Fremdenhass in Italien: Staatsfeind Handtaschendieb

Nr. 45 –

Der Römer Bürgermeister Walter Veltroni ruft den «Rumänennotstand» aus. Das Land scheint nur noch ein Problem zu kennen.

«Beeil dich, meine Geduld ist gleich zu Ende!» Unwirsch treibt der Polizist die Romafrau zur Eile. Sie versucht gerade, ihrem dreijährigen Sohn ein Hemdchen über den Kopf zu ziehen; sein grösserer Bruder schaut durch das Fenster der Baracke nach draussen, doch sein Blick ist leer, alle paar Sekunden schlägt er mit der Stirn gegen die Plastikscheibe. Nein, ausser ihren drei Kindern darf die Frau nichts mitnehmen aus ihrer Sperrholzbaracke. «Deine Sachen kannst du später holen», treibt der Beamte sie an und weist ihr den Weg zur Gruppe von zwanzig Erwachsenen und vierzig Kindern, die schon am Strassenrand auf der Bordsteinkante hocken, umstellt von zahlreichen PolizistInnen.

Die eingeschüchterten, verängstig-ten Menschen wollen wissen, was mit ihnen passiert. «Nichts», lügt einer der Uniformierten, «bloss eine Kontrolle, und du da hinten, setz dich wieder hin, und bleib an deinem Platz!» Frei bewegen darf sich dagegen der extra einbestellte Kameramann des Staatssenders Rai, der die Kinder mit den verklebten Haaren filmt, die Elendsbaracken und verrosteten Wohnwagen, die da im Schlamm stehen, draussen vor Rom, schon fast am Flughafen Fiumicino. Der Einsatzleiter ist prächtiger Laune. Aus seinem Mund hört sich das mit der «blossen Kontrolle» ganz anders an. «Die Fahrzeuge werden alle beschlagnahmt, die sind teils gestohlen, teils ohne Versicherung. Und dann wird das Lager abgerissen.» Ein Lächeln umspielt seinen Mund. «Wir lassen die in Unterhosen stehen.»

Ein Mord als Auslöser

Vahid sagt, er sei vierzehn Jahre alt. «Ich bin in Italien geboren, wir alle hier haben eine Aufenthaltserlaubnis.» Aus Bosnien stammt die Sippe der Osmanovics und Sulejmanovics. «Wir sammeln Alteisen, wir haben niemandem etwas zuleide getan.» Sein Cousin Zarko zeigt seine Aufenthaltserlaubnis, gültig auch für den fünfjährigen Sohn Adriano. Der braucht medizinische Behandlung und darf deshalb in Italien bleiben. Der Sippenälteste holt Kopien hervor von einem Prozess, den die Familie gegen den italie-nischen Staat vor dem Europäischen Gerichtshof in Strassburg gewonnen hat. Es ging um eine Ausweisungsverfügung aus dem Jahr 2001. «Wir sind doch gar keine Rumänen», sagt er.

Aber sie sind Roma, «Rom» auf Italie- nisch, das klingt fast so wie «Romeni». Vielen BürgerInnen und PolitikerInnen sind solche feinen Unterschiede recht egal. Schliesslich herrscht «Rumänennotstand» in der Stadt, im ganzen Land. Begonnen hatte es mit einem Mord am Dienstag vergangener Woche: Ein 24-jähriger rumänischer Rom hatte eine 47-jährige Römerin überfallen, vergewaltigt und dann immer wieder mit einem Stein auf sie eingeschlagen; nach zwei Tagen im Koma starb das Opfer.

Der Täter wurde sofort gefasst. Doch eigentlich ist das zweitrangig. Roms Bürgermeister und frisch gekürter Vorsitzender der neu gegründeten Demokratischen Partei, Walter Veltroni (sie-he nächste Seite), war es, der sofort den «Notstand» ausrief, der «die Rumänen» zum Problem erklärte. Veltroni griff zum Telefon, rief erst einmal den rumänischen Ministerpräsidenten an und stauchte ihn zusammen: «Europa kann nicht bedeuten, dass Rumänien einfach die Schleusen öffnet.» Der nächste Anruf ging an Italiens Innenminister Giuliano Amato. Umgehend trat am Mittwochabend das Kabinett von Ministerpräsident Romano Prodi zu einer Sondersitzung zusammen und beschloss in aller Eile ein sofort wirksames Gesetzesdekret, das die sofortige Ausweisung nicht bloss krimineller EU-BürgerInnen erlaubt, sondern auch all jener, die den Behörden als «Gefahr für die öffentliche Sicherheit» gelten - selbst wenn sie gar nichts verbrochen haben.

