Italien: Römisches Pingpong
Wieder einmal ist eine Regierung gescheitert, wieder einmal tritt Silvio Berlusconi zu Neuwahlen an. Doch die Stärke der Rechten resultiert vor allem aus der Schwäche von Mitte-Links.
Nach 618 Tagen war die italienische Mitte-links-Regierung unter Ministerpräsident Romano Prodi am Ende. Ob bereits im April Neuwahlen stattfinden oder erst noch eine Übergangsregierung mit der Reform des Wahlrechts beauftragt wird, ist bei Redaktionsschluss offen. Der Anführer des Rechtsblocks Casa delle Libertà, Silvio Berlusconi, drohte für den Fall, dass nicht zum frühestmöglichen Termin gewählt wird, mit dem Druck der Strasse: Dann würden «Millionen» von ItalienerInnen nach Rom marschieren. Umberto Bossi von der Regionalpartei Lega Nord kündigte sogar an, seine AnhängerInnen würden sich notfalls auch Waffen zu besorgen wissen.
Angesichts solcher Drohungen dürften Staatspräsident Giorgio Napolitanos Appelle an das «nationale Verantwortungsgefühl» ihre Wirkung verfehlen: Die im April 2006 unterlegene Allianz der Mitte-rechts-Parteien will die Revanche, und zwar sofort. Erst die Agonie der Regierung Prodi hat den massiven Streitigkeiten unter den Rechten ein vorläufiges Ende gesetzt; nun soll der greifbar nahe scheinende Sieg nicht verspielt werden. Dass der Rechtsblock zum fünften Mal seit 1994 mit dem mittlerweile 71-jährigen Berlusconi als Spitzenkandidat antreten wird, versteht sich beinahe von selbst. Gianfranco Fini (Alleanza Nazionale) und die anderen mehr oder weniger starken Männer der Rechten, die Berlusconi lieber heute als morgen beerben wollen, müssen sich weiter gedulden.
Knappe Mehrheit
Die Stärke der Rechten resultiert aus der Schwäche von Mitte-Links. Formal ist Prodi an einem absurden Wahlsystem und einer Handvoll ÜberläuferInnen gescheitert: Während die Regierung in der Abgeordnetenkammer über eine komfortable Mehrheit verfügte, hatte sie im Senat zu Anfang der Legislaturperiode gerade mal drei Stimmen mehr als die Opposition. Nach dem Lagerwechsel mehrerer Senatoren der bürgerlichen Mitte war die Mehrheit dahin. Die Vertrauensabstimmung, die Prodi dann am 24. Januar erzwang, machte diese Verschiebung offensichtlich. Ohne eine Mehrheit im Senat lässt es sich nicht regieren.
Gerade mal 25 000 Stimmen hatten im April 2006 über Sieg oder Niederlage entschieden. Es wäre also dringend geboten gewesen, die hauchdünne rechnerische Mehrheit wenigstens nachträglich in eine politische Mehrheit zu verwandeln. Die originellste Begründung, warum das nicht funktioniert hatte, lieferte Berlusconi: Italien sei zwanzig Monate lang «in der Gewalt einer externen revolutionären Minderheit» gewesen, die nicht nur der parlamentarischen Linken, sondern auch Prodi ihren Willen aufgezwungen habe: «Prodi konnte in diesen Monaten zu den Diktaten der extremen Linken nur Ja sagen, und auch sonst niemand an seiner Stelle hätte etwas anderes tun können.» Was wie Mitleid klingt, ist in Wahrheit Kalkül: Prodi, der Verlierer, sei die schärfste Waffe der Opposition, erklärte Berlusconi an anderer Stelle; sein Scheitern soll den ItalienerInnen am Wahltag noch in frischer Erinnerung sein - auch deshalb sollen die Wahlen möglichst schnell stattfinden.
Überall Kontinuität
Allerdings hat Berlusconis «Analyse» mit der Realität nichts zu tun. Die Regierung Prodi hat kaum etwas hinterlassen, das «linke ExtremistInnen» erfreuen könnte. Zumindest nichts Konkretes: Etliche Gesetzesvorhaben konnten nicht zu Ende geführt werden oder wurden so weit verwässert, dass vor allem die christdemokratische Mitte - also der rechte Flügel der Regierungskoalition - zufrieden sein kann: So werden gleichgeschlechtliche Partnerschaften auch zukünftig diskriminiert, und in der Flüchtlingspolitik gibt es keine Abkehr von der Repressionspolitik der rechten Vorgängerregierung - man hat nur einige der für ihre menschenunwürdigen Zustände berüchtigten Auffangzentren für Flüchtlinge geschlossen.
Einen greifbaren Erfolg erzielte Prodi allein bei der Sanierung des Staatshaushaltes, unter anderem durch effektive Massnahmen gegen die Steuerhinterziehung. RentnerInnen, schlecht bezahlte Angestellte und die Millionen in Armut lebenden Familien können sich dafür allerdings nichts kaufen - ihnen geht es nicht besser als unter Berlusconi. Gerade durch eine andere Wirtschafts- und Sozialpolitik hätten sich aber Mehrheiten gewinnen lassen. Und auch in der Aussenpolitik setzte die Regierung Prodi auf Kontinuität. Der Ende 2006 vollzogene Abzug der italienischen Truppen aus dem Irak blieb das einzige Zeichen für einen aussenpolitischen Neuanfang. In Afghanistan soll italienisches Militär auch weiter präsent bleiben, und den Ausbau der US-Basis in Vicenza verteidigte Prodi gegen alle Widerstände einer breiten Protestbewegung.
Die Linke und der Regenbogen
Auf die parlamentarische Linke wirkte Prodis Rücktritt wie eine Befreiung: Umgehend verkündeten die Parteien, nicht länger gegen ihre Überzeugung für die Fortsetzung des Afghanistaneinsatzes zu stimmen. Zugleich sind die kleinen Parteien aber massiv unter Druck geraten. Der neu gegründete Partito Democratico unter dem Vorsitz von Roms Bürgermeister Walter Veltroni (siehe WOZ Nr. 45/07) will bei Neuwahlen allein antreten und allenfalls bei der Senatswahl Absprachen treffen.
Um nicht zerrieben zu werden, haben deshalb die Grünen, die kommunistischen Parteien Rifondazione Comunista (RC) und Comunisti Italiani (PdCI) sowie die Sinistra Democratica einen Fusionsprozess in einem eigenständigen linken Block vorangetrieben, der nach dem Gründungskongress Anfang Dezember aber bereits ins Stocken geraten ist. Die inhaltlichen Gemeinsamkeiten der neuen Formation mit dem schönen Namen La Sinistra e l'Arcobaleno (Die Linke und der Regenbogen) sind allerdings noch vage. Immerhin: Eine Streitfrage dürfte sich der Linken in absehbarer Zukunft nicht mehr stellen. Die Debatte darüber, ob man eine auf die Mitte orientierte Regierung Veltroni stützen oder lieber in die Opposition gehen soll, ist müssig. Denn ein Comeback von Berlusconi und seinen rechten PartnerInnen ist mehr als wahrscheinlich.
Veltroni tröstet sich damit, dass der siegreiche Rechtsblock - insbesondere wenn das gegenwärtige Wahlrecht beibehalten wird, das die kleinen Parteien begünstigt - bald die gleichen Probleme bekäme wie Mitte-Links. Dann käme die Zeit für ganz neue Bündniskonstellationen. Selbst eine grosse Koalition, getragen von Berlusconis Forza Italia und dem Partito Democratico, wäre dann nicht mehr auszuschliessen.