Eine kleine Geschichte der Schweizer Kampfflugzeuge (1. Folge, 1914 bis 1939): Junggesellen in Gottes Nähe
Die zwei Gründungen der Flugwaffe Mit null Piloten und null Maschinen startet die helvetische Fliegerabteilung in den Ersten Weltkrieg. Lange bleibt sie klein, unbedeutend und günstig. Militärfliegerei ist schon damals teuer. Deshalb erhält die Flugwaffe erst 1930 richtige Kampfflugzeuge.
«Das schwierigste, ja wir möchten sogar sagen dunkelste Kapitel war die Flugzeugbeschaffung - und ist es auch während der nächsten 25 Jahre geblieben!
Erich Tilgenkamp, «Schweizer Luftfahrt», 1942
Die ersten Flugzeuge, die vor knapp einem Jahrhundert mit militärischem Auftrag in den helvetischen Himmel stiegen, scheuten das Kämpfen sehr. Die feingliedrigen Holzgestelle mit ihren schmalbrüstigen Motoren eigneten sich einzig dazu, bei günstiger Witterung von oben zu beobachten, was der Feind so tut.
Begehrt waren die Plätze in diesen Maschinen auch nicht. Der erste Kommandant der Schweizer Armeeflieger, Kavalleriehauptmann Theodor Real, erinnert sich Ende der dreissiger Jahre, wie er im Ersten Weltkrieg mühselig nach Beobachtern suchen musste, die zusammen mit den Piloten die Besatzung dieser Aufklärungsflieger stellten: «Nun wurde an die andern Waffen appelliert, doch liefen die Anmeldungen spärlich ein. Die Gefahren an der Grenze schienen wohl kleiner als diejenigen bei der Fliegerei.»
Auch die Behörden sind skeptisch, was die Sicherheit betrifft. Um 1914 das schweizerische Militärfliegerpatent zu erlangen, muss man ledig sein. Begründet wird dies so: Die moralische und damit auch die finanzielle Verpflichtung des Bundes sei einem verheirateten (toten) Piloten gegenüber ohne Zweifel grösser als bei einem (toten) Junggesellen. Agénor Parmelin, im Stand der Ehe, protestiert und überfliegt kühnerweise und beweishalber als Erster den Montblanc, wobei er wegen der grossen Kälte über Achselschmerzen klagt. Drei Jahre später stürzt Parmelin ab und stirbt.
Nachdem den Brüdern Wright 1903 der erste Flug mit einem Gerät gelungen ist, das schwerer als Luft ist und über einen eigenen Antrieb verfügt, beginnen sich die Militärs bald für diese Maschinen zu interessieren. In der Schweiz will der Bundesrat 1910 aber noch nichts von einer militärisch unterstützten Flugausbildung wissen, und auch erste improvisierte Manövereinsätze mit gemieteten zivilen Flugzeugen überzeugen ihn nicht: Beim ersten Versuch im September 1911 gibts eine Bruchlandung wegen «starken Windbewegungen», beim nächsten Versuch zwei Jahre später verfliegt sich das diesmal engagierte Schweizer Fliegerass Oskar Bider, er muss notlanden, das Flugzeug ist kaputt.
Das Zentralkomitee der Schweizerischen Offiziersgesellschaft bilanziert noch im Frühling 1912: «Über die Brauchbarkeit des Aeroplans (…) sind wir nun aufgeklärt: Es ist nichts damit!» Am 2. Dezember lanciert dann derselbe Verein nach ausländischem Vorbild eine nationale Geldsammlung für die Schaffung einer Schweizerischen Militäraviatik - innert kürzester Zeit kommen Fr. 1728516,45 zusammen (wovon eine Viertelmillion von AuslandschweizerInnen), damals eine sehr beachtliche Summe.
Die erste Gründung
Da kann auch der Bundesrat nicht mehr länger zaudern, am 3. August 1914 verordnet er die erste schweizerische Fliegerabteilung. Nur: Es sind weder Piloten noch Flugzeuge vorhanden. Und in Europa ist plötzlich Erster Weltkrieg, an genau diesem 3. August marschieren deutsche Truppen in Belgien ein. Flugzeuge, die mit Kanonen und Bomben dem Feind zusetzen, gewinnen rasch an Bedeutung. Ennet der Grenze sind denn auch in den nächsten vier Jahren Tausende von Kampffliegern im Einsatz.
