Reis: Der Reis wird knapp

Nr. 21 –

Der Industrieboom in China und Agrarsubventionen in den USA führen zu einem massiven Rückgang des weltweiten Reisanbaus. Das könnte zu einer neuen Hungersnot führen.

Reis, das Hauptnahrungsmittel der Menschheit, könnte weltweit bald zu einem knappen Gut werden. Eine im Februar 2006 erschienene Studie des US-Agrarministeriums sagt bereits für die nahe Zukunft einen globalen Reismangel voraus und macht dafür den Rückgang der Agrarflächen im Hauptanbauland China verantwortlich. Der Industrieboom und seine Auswirkungen auf die Umwelt sowie der Strassenbau verschlingen dort kontinuierlich landwirtschaftliche Nutzflächen. In diesem Jahr muss das 1,3 Milliarden EinwohnerInnen zählende Land erstmals seit Jahrzehnten grössere Mengen Reis auf dem Weltmarkt einkaufen. Die erwähnte Studie geht von 720 000 Tonnen aus. Auch ein zweites bevölkerungsreiches Land in Asien, die Philippinen, hat für 2006 erstmals einen Bedarf an Reisimporten angemeldet. Das Ministerium für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung des Inselstaates orderte fast zwei Millionen Tonnen Reis aus Thailand, Vietnam, Pakistan, Australien und den USA.

Hinzu kommt: Die weltweiten Lagerbestände an Reis waren im Verhältnis zur Weltbevölkerung noch nie so gering wie heute. Allein in den letzten zwölf Monaten sollen sie von 74 auf 66 Millionen Tonnen geschrumpft sein, der grösste Teil des Rückgangs fand in China statt.

«Der Rückgang der Reisproduktion in China ist eine Tatsache», bestätigt Dagmar Yü-Dembski vom Konfuzius-Institut der Freien Universität Berlin. «In der chinesischen Öffentlichkeit wird darüber diskutiert, dass den Bauern die materiellen Anreize zum Reisanbau fehlen. Sie verdingen sich lieber als Wanderarbeiter in den boomenden Städten.» Und die verbliebenen Bauern und Bäuerinnen verdienen mehr Geld mit dem Anbau von Gemüse und Früchten wie Bambus oder Ananas für die Luxushotels an der Ostküste.

Folge des Booms

Ein ähnliches Bild beginnt sich auch im Nachbarland Vietnam abzuzeichnen. Vietnam ist jedoch trotz des Rückgangs immer noch der zweitgrösste Reisexporteur der Welt nach Thailand. Noch vor fünf Jahren war das Delta des Roten Flusses rund um Hanoi eine einzige riesige Reisanbaufläche, unterbrochen lediglich von einzelnen Wohnhäusern, Pagoden oder Friedhöfen. Selbst in den Aussenbezirken der Hauptstadt gab es Reisfelder. Heute muss man mindestens fünfzig Kilometer aus der Stadt hinausfahren, um ein Reisfeld zu sehen. In den Hanoier Aussenbezirken sind dringend benötigte neue Wohnviertel auf ehemaligen Reisfeldern entstanden. Rund um die Stadt entsteht eine Industrieanlage nach der anderen. Hanoi-nahe Bauern kultivieren inzwischen lieber Obst und Gemüse, das sie selbst auf die Märkte der Stadt fahren. Damit verdienen sie mehr als mit dem Anbau von Reis.

Im Zuge dieser Industrialisierung wurden die sozialen Strukturen zerstört, die für Reisbau erforderlich sind. Die schwere körperliche Arbeit - beim Setzen der Sprösslinge stehen die LandwirtInnen knietief im Wasser und Blutegel machen sich an ihren Beinen zu schaffen - erfordert ein hohes Mass an Arbeitsteilung in intakten Grossfamilien und Dorfgemeinschaften. Wenn die jüngeren DorfbewohnerInnen in die Industrie abwandern, brechen diese Strukturen zusammen.

Reis ernährt mehr als fünfzig Prozent der Weltbevölkerung. Für mehr als achtzig Prozent der asiatischen Bevölkerung ist Reis das Hauptnahrungsmittel. Die Weltproduktion liegt nach Angaben des amerikanischen Agrarministeriums im laufenden Jahr bei 410 Millionen Tonnen. Das ist gegenüber dem Vorjahr zwar eine Zunahme um fast acht Millionen Tonnen. Doch das Angebot steigt nicht im selben Masse wie die Nachfrage.

Das Internationale Reisforschungsinstitut (Irri) auf den Philippinen, ein mit internationalen Entwicklungshilfegeldern finanziertes Nonprofitinstitut, macht seit Jahren auf die steigende Nachfrage aufmerksam: Reis ist in Staaten mit einem raschen Bevölkerungswachstum Hauptnahrungsmittel. Jedes Jahr müssten achtzig bis hundert Millionen zusätzliche Menschen mit dem weissen Getreide ernährt werden. Die globale Reisproduktion müsste laut Berechnungen des Irri in den nächsten 35 Jahren um siebzig Prozent steigen, damit die wachsende Weltbevölkerung ernährt werden kann. Doch Bevölkerungswachstum bedeutet auch ein Wachstum der Städte, die Agrarflächen verschlingen. Zusätzlich führen Klimaveränderung und Erosion dazu, dass gutes Reisanbauland rar wird. «In Asien sind arme Bauern und Landlose gezwungen, äusserst erosionsgefährdetes oder marginales Land zu bearbeiten», konstatiert das Irri. Die Lösung ist laut dem Forschungsinstitut der Anbau ertragreicherer Reissorten: «Bis 2025 muss der Durchschnitts-Reisertrag auf acht Tonnen pro Hektar künstlich bewässerter Reisfläche und auf knapp vier Tonnen pro Hektar regenbewässserter Reisfläche ansteigen.» Heute betragen diese fünf beziehungsweise knapp zwei Tonnen. Entwicklungsorganisationen warnen jedoch vor einer zu intensiven Reisproduktion wegen des hohen Wasserverbrauchs und der daraus entstehenden Umweltschäden. Sie plädieren stattdessen für die Wiederaufwertung einheimischer Sorten sowie die Förderung von Anbaumethoden, die zur Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit führen und die Umwelt schonen.

