Undercover am Wef: Der Wagen steht bereit, Herr Minister!
Ein Heer von Privatchauffeuren kutschiert am Weltwirtschaftsforum die Prominenz herum. Die WOZ fuhr einen Konsul, einen Botschafter und einen Minister nebst Gattin von Hotel zu Hotel.
Der Anruf kam zwei Tage vor dem Weltwirtschaftsforum (Wef): «Seien Sie am Mittwochmorgen um sieben Uhr am Flughafen. Dort werden Sie instruiert. Sie fahren in einem Konvoi mit mehreren Wagen. Ihre Aufgabe ist es, Schritt zu halten mit der Wef-Limousine.» Somit war klar: Die Bewerbung war ein Erfolg. Das Weltwirtschaftsforum hatte einen weiteren Chauffeur – einen, der nichts weiss von diesem Beruf. Aber man hatte ihn auch nicht danach gefragt. Auch eine Sicherheitsüberprüfung gab es nicht.
Unterwegs zu «Schwop»
«Schwap! Schwop! Schwaaap!» Der Konsul und der Sekretär des Verteidigungsministers eines asiatischen Staates üben auf dem Rücksitz der Limousine einen Namen auszusprechen – den Namen von Wef-Gründer Klaus Schwab. Seit Minuten geht das so: «Schwap! Schwop! Schwaaap! Klaus! Klaus! Schwop!» Der Fahrer hätte gerne geholfen, doch die Anweisung ist klar: «Es ist verboten, mit den Gästen zu reden, ausser die Gäste reden mit Ihnen!» Der Hunger bringt die beiden auf andere Gedanken. «Was kostet in der Schweiz ein McDonald’s-Menü?» – «Zehn Franken.»
Wir passieren Landquart – an der Spitze des Konvois ein schwarzer Mercedes, dann eine Limousine des Wef mit Sicherheitspersonal und dem hohen Minister. Dahinter die WOZ-Limousine mit Konsul und Sekretär. Keine Probleme bei den Polizeikontrollen.
Dinner mit Atombombe
Sitzungen und Verhandlungen jagen sich. Treffpunkte: Kongresszentrum, die Sheraton Hotels, Post- und Sporthotel. Zum Abendessen geht es nach Klosters in das Lieblingsrestaurant von Prince Charles, den «Walserhof». Da will der Minister hin. Da wollen am Wef alle hin. Seit Monaten ist das Restaurant ausgebucht, und der Minister ist glücklich, dass ihm seine Delegation einen Platz verschafft hat. Die Chauffeure müssen vor dem Restaurant im Wagen warten. Es herrscht Chaos. Unser kleiner Konvoi ist umzingelt von den Fahrzeugen des pakistanischen Präsidenten Pervez Muscharraf und seiner Armee von Leibwächtern. Auch Muscharraf ist an diesem Abend Gast im «Walserhof». Unser Minister und seine Gattin speisen am Nebentisch des Mannes, der Atomwaffen besitzt. Das macht den Minister noch glücklicher. So etwas passiert einem nicht alle Tage. (Diese Infos kommen von einem Delegierten des Ministers, der auf dem Rücksitz wartet und per Telefon auf dem Laufenden gehalten wird. Und da! Ein neuer Anruf! Der Delegierte brüllt nervös ins Telefon: «Hören Sie, Sie müssen diese Überweisung SOFORT tätigen! 30 000 Franken, bis morgen früh!»)
Die Polizei von Klosters stört den Frieden: «Das hier ist ein Trottoir und kein Parkplatz! Verschwinden Sie sofort!» Ganz anders als in Davos, wo man im Namen des guten Gelingens des Wef schon mal 500 Meter mit massiv überhöhter Geschwindigkeit in falscher Richtung durch eine Einbahnstrasse rasen darf. Und wo Privatier Klaus Schwab Personenschutz der Polizei inklusive Limousine bekommen hat. Zumindest, als er am Donnerstagabend gemeinsam mit Gattin Hilde das Sporthotel Central verlässt. (Der WOZ-Chauffeur wartet derweil auf einen Botschafter, der an einem Bankett der neuen Wirtschaftsmacht Indien teilgenommen hat.) Warum muss der Steuerzahler dem Professor die Leibwache bezahlen? Die Antwort liefert ein ehemaliger Taxifahrer: «Klaus Schwab bekommt eine Leibwache, weil es in diesem Land keine Orden gibt.»
Expansion! Asien! Arbeitsplätze!
