Paraguay: Der rosarote Bischof

Nr. 16 –

Nach 61 Jahren soll die Herrschaft der konservativen Colorado-Partei gebrochen werden. Dafür hat sich ein breites Bündnis aus BürgerInnen, Basisbewegungen und nichtstaatlichen Organisationen mit Bischof Fernando Lugo an der Spitze zusammengetan. Aber haben sie überhaupt eine Chance?

Paraguays Opposition wittert Morgenluft. Auf ihrem «Hoffnungsmarsch» durch die Hauptstadt Asunción Anfang April inszenierten AktivistInnen die politische Lage in dem Sechsmillionenland mit überlebensgrossen Puppen aus Pappmaché: Präsident Nicanor Duarte - die Wunschkandidatin für seine Nachfolge Blanca Ovelar an der Hand - tanzt mit Exgeneral Lino Oviedo. Verfolgt wird das Schurkenduo von einem gütig lächelnden Weissbart mit rot-weiss-blauer Präsidentenschärpe über dem weissen Hemd: Fernando Lugo, Oppositionsführer, emeritierter Bischof und allen Umfragen nach Favorit für die Präsidentschaftswahl am 20. April.

Vor zwei Jahren verhinderte eine Protestbewegung, dass sich der unpopuläre Duarte für eine in der Verfassung nicht vorgesehene weitere Amtsperiode aufstellen liess. Lugo, der die Proteste anführte, wurde dadurch schlagartig im ganzen Land bekannt und liess sich - nicht ganz ungern - zu einer politischen Laufbahn drängen: Nachdem 100 000 Unterschriften für seine Präsidentschaftskandidatur gesammelt worden waren, gab er an Weihnachten 2006 seinen Einzug in die politische Arena bekannt. «Von nun an wird das ganze Land meine Kathedrale sein», sagte er - sehr zum Missfallen des Vatikans, der ihn vom Priesteramt suspendierte. Die meisten paraguayischen Bischöfe verfolgen Lugos Ambitionen allerdings mit Wohlwollen.

Bischof der Armen

Im katholischen Paraguay kommt dem Kandidaten seine Vergangenheit als «Bischof der Armen» in der ländlichen Diözese San Pedro zugute. Dort hatte er zehn Jahre lang Partei für KleinbäuerInnen und Landlose ergriffen. Viele ParaguayerInnen sind von den Folgen der immer mehr werdenden Sojaplantagen betroffen (vgl. unten: «Ein echter Hoffnungsträger?»). Lugos unerschrockenes Auftreten in jener Zeit machte ihn zum Ziel von Morddrohungen und sicherte ihm Sympathien: «Er ist ein Kirchenmann, das gefällt mir», sagt ein junge Frau vor der Bühne, auf der Lugo auftritt.

Auch Lugo spielt gern die kirchliche Karte. In seiner Rede zum Abschluss des Hoffnungsmarschs zitierte der 56-Jährige einen Satz von Papst Pius XI., wonach die «echte Politik der sublimste Ausdruck der Liebe» sei. «Mit dem Herzen in der Hand sage ich: Wir hassen niemanden, nicht einmal jene, die mit Lügen und Verleumdungen unsere Ehrlichkeit und Würde beschmutzen wollen», ruft Lugo seinen AnhängerInnen zu. Und wenn er vom «Mafiaklüngel» spricht, wissen alle, wer gemeint ist: die Partei der konservativen Colorados, der Roten, die Paraguay seit 61 Jahren wie ihren Familienbesitz verwalten. Ihr berüchtigtster Vertreter, der deutschstämmige Alfredo Stroessner, herrschte von 1954 bis 1989 mit eiserner Faust. Seither gibt es zwar Wahlen, aber der schamlose Einsatz des Staatsapparats hat den Colorados bislang noch immer den Sieg beschert.

«Sie haben sich geirrt», ruft Lugo, «aber wir hassen sie nicht, wir lieben sie - aber sie müssen sich ändern, und viele werden Rechenschaft ablegen müssen.» Er wird unterbrochen von seinem Wahlkampflied: «Denn er liebt die Demütigen, und er liebt Paraguay, er hegt keinen Groll, er gibt nur Liebe, Lugo hat ein grosses Herz.» Der Wahlkämpfer im gestickten weissen Hemd, schwarzer Hose und Sandalen wiederholt: «Nein, wir haben keinen Groll!» - und strahlt in die Menge. Von den zahllosen Auftritten im ganzen Land ist seine Stimme schon ganz heiser.

«An erster Stelle lieben wir das Vaterland, vor der Partei, vor den Gruppen, vor dem Klüngel», ruft Lugo. Als Präsident möchte er die «Träume der Jungen, der Bauern, der Ureinwohner von einem besseren Leben» verwirklichen. Er berichtet von Müttern, die auf die Rückkehr ihrer Kinder nach Paraguay hoffen. Über zwei Millionen Menschen sind wegen fehlender Zukunftsaussichten ausgewandert - nach Argentinien und Brasilien, in die USA und nach Europa.

