Kloster: Eine autonome Republik

Nr. 40 –

Ökonomische Spielregeln gelten auch für Klöster. Wie die geografische Lage und das Profil über das finanzielle Überleben einer Gemeinschaft entscheiden.

Umberto Ecos «Der Name der Rose» hätte statt im deutschen Kloster Eberbach auch hier verfilmt werden können. Mit jedem Schritt durch die strassenbreiten, düsteren Gänge im Benediktinerkloster Disentis wird der Gast ein bisschen kleiner. Im zweiten Stock fällt Licht aus einer offen stehenden Tür auf den Steinboden und weist den Weg zum obersten Mann im Haus, zu Abt Daniel. Der Mann ist hager in seiner schwarzen Soutane, sein Blick prüfend, der Gang rasch und leise, und das faustgrosse silberne Amulett auf der Brust erinnert an mittelalterliche Geheimbünde. Doch was ihn gerade umtreibt, sind die Brandschutzvorschriften des Kantons Graubünden.

Diese kosten das Kloster viel Geld, denn weder im öffentlichen Vortragssaal der barocken Anlage noch im Schulhaus der Klosterschule entspricht der Brandschutz den kantonalen Bestimmungen. «Alles Geld für nichts, nur damit wir auf dem aktuellen Standard sind», sagt Abt Daniel. Den aber müssen die Benediktiner halten, denn ohne das angeschlossene Gymnasium gäbe es das 1300 Jahre alte Kloster wohl nicht mehr. Der Schulbetrieb sichert den dreissig Mönchen das finanzielle Überleben. «Wir sind ein komisches Kloster», sagt Abt Daniel, doch sein Lachen ist freudlos. «Normalerweise lebt die Schule vom Kloster, wir aber leben von der Schule.»

Das Kloster Disentis ist so wenig Ausnahme wie Normalfall, denn beides gibt es nicht. Die Situation eines jeden Klosters ist speziell. Die Benediktiner sind eine von 194 katholischen Gemeinschaften, welche deren Dachorganisation Konferenz der Vereinigungen der Orden und Säkularinstitute (Kovoss) in der Schweiz zählt. Darunter sind Benediktiner, Kapuziner oder Dominikanerinnen, zuzurechnen den kontemplativen, apostolischen oder missionarischen Orden. Gemeinsam haben sie die Verpflichtung, selbst für ihren Unterhalt aufzukommen, denn Klöster erhalten als Institutionen nichts von der Kirchensteuer.

Einnahmequelle AHV

Die Lösung heisst folglich: «Die Mönche und Nonnen müssen ihre Arbeitskraft einsetzen», so Walter Müller, Sprecher der Schweizer Bischofskonferenz in Freiburg. Die aber schwindet, denn ein grosser Teil der Ordensbrüder und -schwestern ist im Pensionsalter. «Eine wichtige Einnahmequelle ist die AHV», sagt denn auch Schwester Susanna von der Kovoss. Die Rente beträgt jedoch «für praktisch alle Ordensleute das Minimum». Gesamtschweizerische Zahlen über die Finanzlage der Klöster gibt es nicht, die Übersicht hat jeweils nur die betreffende Institution. Die finanzielle Situation sei für viele Gemeinschaften jedoch «belastend». So übernehmen Mönche und Nonnen in den Gemeinden Pfarrei- oder Lehrstellen, arbeiten als Krankenschwestern oder Seelsorger in sozialen Einrichtungen, waschen die Wäsche für Grossbetriebe oder fertigen Kunsthandwerk. Mancherorts wirft der Grundbesitz Geld ab. Auch Spenden fliessen, in unterschiedlicher Höhe. Manche Gemeinschaft muss eine grosse Klosteranlage unterhalten, eine andere nur ein kleines Haus. Wieder andere Klöster haben sich als Wallfahrtsort etabliert. Viele haben ihre Türen für Menschen geöffnet, die sich ein paar Tage in die Stille einer religiösen Gemeinschaft zurückziehen wollen, genannt werden sie «Gäste auf Zeit».