Rumänischer Polizist fürs TV

Sofort meldeten PräfektInnen im ganzen Land Vollzug, vier Ausweisungen in Mailand, drei in Rom, siebzehn in Florenz. Durch die Presse geis-tern Zahlen, wonach allein in Rom bis zu 20 000 Menschen vor allem aus Rumänien betroffen sein könnten. «Vor dem 1. Januar 2007, vor Rumäniens Eintritt in die EU, war Rom die sicherste Stadt der Welt», klagt Veltroni. Aber damit sei es jetzt vorbei. 75 Prozent aller Festgenommenen in der Stadt seien RumänInnen. Selbst die linke Tageszeitung «l'Unità» greift zu einem ebenso schiefen wie rassistischen Bild, um dem Bürgermeister recht zu geben. Italiens Grossstädte seien «wie der Honig für einen unkontrollierten Fliegenschwarm, der aus Osteuropa kommt».Nun rücken in Rom und anderen italienischen Städten Tag für Tag Polizeistaffeln aus, um die Lager der Roma zu räumen.

Am Rande der Szene steht tatenlos ein grosser, breiter Mann in schwarzer Lederjacke. Er stellt sich als rumänischer Polizist vor, extra am Donnerstag mit einigen anderen aus Bukarest eingeflogen, «um den italienischen Kollegen zu helfen». Am nächsten Tag ist er dann wieder dabei, steht sich bei der Räumung des BosnierInnenlagers die Beine in den Bauch, aber zur Bebilderung des «Notstands» taugt die internationale Amtshilfe allemal.

Notstand. Dieses Wort wird Italiens BürgerInnen in jeder Nachrichtensendung eingehämmert. Auch die Nachrichtenagenturen lassen jetzt selbst einen Schokoladendiebstahl über den Ticker laufen - wenn der Langfinger ein Rumäne war. Am Samstag liessen die Carabinieri gleich einen Helikopter über dem grössten Romalager von Rom kreisen, während unten Dutzende BeamtInnen Baracken durchsuchten. Der Anlass: Die Fahnder «vermuteten», dass sich im Lager ein Handtaschendieb aufhalten könne. Schliesslich hatte das Opfer gesagt, der Täter sei, na was wohl, «vielleicht ein Rumäne» gewesen.

Mehr als 600 000 RumänInnen leben mittlerweile legal in Italien. Kaum eine Baustelle, auf der nicht Arbeiter aus Rumänien beschäftigt sind. In Tausenden italienischen Haushalten arbeiten Rumäninnen als Putzfrauen und Altenpflegerinnen. Als grösste Immigrant-Innengruppe verüben RumänInnen auch die meisten Straftaten: 2006 stellten sie etwa fünfzehn Prozent der AusländerInnen - und verübten zum Beispiel auch fünfzehn Prozent der von AusländerInnen begangenen Morde. Deutlich überrepräsentiert sind sie dagegen bei Autodiebstählen und Wohnungseinbrüchen - und oft sind die TäterInnen tatsächlich Roma. Roma, die - ob aus Rumänien, Bosnien oder Montenegro - seit Jahren relativ problemlos nach Italien einreisen konnten, um dort dann ihrem Elend überlassen zu bleiben.

Jetzt aber ist es mit der «Laxheit» (so die PolitikerInnen aller Lager) vorbei. Die Baracken werden niedergewalzt, und die Roma genauso wie die Rumän-Innen gelten als Staatsfeinde.

Angst habe er, sagt Mihaj. «Ich bin Rumäne», presst er hervor, «soll ich etwa sagen, ich sei Pole?» Als Tagelöhner auf dem Bau schlägt er sich durch, abends bleibt er jetzt lieber zu Hause. Der Grund: Am Freitagabend rückte ein Rollkommando von zehn vermummten, mit Knüppeln und Messern bewaffneten Jugendlichen aus und schlug auf dem Parkplatz eines Supermarktes im Stadtrandviertel Tor Bella Monaca vier Rumänen zusammen. Einer wurde schwer verletzt. Bürgermeister Veltroni zeigte sich entsetzt; die «Kultur des Hasses» sei der Stadt Rom fremd. In Tor Bella Monaca sehen die Menschen das anders. Sie sagen in die Fernsehkameras, der Überfall sei doch «nur zu verständlich». Schliesslich könne es mit «den Rumänen» so nicht weitergehen.

Sind die Ausweisungen EU-konform?

Die italienische Regierung beruft sich bei den angekündigten Ausweisungen rumänischer BürgerInnen auf eine Richtlinie der Europäischen Union von 2004. Diese erlaubt den EU-Staaten, das Aufenthaltsrecht der EU-BürgerInnen in anderen EU-Ländern aus Gründen der «öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit» zu beschränken. Allerdings ist dabei «der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu wahren». Für eine Ausweisung ist «ausschliesslich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend». Kollektivausweisungen, wie sie Italien angekündigt hat, sind nicht zulässig. Jeder einzelne Fall muss geprüft werden. Eine strafrechtliche Verurteilung genügt gemäss EU-Richtlinie «nicht ohne weiteres». Grundsätzlich darf sich jedeR EU-BürgerIn drei Monate in jedem EU-Land frei bewegen. Das Recht auf Aufenthalt über die drei Monate hinaus gilt für «Arbeitnehmer oder Selbständige» wie auch für Schüler, Studentinnen und Lehrlinge. Ausserdem für alle, die beweisen können, dass sie der Sozialhilfe nicht zur Last fallen. Wer «rechtmässig» fünf Jahre lang in einem anderen EU-Land lebt, «hat das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten».



Daniel Stern