In der Schweiz verläuft der Start zäh und zieht sich über fünfzehn Jahre hin. Der geplante Kauf von sechs vom Schweizer Franz Schneider konstruierten Doppeldeckern L.V.G. aus Deutschland wird vom Kriegsausbruch vereitelt. Schliesslich finden sich acht Romands und ein Deutschschweizer (ausser Agénor Parmelin alle unverheiratet!), die sich mit ihren eigenen zivilen Flugzeugen auf dem Berner Beundenfeld versammeln; am 13. Dezember übersiedeln sie nach Dübendorf. Die ersten acht Maschinen im Armeedienst mit vierzig bis hundert Pferdestärken werden zunächst von den Ballontruppen (vgl. nebenstehenden Artikel) bewacht - und schon am 27. Oktober 1914 gibts das erste Todesopfer in der Geschichte der Schweizer Militärfliegerei.
Albert Cuendet heisst der zehnjährige Bub, der sich in Ste-Croix zusammen mit Kollegen unter ein startendes Flugzeug wirft, um sich vom Propellerwind die Mützen wegblasen zu lassen. Albert wird vom Propeller am Kopf getroffen und sofort getötet. Der Pilot der Maschine ist am Morgen von Bern an seinen Geburtsort Ste-Croix geflogen, jetzt ist er auf dem Weg zurück. Er bleibt unverletzt. Und er heisst genau gleich wie der tote Bub: Albert Cuendet. (Das ist nicht ganz so unglaublich, da ein Cuendet gegen 1525 von Savoyen nach Ste-Croix eingewandert ist; heute sind im Telefonbuch für Ste-Croix bei total 2140 Einträgen 25 private auf Cuendet zu finden.)
Der Pilot Albert Cuendet fliegt als einer der Ersten auf der Welt Loopings. Er stirbt am 5. Januar 1933, weil seiner Dewoitine D-27 über der Thuner Allmend die Flügel brechen. Ganz in der Nähe, wo der Bub Albert Cuendet vom Propeller getroffen wurde, stürzt am 20. März 1997 ein Mirage ab, der Pilot Daniel «Zorro» Schoch kommt ums Leben, ein Augenzeuge erleidet einen Schock.
Pech hat auch Roger de Weck. Die Kufen seiner Farman bohren sich gleich nach dem Start in den Boden, de Weck ist am 7. Juli 1916 bereits der vierte Pilot, der im Dienst tödlich verunfallt. Aus Sicht von Fliegerchef Real läuft auch sonst einiges schief. Zwar werden ab 1915 unter der Leitung von Bider erstmals Piloten ausgebildet, aber so richtig ernst nimmt die Flieger niemand. Als Hilfstruppe definiert, die seit 17. Oktober 1916 der Genieabteilung unterstellt ist und als direkten Vorgesetzten den Telegrafenchef der Armee hat, wird sie kaum eingesetzt und kaum gefördert.
1916 zählt die Fliegerabteilung 100 Wehrmänner und 10 Hilfsdienstpflichtige. Zur gleichen Zeit sind der Ballontruppe 600 Soldaten zugeteilt. Wenn während des Ersten Weltkriegs der Schweizer Luftraum verletzt wird - was ziemlich oft geschieht -, bleiben die wenigen Flugzeuge am Boden; auch als am 11. Oktober 1916 deutsche Flieger Porrentruy in der Ajoie bombardieren. Kommandant Theodor Real wird auf eigenen Wunsch hin im November 1916 entlassen: weil «man sich höheren Ortes der eminenten Wichtigkeit des Flugzeuges als Aufklärungsmittel und als Kampfwaffe nicht genügend bewusst war».