Willkommener Zusatzverdienst

InteressentInnen gab es ständig mehr, sodass die Kovoss beschloss, «das Ganze professionell aufzuziehen», sagt Schwester Susanna. Im Jahr 2000 brachte die Dachorganisation erstmals die Broschüre «Innehalten» heraus. Darin sind knapp hundert katholische Gemeinschaften aufgelistet, die für einige Tage BesucherInnen aufnehmen. Gastfreundlich sind Klöster immer schon gewesen, voll belegt ist keines mehr. Und die Beiträge für Kost und Logis sind, wenn auch moderat, ein willkommener Zusatzverdienst, für manches Kloster sogar eine Haupteinnahmequelle. Nun erscheint die vierte Auflage der Broschüre, 34 000 Exemplare sind bereits vergriffen. Die älteste Niederlassung der Kapuziner nördlich der Alpen, das 1581 gegründete Kloster in Altdorf, liegt oberhalb von Weinbergen am Hang. Aus dem Dorf führt ein steiler Fussweg an einer niedrigen Steinmauer entlang hoch zur Pforte des kleinen Klosters. Neben der Klingel hängen in einem Schaukasten Informationen zum Haus und Farbfotos der sechs Kapuzinerbrüder. «Lieblingsessen: Spaghetti mit Gorgonzolasauce» steht da bei einem Pater, ein Bruder schreibt zum Stichwort «Das finde ich an uns Kapuzinern typisch»: «Wir sprechen gerne vom Essen.» Die Leibesfülle des Bruders, der wenig später die Tür öffnet, lässt keinen Zweifel daran, dass sie nicht nur gerne davon sprechen.

Zum Kloster gehört das Haus der Stille, in dem es während 35 Wochen im Jahr wechselnd für männliche und weibliche Gäste auf Zeit Platz hat. Es wurde als eines der ersten Angebote dieser Art in den siebziger Jahren von den Ordensbrüdern in Arth gegründet. Nach zwanzig Jahren mussten sie das Kloster aufgeben, und das Haus der Stille siedelte 1997 nach Altdorf über.

Eutonische Übungen

Es ist Männerwoche in Altdorf, und alle sieben Gästezimmer sind belegt. Am Vorabend sei beim Abendessen einer hereingeschneit, unangemeldet, ein Künstler, der wohl Abstand brauche, sagt Pater Anton. Da ein Zimmer für einen Bruder erst nächstes Jahr neu besetzt wird, haben sie ihm ausnahmsweise einen Platz geben können. Pater Anton, 68, ist der Guardian oder Vorsteher des Klosters. Er führt in grauer Stoffhose und grau kariertem Hemd durch das verwinkelte Gebäude. Die braunen Mönchskutten werden geschont und hängen an der Garderobe. Der Pater mit den hellen Augen und dem weissen Haarkranz zeigt das Refektorium mit Bauernstubenflair und Panoramablick, danach die Bibliothek, erwähnt das Institut für Spiritualität, das er in Münster gegründet hat, und die über siebzig Bücher, die seinen Namen tragen. Im Dachstuhl endet der Rundgang vor einem schlauchförmigen Fremdkörper, der sich als Meditationsraum entpuppt. «Hier machen wir morgens um zehn nach sechs Uhr eutonische Entspannungsübungen», sagt Pater Anton. Der mit Pressspanplatten verkleidete, winters wie sommers angenehm klimatisierte Kokon ist besetzt. Ein junger Mann sitzt im Schneidersitz auf einer Wolldecke und meditiert. Ein Computermann, der Stress habe, raunt der Pater.

Brüder in der Minderheit

Über den finanziellen Aspekt der Auszeitwoche spricht Pater Anton nicht so gerne. Der Richtpreis liege nur bei 300 bis 600 Franken pro Woche und Person. Viel wichtiger als das Geld sei ja das Motiv für das Haus der Stille: Die Gottsuchenden aufzunehmen und jene, die den Sinn im Leben nicht mehr finden, Beziehungsprobleme nicht bewältigen könnten, nicht wüssten, was sie mit ihrer zweiten Lebenshälfte anfangen sollten. Das Interesse daran zeige, dass das Haus der Stille ein sinnvolles Angebot sei. «Das Problem ist nicht die Nachfrage, sondern viel eher: Wie lange können wir das noch anbieten?», sagt Pater Anton. «Wenn einem von uns etwas zustösst, dann sind wir personell in der Enge.» Zwei Brüder teilten sich eine Seelsorgerstelle im Spital der Gemeinde, sagt er. Pater Anton muss sich weniger Gedanken über die Finanzlage des Klosters als über die Grösse des Altdorfer Ordens machen. Irgendwann ist die kritische Grenze erreicht, und er kann nicht mehr autark existieren. Schon jetzt sind die Brüder bei Vollbelegung gegenüber den Gästen in der Minderheit.