Eigennützige Motive

Die britische Entwicklungshilfeorganisation Oxfam macht die Politik der reichen Industriestaaten, insbesondere der USA, dafür verantwortlich, dass in Entwicklungsstaaten zunehmend die Anreize fehlen, Grundnahrungsmittel anzubauen. Die Industriestaaten missbrauchten laut Oxfam internationale Organisationen wie die Welthandelsorganisation WTO, den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank, um ihre hoch subventionierten Agrarüberschüsse in den Entwicklungsländern abzusetzen. Das vernichte bäuerliche Existenzen in den ärmsten Regionen, konstatiert Oxfam. 2003 subventionierten die USA ihre Reisernte mit 1,3 Milliarden Dollar. Das ermöglichte es ihnen, Reis zu 34 Prozent unter den Produktionskosten auf den Weltmarkt zu werfen und dadurch armen Ländern in Afrika und Lateinamerika massiv zu schaden.

Dazu kommt: Wollen Entwicklungsländer Kredite aufnehmen, müssen sie ihre Landwirtschaft auf devisenbringende, exportorientierte Produkte umstellen, damit sie ihre Schulden an die Industriestaaten zurückzahlen können. Die Reduktion des Anbaus der Grundnahrungsmittel wird dabei laut Oxfam von den Geldgebern nicht nur in Kauf genommen, sondern regelrecht begrüsst. Während Schwellenländer von dieser «Umstellung» profitieren, müssen die ärmsten Entwicklungsländer mehr Geld für den Import von Grundnahrungsmitteln verwenden, als sie durch ihre Exporte einnehmen. Wenn ein Entwicklungsland von den Vorteilen der Welthandelsorganisation profitieren wolle, forderten die Industriestaaten eine Öffnung des nationalen Markts für Importe, kritisiert Oxfam.

Beispiel Haiti: Unter dem Druck des Internationalen Währungsfonds wurde das zentralamerikanische Land 1995 gezwungen, die Importzölle für Reis von 35 Prozent auf nur 3 Prozent zu senken. Als Ergebnis stieg der Reisimport in neun Jahren um 150 Prozent. Heute kommen drei von vier Portionen Reis, die in Haiti gegessen werden, aus den USA. Die rund 50 000 einheimischen Reisbauern und -bäuerinnen sind die grossen VerliererInnen: Sie gehören nunmehr zu den Ärmsten in diesem ohnehin ärmsten Land Lateinamerikas. «Reiche Länder fordern von armen Ländern, ihre Handelsbarrieren zu beseitigen, und zugleich fahren sie fort, eigene Überproduktion und Dumping zu fördern. Ihre eigennützigen Motive könnten nicht offensichtlicher sein», sagt Phil Bloomer von Oxfam.

Erstmals seit langem steigt der Reispreis im laufenden Jahr weltweit. Auch in europäischen Supermärkten ist Reis teurer geworden. Der Berliner Gosshändler Le Luong Can, der Reis aus Thailand und Vietnam bezieht, musste im März einen Anstieg von 9,70 auf 10,72 Euro auf den Zwanzigkilosack hinnehmen. «Meine Lieferanten sagen mir, die Chinesen kaufen ihnen riesige Bestände ab und sind bereit, dafür jeden Preis zu zahlen.» Für den Monat Mai haben ihm die Lieferanten einen neuen Anstieg prognostiziert und dies mit der steigenden Nachfrage in den Philippinen begründet. Die Exportstaaten reagieren auf die neue Situation: Thailand, der grösste Reisexporteur weltweit, plant gemeinsam mit Vietnam, Indien und Pakistan, seine Exportstrategien für Nahost und Afrika abzustimmen. Rachane Potjanasutom vom Thailändischen Handelsministerium sagte im April gegenüber Medien, in der Vergangenheit hätten die Reisanbieter oft die Preise reduziert, um miteinander konkurrieren zu können. Doch der Markt der Zukunft würde es ihnen erlauben, anders aufzutreten. Eine neue Hungersnot dürfte da nur noch eine Frage der Zeit sein.

Das US-Agrarministerium prognostiziert, dass die weltweiten Reisvorräte bald nicht mehr reichen, und freut sich, in einem solchen Fall seinen Weizenüberschuss Gewinn bringend absetzen zu können. Wohlhabende AsiatInnen sollen nach dem Wunsch der amerikanischen Agrarlobby auf den Geschmack amerikanischer Fastfoodprodukte auf Weizenbasis kommen.


Reis in Zahlen

Jährliche Produktion: 410 Millionen Tonnen

Globaler Lagerbestand: 66 Millionen Tonnen

Internationaler Reishandel: Weniger als zehn Prozent der globalen Produktion. Der Rest wird für den Eigenbedarf produziert.

Die zehn wichtigsten Anbauländer: Bangladesch, Brasilien, China, Indien, Indonesien, Japan, Myanmar, Philippinen, Thailand, Vietnam.

Reis ernährt fünfzig Prozent der Weltbevölkerung. Für achtzig Prozent der asiatischen Bevölkerung ist Reis das Hauptnahrungsmittel.

(Zahlen von 2005)