das überprüft oder zumindest die Nanoschicht aussen aufgetragen haben. Da hat mans im schlimmsten Fall an der Hand. Die Exposition dürfte also sehr viel geringer sein, als wenn man die Beschichtung innen anbringt.

Und die Industrie schwenkt auf die toxikologisch problematischste Beschichtung um, weil sie am billigsten ist?

Scheint mir so zu sein. Ich habe keine Preisangaben bekommen. Es könnte natürlich auch sein, dass durch mechanische Einwirkung von aussen die Barrierewirkung verloren geht, wenn die Beschichtung aussen ist. Innen ist die Nanoschicht geschützter, der Inhalt dagegen ist sicher mit dem Multilayer-Aufbau am geschütztesten - nur ist der offensichtlich teurer.

Martin Möller ist Nanotechnikexperte und arbeitet im Bereich Produkte und Stoffströme am Öko-Institut in Freiburg, Deutschland. Er hat die TA-Swiss-Studie mitverfasst.


Was ist Nano?

Ein Nanometer ist der millionste Teil eines Millimeters. Zum Bereich der Nanotechnik zählt man in der Regel Partikel mit einer Grösse zwischen einem und hundert Nanometern. Solch nanoskalige Stoffe weisen andere chemische und physikalische Eigenschaften auf als dieselben Stoffe in grösserer Form. Derzeit existieren noch kaum geeignete Prüf- und Messmethoden für nanoskalige Substanzen, und auch ihre toxikologische Wirkung ist in vielen Fällen noch unerforscht.