Immerhin erhält die Truppe im selben Jahr ihre erste eigene Bordwaffe: Die mitfliegenden Beobachter, bislang nur mit einem Karabiner unterwegs, sollen sogenannte Fliegerpfeile auf Truppenansammlungen fallen lassen. Der österreichische Schriftsteller und Offizier Robert Musil («Der Mann ohne Eigenschaften») wird 1915 fast von einem solchen Pfeil getroffen. In seiner Erzählung «Die Amsel» schreibt er:
«In diesem Augenblick hörte ich ein leises Klingen, das sich meinem hingerissen emporstarrenden Gesicht näherte. […] im gleichen Augenblick wusste ich auch schon: es ist ein Fliegerpfeil! Das waren spitze Eisenstäbe, nicht dicker als ein Zimmermannsblei, welche damals die Flugzeuge aus der Höhe abwarfen; und trafen sie den Schädel, so kamen sie wohl erst bei den Fusssohlen wieder heraus, aber sie trafen eben nicht oft, und man hat sie bald wieder aufgegeben. […] Es war ein dünner, singender, einfacher hoher Laut, wie wenn der Rand eines Glases zum Tönen gebracht wird […] und ich muss einfach sagen, ich war sicher, in der nächsten Minute Gottes Nähe in der Nähe meines Körpers zu fühlen. Das ist immerhin nicht wenig bei einem Menschen, der seit seinem achten Jahr nicht an Gott geglaubt hat.»
Das erste Kampfflugzeug
Am 13. Oktober 1916 ist es endlich so weit: Die Schweiz erhält ihr erstes echtes Kampfflugzeug - dem schlechten Wetter sei Dank. Ein deutscher Pilot muss bei Bettlach im Kanton Solothurn notlanden, seine Fokker D-II wird sofort interniert und der Fliegertruppe zur Verfügung gestellt. Mit 150 Kilometern pro Stunde ist dieser auch gleich das schnellste Stück im Armeeflugpark. Im Juni 1917 können dann noch fünf französische Nieuport 23 C-1 gekauft werden. Mehr ist während des Kriegs nicht möglich.
Wenig erfolgreich ist der Versuch, in der Schweiz eigene Kampfflugzeuge zu bauen. Die Ingenieure Robert Wild (als privater Unternehmer) und August Häfeli (in staatlichem Auftrag) entwerfen zwar einige taugliche Aufklärungsflugzeuge. Doch der Jagdeinsitzer Häfeli DH-4, der von der Eidgenössischen Konstruktions-Werkstätte (K+W) in Thun geliefert wird und am 16. Juli 1918 erstmals abhebt, erhält von den Piloten derart schlechte Noten, dass das Projekt schnell abgebrochen wird.
Bei Kriegsende 1918 besteht die Schweizer Fliegertruppe aus 62 brevetierten Militärpiloten und 68 Flugzeugen in neun Fabrikaten, wovon fast alle nur für Beobachtungsflüge eingesetzt werden können. Während die Armee den Bund im Ersten Weltkrieg rund 1200 Millionen Franken gekostet hat, gibt er für die Fliegerabteilung in dieser Zeit 14,85 Millionen Franken aus. General Ulrich Wille kommentiert 1918: «Wir dürfen heute nicht behaupten, mit dem Militärflugwesen bereit zu sein. Wir müssen uns daher unbedingt bestreben, unser Flugwesen so auszubauen, dass es den heutigen Anforderungen entspricht.»
Zunächst geht aber fast gar nichts mehr. Das Grauen über die Schlächtereien zwischen den Schützengräben bringt die Menschen dazu, auf eine Welt ohne Armeen und Krieg zu hoffen. Ausserdem ist die wirtschaftliche Situation schwierig, für neue Waffen und Militärgerät ist kaum Geld zu erhalten. Der Bundesrat streicht 1920 etwa einen vom Parlament bewilligten Kredit von 720000 Franken für zwölf Flugzeuge, um das Budget ausgeglichen gestalten zu können. 1920 und 1921 werden keine Piloten mehr ausgebildet. Ein Bericht aus dem Jahr 1920 zeigt, wie zurückhaltend das Militärdepartement Forderungen formuliert: «Eine bescheidene Vergrösserung unserer Fliegerabteilung ist auch bei äusserster Beschränkung auf ein Minimum unumgänglich.»