Die Gemeinschaft ist klein, die Zahl der Angestellten noch kleiner. Das Gebäude gehört der Korporation Uri, die dem Orden darüber hinaus eine jährliche Summe zuschiesst. Die Kapuziner tragen nur die Betriebskosten und sorgen für die Instandhaltung. Der Bau ist jünger, als das Gründungsjahr vermuten lässt: Nach einem Grossbrand wurde das Gebäude 1806 komplett neu errichtet. Kirchenschätze in der kleinen, weitgehend schmucklosen Kirche gibt es nicht.

Ein Tal ohne Kinder

Die Nachwuchssorgen im Orden gehören zu den wenigen Dingen, die die Klöster Altdorf und Disentis verbinden. Natürlich gibt es auch in Disentis das Angebot «Gäste auf Zeit», denn «wir sind ein spiritueller Ort», so Abt Daniel. Doch aus finanzieller Sicht sei das irrelevant. «Wir haben sechzig Angestellte und eine jährliche Lohnsumme von vier Millionen Franken. Wo sollen die herkommen?» Vor vierzig Jahren habe man das Lehrpersonal an der Schule noch selbst gestellt, «da ist das Geld dann direkt in den Erhalt des Klosters geflossen». Inzwischen unterrichten noch acht Brüder, darunter auch der 65-jährige Abt, und 21 externe Lehrer sind angestellt.

Bislang finanzieren die Benediktiner das Kloster, die Mittelschule und das Internat vor allem über den Pauschalbetrag, den sie vom Kanton für jeden Bündner Schüler erhalten. Die Situation der Schule ist schwierig. Zum einen könnte die Einführung von Oberstufenzentren im Kanton das sechsjährige Gymnasium gefährden. Das andere Problem ist demografischer Art: «Es gibt in diesem Tal keine Kinder mehr. Woher holen wir die Schüler?» Rund 22 000 Menschen leben noch im Bezirk Surselva. Sinkt die derzeitige Schülerzahl von 200 auf unter 160, muss Abt Daniel das Gymnasium zusperren.

Kloster als Wirtschaftsunternehmen - das ist längst Realität. Damit gewinnen Faktoren wie die Lage des Gebäudes und die Grösse der Gemeinschaft an Bedeutung. Ein barocker Klosterkomplex könnte TouristInnen, eine Reliquie PilgerInnen anziehen. Grundbesitz muss PächterInnen finden, die Land- oder Forstwirtschaft betreiben und einen Überschuss erwirtschaften können. Immobilien brauchen Nachfrage und zahlungsfähige MieterInnen.

All das ist im Bündner Oberland kaum möglich, einem Tal, das bis Anfang des vergangenen Jahrhunderts ein Selbstversorgertal war und das bei den Raumplanern als «alpine Brache» gilt. Ein 300 Jahre alter Barockbau und eine Kirche müssen saniert werden. Veranschlagt ist dafür in den kommenden zehn Jahren ein Bedarf von dreissig Millionen Franken. «Die Lage ist absolut drängend und dramatisch», sagt Abt Daniel, und es klingt fast lakonisch, so oft hat er es schon gesagt und noch viel öfters sich vor Augen gehalten. «Die ganze Last, dieses kulturelle Erbe zu tragen, liegt auf uns.» Jede BenediktinerInnengemeinschaft wirtschaftet allein, gebunden ist sie nur an ihren spirituellen Auftrag. «Wir sind eine autonome Republik, und das wird je länger, je schwieriger,» sagt der Abt.

Elektrolyse hinter Klostermauern

Deshalb starteten die Benediktiner vor fünf Jahren einen Spendenaufruf und gründeten eine Stiftung. Sie soll Geld sammeln für die Renovation der Klosterkirche, für den Bau eines Mädcheninternats und einen Stipendienfond für begabte SchülerInnen. Beschaffen soll das Geld ein neuer Geschäftsführer, der «Marketing fürs Kloster» machen soll. Hundert Bewerbungen gingen für den Posten ein, erste Gespräche hat der Klostervorsteher geführt: «Natürlich ist es eine Gratwanderung. Benedikt sagt, dass ein Abt nicht in erster Linie finanzielle Sorgen haben soll. Aber hier geht es um den Fortbestand des Klosters.»

So weit wie in der Abbaye d'Acey im französischen Teil des Jura werden die Disentiser wohl trotzdem nicht gehen. Dort haben die Mönche vor einigen Jahren ihre Viehwirtschaft zugunsten einer Chemieanlage aufgegeben, die in das Klostergebäude gebaut wurde. Zwischen den täglich sieben Gebeten überwachen die Zisterzienserbrüder Maschinen, die Metallteile beschichten. Die Arbeit mag wenig besinnlich erscheinen, hat das Kloster aber wieder in schwarze Zahlen gebracht.