Ein Anruf lässt den WOZ-Chauffeur sein Produkt deutscher Qualitätsarbeit kurz vor Mitternacht zum Kongresszentrum steuern. Dort gilt es, den Delegierten eines anderen am Wef vertretenen Tigerstaates abzuholen. Der Delegierte ist in ausgelassener Stimmung. «Lonza! Lonza!» Er klatscht in die Hände und ruft auf dem Weg zu seinem Hotel immer wieder den Namen des Basler Chemiekonzerns in sein Handy. Der «Tages-Anzeiger» hilft bei der Entschlüsselung des einsilbigen Monologes. Dort heisst es später im Wirtschaftsteil: Lonza baut aus! Expansion in Asien! Neue Fabrik! Hunderte Arbeitsplätze!
Schlechte Träume nach dem ersten 17-Stunden-Tag im Dienste des Wef (Wie ist das eigentlich mit der Ruhezeitverordnung für Chauffeure?): Leibwächter haben wenigstens Schusswaffen! Von einem Treffen zum nächsten! Herr Minister, der Wagen steht bereit! Frühstück im Posthotel! Treffen im Hotel Derby! Mittagessen im Arabella Sheraton! Kongresszentrum! Sitzung im Sporthotel! Nur nicht verfahren jetzt! Verdammt, wo sind wir? O Gott, ist dies das Brems- oder Gaspedal? Schön, Sie wieder zu sehen! «India the fastest!» «China in transition!» «Boycott Israel!» (Titel eines Textes in der Wef-Broschüre Global Agenda 2006). Neue Märkte über alles! And now, Ladies and Gentlemen: «Die Ballade vom Davoser Chauffeur!»:
«Ich warte im Wagen, um meine Herren einzuladen! Bei laufendem Motor! Denn der Service geht vor! Anstand und Diskretion sind mein grosses Muss! Und nachts fahr ich die Delegierten nach Klosters ins Puff!»
Ein Heer von Privatchauffeuren karrt die 2400 Wef-TeilnehmerInnen von Termin zu Termin, wobei die Distanzen variieren zwischen fünfzig Metern und zwei Kilometern. Wegen der Strassensperren braucht man oft zwanzig Minuten für einen Weg, der zu Fuss in zwei Minuten zurückzulegen wäre. Und weil die Chauffeure allzeit bereit sein müssen und dabei nicht erfrieren wollen, warten sie oft stundenlang im Wagen bei laufendem Motor. Die Elite mag nicht warten. Und laufen sowieso nicht. Viele der angeheuerten Chauffeure sind StudentInnen. Sie verdienen 250 bis 400 Franken pro Tag plus Spesen und wohnen in günstigen Hotels oder zu acht in kleinen Ferienwohnungen. Die Einführung in die Arbeit ist minimal, verlangt wird das Maximum: «Wir bekamen eine Liste mit Punkten, die es einzuhalten gilt», sagt ein junger Chauffeur. «Wer dagegen verstösst, wird fristlos entlassen. Doch als Anfänger ist es beinahe unmöglich, alle diese Punkte einzuhalten.» Zum Beispiel? «Der Sicherheitsbeamte eines Ministers drängte mich auf der Autobahn, schneller zu fahren. Er sagte, er werde sich beschweren, falls wir zu spät kommen. Ich war auf so etwas nicht vorbereitet. Was sollte ich tun? Meinen Job verlieren oder meinen Führerausweis? Also gab ich Gas.»
Die meisten Staaten und Unternehmen greifen auf private Dienste zurück. Einzig Staatspräsidenten und andere hohe Repräsentanten des Staates oder «gefährdete Personen», werden von der Polizei gefahren oder von eingeflogenen Chauffeuren. Diese Profis sind meist älter. Sie versinken in den Sesseln der Hotellobbys und verbreiten eine stoische Ruhe. Wenn es gilt, sind sie bereit. Sie verleihen ihrer Arbeit durch einen souveränen Auftritt Würde, während sich die Amateure übertreffen in einer ätzend zur Schau gestellten Unterwürfigkeit gegenüber den Gästen.
An dieser Stelle dankt der Chauffeur dem ehemaligen Schweizer Botschafter in Berlin und dem heutigen «strategischen Unternehmensberater» Thomas Borer, der das stundenlange Warten in einer Hotellobby mit einer minutenlangen Brüllattacke kurzweiliger gestaltete. Auftritt Borer. Greift zum Handy, beginnt sogleich in Schriftdeutsch zu brüllen: «Der Bundesrat erzählt Müll! Grauenhaft! Am Freitag kann man in der NZZ lesen, WIE ES WIRKLICH IST! Auf Wiederhören!» Legt auf, wählt neu, schimpft nun in Schweizerdeutsch: «Ja, hallo! Säged Si im, ich sei nicht erreichbar und ich sei VERDAMMT SAUER! Auf Wiederhören!» Abgang Borer.