Immerhin gelingt es, über die alliierte Kontrollkommission aus Kriegsbeständen für nur 452000 Franken 41 Jagdflugzeuge der Typen Fokker D-VII, Hanriot und Nieuport Bébé zu erstehen. Die Motorenleistungen der ältlichen Flugzeuge sind inzwischen allerdings völlig ungenügend. Den Sektionschef Militärflugwesen in der Generalstabsabteilung, Gottfried Immenhauser, erinnert dieses «billige Schulmaterial (…) an einen Ausverkauf aus einem Warenhaus». Auch der nächste Versuch, selber Kampfflugzeuge zu produzieren, scheitert wieder; die gemäss schweizerischem Flugzeugbauprogramm von 1921 geplanten Militär-Apparate MA-6, MA-7 und MA-8 der K+W Thun schaffen es höchstens bis zur enttäuschenden Truppenerprobung.
Wenig bewegt sich am Schweizer Militärhimmel. Das hat zur Folge, dass zwischen Oktober 1919 und Januar 1925 nur zwei Piloten ums Leben kommen. Doch dann verunfallen bis August 1926 sieben Flieger tödlich - und ein startendes Flugzeug erschlägt am 29. September 1926 in Unterägeri drei allzu neugierige Knaben, die alle Josef heissen.
Daraufhin werden - viel später als in anderen Ländern - alle Besatzungen mit Fallschirmen ausgerüstet. Dabei steckt Hermann Göring, später Reichsmarschall unter Adolf Hitler und Chef der deutschen Luftwaffe, eine Niederlage ein: Er vertritt eine schwedische Firma, die ihr Fallschirmmodell Thörnblad auch in der Schweiz anbietet, doch die Schweizer Flieger bevorzugen den italienischen Salvator. 1928 sind von 213 Maschinen bloss 89 flugfähig. Ein Jahr zuvor musste ein Ausbildungslehrgang wegen fehlender Flugzeuge abgebrochen worden. 1929 zählt das Kommando der Fliegertruppen sogar nur noch siebzehn einsatzbereite bewaffnete Flugzeuge.
Die Fliegerabteilung spielt fünfzehn Jahre nach ihrer offiziellen Gründung in der strategischen Planung der Armee keine Rolle. Für einen zielgerichteten Aufbau fehlt seit Beginn der politische Wille, das für Kampfflugzeuge nötige viele Geld auszugeben. Die Presse schreibt Ende der zwanziger Jahre über die «Krise unserer Flugwaffe» («Gazette de Lausanne»). Und Stimmen werden laut, die fragen, ob es so was überhaupt brauche.
Die echte Gründung
Das Jahr 1930 bringt schliesslich die Wende - Armee und Politik bekennen sich erstmals klar zu einer kampftauglichen und deshalb kostspieligen Flugwaffe. Konkret geht es um zwanzig Millionen Franken für insgesamt 105 moderne Kampf- und Aufklärungsflugzeuge. 1938 wird der Bundesrat die jetzt gesprochenen Mittel rückblickend als «Kredit für die Schaffung der Flugwaffe» bezeichnen.
Am 13. Dezember 1929 verlangt der Bundesrat, die Flugwaffe sei aufzurüsten. Er will auf Antrag der Armee 65 französische Jagdflugzeuge Dewoitine D-27 und 40 holländische Fernaufklärer Fokker CV-E kaufen. Die Sozialdemokratische Partei protestiert postwendend gegen diese Aufrüstung, die die Grundsätze des Völkerbunds verletze. In der Folge kämpft sie vehement gegen den 20-Millionen-Kredit - für einmal kann sich die SP in einer militärpolitischen Auseinandersetzung profilieren.
Im vorangehenden Jahrzehnt ist ihr dies schwergefallen. Die SP hat im Juni 1917 zwar die (bürgerliche) Landesverteidigung abgelehnt. Und am Zürcher Parteitag im September 1925 fordert der ehemalige Parteipräsident und Nationalrat Robert Grimm, die Armee sei abzuschaffen. Drei Jahre später erhebt der Parteitag, wiederum in Zürich, dieses Anliegen diskussionslos zur Parteiforderung. Doch dieser Entscheid ist alles andere als brisant. Ein Delegierter aus Adliswil sagt am Parteitag 1925: «Die Ablehnung der Militärkredite durch unsere Fraktion in der Bundesversammlung macht nicht mehr so Eindruck wie einstmals. Jedermann empfindet unsere Ohnmacht.» Denn die Forderung ist inzwischen bloss noch von theoretischer Bedeutung. Die SP gehört in den zwanziger Jahren mit ihren Regierungs- und Stadträten, Richtern sowie Parlamentariern definitiv zur bürgerlich geprägten Eidgenossenschaft, die ohne Armee nicht zu denken ist. Die Partei unternimmt denn auch keine ernsthaften Schritte in Richtung Abschaffung. Der spätere erste SP-Bundesrat Ernst Nobs gibt in der «Roten Revue» vom Mai 1930 die Strategie der SP vor: «Man solle auf die ‹radikale Fiktion einer Totalabrüstung› verzichten, und zwar zugunsten einer teilweisen Abrüstung.»
