Jürgen Theobaldy: Beständigkeit rund um die Uhr
Mit «24 Stunden offen» legt der 1944 in Strassburg geborene, seit vielen Jahren in der Schweiz, heute in Bern lebende Jürgen Theobaldy einen neuen Gedichtband vor. Es ist die direkte Sprache, der natürliche, unaufgesetzte Sprachfluss, der unter Theobaldys Händen locker zur lyrischen Konzentration gerinnt und die LeserInnen in seinen Bann schlagen wird. So sehr, dass sie «24 Stunden offen» gleich zwei- oder dreimal lesen.
Im Nachwort «Kontrollierte Erfahrung, freie Momente» erzählt Theobaldy, dass ein Teil der in dem neuen Band publizierten Gedichte aus alten subkulturellen Magazinen aus den siebziger Jahren stammt, aus dem «Fröhlichen Tarzan», aus «Benzin» und «Gasolin 23»: «Gedichte, lange aus den Augen verloren und erst wieder in Händen gehalten, als ich eine verstaubte Kiste vom Dachboden schleppte, um nach Briefen von Nicolas Born zu suchen.» Der Staub konnte den Gedichten allerdings nichts anhaben; sie leuchten in alter Frische und schliessen sich nahtlos an Theobaldys jüngere Texte an. Nicht selten sind es Situationen und Stimmungen, wie sie uns schon begegnet sind, oder eine Erinnerung, eine von vielen geteilte Erfahrung, aus denen diese Gedichte entstehen. Wie hier, wo einer auf dem Bett liegt und Musik hört:
«Woher die Töne im Zimmer? / Doch nicht vom Riemen / meines quietschenden Plattenspielers! / Die Stimmen sinds, die darauf kreisen, / all der toten Sänger mit ihren schnaufenden Vätern, / erstickt zuletzt, zu früh, in der eigenen Kotze, / die Stimmen sinds der toten Sängerinnen, / die bumsen wollten und Whisky lutschen / und versonnen hinausschauen / vom letzten Rastplatz mit dem Emblem / eines geplatzten Reifens / auf die letzten Kilometer zum Paradies.»
Ein schönes, nostalgisch aufgeladenes Stück, das an Jimi Hendrix und Billie Holiday denken lässt. Es hat in seiner existenzialistischen Sehnsucht sozusagen rund um die Uhr Beständigkeit, kann auch noch um vier Uhr in der Frühe gelesen werden und in diesem Sinn getrost «24 Stunden offen» haben - wie eine gute Bar.
Jürgen Theobaldy: 24 Stunden offen / Gedichte. Verlag Peter Engstler. Ostheim/Rhön 2006. 124 Seiten. Fr. 22.40