WOZ: Erzählen Sie mal eine gute Geschichte aus Ihrem Leben als Chauffeur!
Anderer Chauffeur: Diskretion gehört zu unserem Beruf wie das Auto. Ohne geht es nicht.
Eine kleine ...
Wie steht es bei Ihnen? Keine Nachtschichten mit Spezialfahrten in Nachtclubs?
Bisher leider nicht. Wen fahren Sie gerade rum? Sieht wichtig aus – Bodyguards, Polizeiautos ...
Ich weiss es nicht. Die Gesichter wechseln so schnell. Ich kann mir nicht alles merken.
Einladung in den Tigerstaat
Mehr schlechte Träume: Strassensperren überall. Helikopter. Abhöranlagen. Geheimagenten. Stacheldraht. Scharfschützen auf Dächern von Nobelhotels. Polizisten auf Skipisten. Panzer. Und in Willisau durften sie heuer nicht gegen Rassismus demonstrieren, weil man die Sicherheit nicht gewährleisten könne. Vor wem haben sie Angst? Den Autonomen? Terroristen? Das Wef als Möglichkeit, zu zeigen, was man hat?
Nach drei Tagen Wef-Horror schiessen dem Chauffeur am Freitagabend Amokgedanken durch den Kopf, und zwar als er den Arbeitsminister und Vizeverteidigungsminister eines kleinen Landes samt Gattin in dessen Hotel fährt. Nach einem kurzen, notwendigen Erholungsprogramm in der Hotelsauna ist der Kopf wieder klar, und die protzige Karre gleitet wieder sanft über die eisigen Strassen, die Fragen an den Botschafter eines Tigerstaates liegen locker auf der Zunge, nachdem er den Chauffeur in ein Gespräch verwickelt hat. Der Botschafter ist auf dem Weg zu einer mitternächtlichen Cheminéerunde.
WOZ: Todesstrafe für Drogendealer – finden Sie nicht, dass die Gesetze in Ihrem Land zu lasch sind?
Botschafter: Nein. Die Situation in unserem Land hat sich entspannt.
Wie meinen Sie das?
Sagen wir es so: Mit Ihrer Frisur hätte man Sie vor fünfzehn Jahren nicht ins Land gelassen. Heute sage ich Ihnen: Sie sind jederzeit willkommen.
Wef-Widerstand 2006 – die Chronologie
Dieses Jahr war kaum was los gegen das Wef. Stimmt das wirklich? Oder haben einfach die Medien praktisch nicht über die Aktionen berichtet? Vieles deutet auf Letzteres. Sogar eine lärmige Samstagabenddemo durch das Zürcher Niederdorf, an der trotz versteckter Mobilisierung um die 200 Leute teilnahmen, fand kaum ein Medienecho.
Gelaufen ist einiges, nicht nur in den grossen Städten:
• 14. Januar: Tanzen gegen das Wef in Bern.
• 21. Januar: Aktionstag mit theatralischen Interventionen in Bern, Luzern, Lugano, Burgdorf, Thun, Basel, Chur, Genf, Weinfelden, Wil, Zürich und Liestal. Demos in Zürich, St. Gallen, Reconvilier. Tanzdemo in Luzern. Farbanschläge und Knallraketen in Zürich.
• 25. Januar: VelofahrerInnen mit Anti-Wef-Fahnen drehen Runden auf dem Landquarter Kreisel, der am Weg nach Davos liegt. Transparente im Prättigau fordern die Wef-TeilnehmerInnen auf, nach Hause zu gehen. Mehr Farbanschläge und Raketen in Zürich. Gefälschtes Wef-Transparent in Luzern.
• 26. Januar: Noch mehr Farbanschläge in Zürich, festliche Versammlung in Lausanne. Die Gruppe «Aktiv unzufrieden» bringt einen rauchenden «schwarzen Block» in die Hochschule St. Gallen.
• 27. Januar: Farbanschläge im Aargau durch die Autonome Gruppe «Farb fürs Rüebliland». Anti-Wef-Flugblätter werden in Exemplare von «20 Minuten» geschmuggelt. Demo in Solothurn mit Aktion gegen die Temporärfirma Adecco. Anti-Wef-Konzert in Davos.
• 28. Januar: mehrstündige Demo mit 2500 TeilnehmerInnen in Basel, Reden vor diversen Firmensitzen. In Sion protestieren 300 Leute gegen den Lärm der F/A-18-Kampfjets, die das Wef beschützen. Minidemo in Davos. Kurze Bahnhofblockade in Chur. Schon wieder Farbanschläge in Zürich.
Hört das denn nie auf?
Bettina Dyttrich