Gut in dieses Konzept passt der Kampf gegen die 105 teuren Flugzeuge. Im Frühling 1930 startet die SP mit der Friedensbewegung eine Unterschriftensammlung sowie eine Reihe von siebzig Veranstaltungen. Die militärische Verteidigung der Schweiz, wird auf Flugschriften und in der linken Presse ausgeführt, sei technisch unmöglich geworden. Jeder Versuch in diese Richtung verwandle das Land in eine Wüste. Insbesondere gegen Flugzeuge, die Gasbomben auf Städte abwerfen, gebe es keine Verteidigung angesichts der drückenden Überlegenheit der Nachbarstaaten. Die Italiener etwa sind dabei, ihre Luftwaffe auf 4500 Flugzeuge auszubauen - dagegen vermöchten 105 Schweizer Flieger nichts. Zwar ist der Glaube an eine friedliche Zukunft geschwunden, aber dem Wahn des Militarismus will man nicht verfallen.
Bereits bei dieser ersten grossen Beschaffung der Schweizer Flugwaffe zeigt sich, wie die wirtschaftliche Situation solche Entscheide beeinflusst. Die weltweite Krise bringt auch die Schweizer Exportindustrie allmählich ins Schlingern, jetzt werden viele Uhren- und TextilarbeiterInnen entlassen. Die SP schlägt deshalb vor, die zwanzig Millionen besser zur Linderung der sozialen Not einzusetzen. Umgekehrt argumentiert der Bundesrat: Da die Flugzeuge in Lizenz in der Schweiz hergestellt würden, sei dies ein schönes Arbeitsbeschaffungsprogramm; nebst den K+W Thun und den Dornier-Werken in Altenrhein profitierten 65 Firmen als Unterlieferantinnen.
42000 Unterschriften werden innert kürzester Zeit gegen die 105 Flugzeuge gesammelt. Dennoch stimmen am 4. Juni 1930 117 Nationalräte gegen 47 linke Kollegen für den Kredit und lehnen es ab, diesen Entscheid dem fakultativen Referendum zu unterstellen. Die frisch gegründete Flugwaffe erhält in der Folge erstmals eine Art Einsatzdoktrin: Priorität hat immer noch die Aufklärung, aber jetzt sollen auch gegnerische Flugzeuge und Ziele am Boden beschossen werden. Nicht im Programm der dreissiger Jahre sind schwere Bomber - zu schützen sind die eigenen Grenzen, in fremden Luftraum wird nicht geflogen.
Auf dem Weg in den Krieg
Aber auch der Grenzschutz klappt nicht: Am 17. April 1936 stürzt eine deutsche Ju-52 («Tante Ju») auf dem Weg in den spanischen Bürgerkrieg bei Orvin am Jurasüdhang ab. Die Schweiz kann solche Überflüge fremder Flugzeuge nicht verhindern. Und der Völkerbund kann nicht verhindern, dass in den dreissiger Jahren weltweit aufgerüstet wird, in Deutschland Hitler an die Macht kommt und internationale Bemühungen für eine friedlichere Welt scheitern. Auch in der Schweiz werden Armee und Flugwaffe in den dreissiger Jahren - ab 1935 massiv - ausgebaut; mit dem Flugzeugkredit von 1930 beginnt ein Rüstungsprogramm, das in den nächsten zehn Jahren über eine Milliarde Franken verschlingen wird.
Und die SP ändert ihren armeekritischen Kurs radikal. Am Luzerner Parteitag 1935 bekennt sich eine Mehrheit der Delegierten zur Landesverteidigung. Statt unbequeme Opposition zu sein, will sie jetzt aktiv mitarbeiten und mitentscheiden. Auch wenn innerhalb der Partei andere Stimmen zu vernehmen sind: Der spätere Zürcher Parteisekretär Hans Nägeli etwa spricht im Juni 1936 kritisch von «naturreinem Sozialpatriotismus», den die SP treibe.
Doch die Sozialpatrioten setzen sich durch, endgültig nach der Septemberkrise 1938, als die Tschechoslowakei im Münchner Abkommen aufgelöst wird. Die SP verlangt vom Bundesrat, die Armee sei zu verstärken - und insbesondere die Flugwaffe. Parteipräsident Hans Oprecht am Parteitag vom 22./23. April 1939: «Die Landesverteidigung ist das Alpha und Omega aller schweizerischen Politik.» Im SP-Aktionsplan, den der Parteitag verabschiedet, heisst es: «Warum braucht die Schweiz eine starke Armee? Unabhängigkeit und Neutralität des Staates bedürfen des Volksheeres zu ihrem Schutze: Volk und Armee sind ein und dasselbe.» Und noch einmal Oprecht, am Parteitag vom 24. Mai 1941: «Der Sinn und die Aufgabe der Partei […] ist, alles in den Dienst des Freiheitskampfes der Schweiz einzureihen: Armee, Wirtschaft, Staat.»
Am 13. Oktober 1936 folgt der logische Schritt nach dem Grundsatzentscheid von 1930: Aus der Flugwaffe, die neu Flieger- und Fliegerabwehrtruppen heisst, wird eine selbständige Waffengattung. Der Bundesrat formuliert das Hauptziel: «dem Gegner eine rücksichtslose Kampfführung in der Luft verunmöglichen». Dazu werden bis Ende des Zweiten Weltkriegs mehrere hundert Millionen Franken verwendet. Allein das Kriegsmaterialbudget für 1938 sieht 117 Millionen Franken - die Hälfte des gesamten Budgets - für entsprechende Investitionen vor. Bereits seit 1934 trägt die Fliegertruppe ungenagelte Marschschuhe, damit sie die Flugzeuge nicht beschädigt. 1937 bombardieren Armeeflieger Gehöfte in der Nähe von Einsiedeln. Bevor der Sihlsee gestaut wird, üben sie dort für den Ernstfall.
Gottlieb Duttweiler, Migros-Gründer und Nationalrat des Landesrings der Unabhängigen, glaubt nicht, dass das reicht: Er lanciert im Juli 1938 eine Volksinitiative: 92199 Schweizer fordern tausend Kampfflugzeuge für die Schweiz (bis 1977 sind für eine Volksinitative nur 50000 Unterschriften nötig). Im Frühling 1939 unterstützt die SP diese sogenannte «1000-Flugzeuge-Initiative» des LdU, die verlangt, dass aus einem «Wehropfer» (eine Steuer auf Vermögen) nicht nur sofort tausend Kampfflugzeuge beschafft, sondern auch 3000 neue Piloten ausgebildet und Flugabwehrgeschütze gekauft werden. Zudem soll eine einheimische Flugzeugindustrie aufgebaut werden.
Weil der Bundesrat wesentliche Forderungen der Initianten mit seiner Vorlage zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zugunsten der Landesverteidigung umsetzt, wird die Initiative schliesslich nicht eingereicht. Die Vorlage beinhaltet einen Kredit von 213 Millionen Franken für die Armee sowie 202 Millionen für die Arbeitsbeschaffung und wird am 4. Juni 1939 von den Schweizer Männern mit 69,1 Prozent Ja-Stimmen deutlich angenommen (die Waadt, Genf und Neuenburg sind dagegen). Der Bundesrat führt das Wehropfer 1940 per Vollmachtenbeschluss ein.
Das erste eigene Kampfflugzeug
Der Bundesrat ist Ende 1938 der Ansicht, mit der Flugwaffe sei man nun auf gutem Weg. Die nötigen Kredite stünden zur Verfügung, und die meisten neuen Flugzeuge würden arbeitsplatzwirksam in der Schweiz hergestellt, stellt er in einem Bericht zum Stand der Landesverteidigung fest. Tatsächlich werden in der Schweiz seit dem Ersten Weltkrieg Militärflugzeuge gebaut. Von den Eigenentwicklungen Häfeli DH-3 und DH-5, die für Aufklärung und Training eingesetzt werden, produziert die K+W Thun zwischen 1917 und 1929 immerhin 189 Stück.
Seit 1933 basteln die Thuner Ingenieure an zwei neuen Projekten für eigene Kampfflugzeuge. Der erste Versuch endet unbefriedigend: Die C-35 ist eine helvetische Kopie des niederländischen Doppeldeckers Fokker C-X. Als das Aufklärungs- und Erdkampfflugzeug 1937 und 1938 in neunzigfacher Ausführung an die Truppe geliefert wird, hat die Flugwaffe zwar erstmals Maschinen, die Ziele am Boden beschiessen können, doch die C-35 ist bereits veraltet - und er hat das innovativere C-36-Projekt verzögert.
«Um aber die Aufrüstung zu beschleunigen», so der Bundesrat in seinem Bericht, «haben wir eine Serie von Apparaten im Ausland erworben»: 1938 werden in Deutschland zehn Messerschmitt-Jagdflugzeuge Me-109 D (genannt David) bestellt, später nochmals achtzig Me-109 D und E (Emil). Die letzten zwei dieser Maschinen werden erst am 27. April 1940 geliefert, acht Monate nach Kriegsausbruch. Sie kosten insgesamt 36,6 Millionen Franken, wobei ein grosser Teil mit Schweizer Exportgütern (Eisenerz, Werkzeugmaschinen, Pneus und so weiter) zu begleichen ist. In Lizenz werden ab 1940 zudem 82 französische Morane-Saulnier D-3800 und 207 Exemplare der stärkeren D-3801 gebaut.
Und dann klappts doch noch mit dem ersten eigenständig entwickelten helvetischen Kampfflugzeug. Die C-36 ist ziemlich modern, ganz aus Metall und als Mehrzweckgerät konzipiert. Der erste Prototyp stürzt am 11. August 1939 auf dem letzten Testflug vor der Truppenerprobung ab, der zweite erhält ein besseres Triebwerk mit tausend Pferdestärken und kann ab 1940 erfolgreich getestet werden. Obwohl am 6. Juni 1942 das erste Serienflugzeug in der Luft zerbricht, werden von 1942 bis 1948 total 152 C-3603 gebaut. Diese dritte Version kommt nicht mehr aus Thun, sondern vom neuen Standort des staatlichen Flugzeugwerks in Emmen. Die C-3603 fliegen bis 1952 in Kampfstaffeln, einzelne als Zielschleppflugzeuge bis 1987.
Am 28. August 1939 werden die Fliegertruppen mobilisiert. Am 31. August überfällt die deutsche Wehrmacht Polen. Drei Schweizer Fliegerkompanien steigen in modernes Fluggerät, dreizehn sitzen in liquidationsreifen oder veralteten Maschinen, fünf haben überhaupt keine Flugzeuge, sie werden auf Pikett entlassen. Der Zweite Weltkrieg hat begonnen.
In der nächsten Folge:
Wie die tüchtigen Schweizer Militärpiloten Adolf Hitler ärgern - und die Schweiz fast in den Krieg hineinziehen.
Und warum 1944 in Dübendorf in Anwesenheit zweier Nazis ein Flugzeug gesprengt wird.
Der nächste Kampfjet
Das Rennen hat längst schon begonnen. Wer darf der Schweizer Armee den nächsten teuren Kampfjet liefern? Die Lobbyisten sind unterwegs, in einschlägigen Publikationen wird fleissig inseriert - Eurofighter, Super Hornet, Rafale oder Gripen? Das Parlament hat in den letzten Tagen das Budget 2008, das einen Kredit für die Beschaffungsvorbereitung enthält, gutgeheissen. Im Jahr 2010 soll dann definitiv über den Milliardenkauf entschieden werden. Damit auch die Stimmbevölkerung mitreden kann, will die GSoA eine Initiative lancieren (www.gsoa.ch).
Bereits am 24. Februar kommt eine Initiative von Umweltschützer Franz Weber zur Abstimmung, die Übungen von Kampfjets in touristischen Gebieten verbietet. Armeeführung und Bundesrat befürchten, damit werde gleich die ganze Luftwaffe abgeschafft.