Das Fahnenmeer vor der Bühne ist ungewöhnlich bunt. Lugos «Patriotische Allianz für den Wandel» umfasst neun politische Parteien, von den einflussreichen Liberalen bis zu kleinen Linksparteien. Dazu kamen zwanzig Basisgruppen vor allem aus ländlichen Gebieten. Selbst DissidentInnen der Colorados sind gekommen und schwenken ihre roten Fahnen. «Seit Generationen wählt unsere Familie die Roten», sagt der Taxifahrer Manuel López. «Doch jetzt geht mir die Korruption zu weit.» Unter grossem Jubel verkündet der Kandidat: «Uns freuen die verschiedenen Farben, das Land ändert sich.»

Lugo verzichtet auf Polarisierung und auf konkrete Wahlversprechen, sein Programm bleibt vage. Dennoch nennen ihn seine GegnerInnen im gleichen Atemzug mit Hugo Chávez aus Venezuela und Evo Morales aus Bolivien. Doch die Versuche, den «roten Bischof» als Schreckgespenst darzustellen, scheitern. Lugo hatte die Befreiungstheologie bereits Ende der siebziger Jahre in Ecuador kennengelernt - der «Indianer-Bischof» Leonidas Proaño prägte ihn damals ebenso wie später den ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa.

Rational, nicht radikal

Doch jegliche Vergleiche und Etikettierungen behagen dem Kandidaten nicht. «Unser Programm ist nicht radikal, es ist rational», betont er. Er strebe eine «Reaktivierung der Wirtschaft mit sozialer Ausrichtung» an und wolle Paraguay zu einem Industrieland machen, sagt er. Er plant Sozialprogramme wie in Brasilien sowie eine Agrar- und eine Bildungsreform. Für solche Pläne sei der regionale Kontext mit zahlreichen reformistischen Regierungen «ziemlich günstig».

Ähnlich wie andere linke Führungsfiguren in Südamerika sei Lugo das «Ergebnis jahrzehntelanger Prozesse, die von den sozialen Bewegungen vor allem in den kirchlichen Basisgemeinden auf dem Lande ausgelöst wurden», meint der Soziologe Hugo Britez. Doch Personenkult oder Messianismus sind Lugo zuwider: Auf dem Hoffnungsmarsch zieht er bewusst nicht vorneweg - «das Volk soll der Protagonist sein», so die OrganisatorInnen. Bei den Wahlkampfauftritten lässt er seine Verbündeten ausführlich zu Wort kommen. «Er ist ein hervorragender Organisator und Moderator», sagt der Sozialwissenschaftler Marcial Riquelme. «Er weiss, wie man Leute zusammenbringt und Kompromisse aushandelt.»

Diesen «partizipativen Ansatz» hat er aus der Befreiungstheologie, sagt Lugo bei einem Interview in seiner Wahlkampfzentrale. «Dort wird den Laien viel Platz eingeräumt», erklärt er. «ln der Diözese San Pedro stützen wir uns auf die Erfahrung von über tausend kirchlichen Basisgemeinden, da kann keiner ein anonymer Christ sein. Man muss in die Gemeinschaft hineingehen. Unsere Regierung wird auch demokratisch und partizipativ sein, alle Bevölkerungsschichten sollen sich beteiligen.»

Die Allianz ist das Wichtigste

Auch das zukünftige Regierungsprogramm sei letztes Jahr in Hunderten Sitzungen im ganzen Land entstanden, sagt Sixto Pereira, ein langjähriger Mitstreiter Lugos und Mitarbeiter einer nichtstaatlichen Organisation. Aus dem Netz der AktivistInnen entstand die linke Bewegung Tekojoja, deren Senatsliste Pereira jetzt anführt. «Wir sind die politische Heimat Lugos, auch wenn jetzt die Allianz im Vordergrund steht», sagt Pereira. Inhaltliche Differenzen gäbe es aber nicht nur mit den TraditionspolitikerInnen, sondern auch mit der klassischen Linken und ihrem Avantgardegehabe.

Diese Differenzen werden selten thematisiert. Lugos liberaler Vize Federico Franco meint: «In Paraguay ist die Zeit für die Linke noch nicht reif.» Bei den moderaten Mitte-links-Regierungen wie in Brasilien, Uruguay, Argentinien oder Chile macht er «liberale Züge» aus. Ein Beobachter befürchtet, Lugo könne sich im politischen System Paraguays verstricken «wie eine Fliege in einem Spinnennetz».

Am wenigsten umstritten ist wohl Lugos «gesunder Nationalismus». An der Grenze zu Brasilien liegt das riesige Itaipú-Wasserkraftwerk. Für die Wasserenergie aus dem Werk will er von Brasilien einen «gerechten Preis» fordern, der Marktpreis dafür liegt siebenmal so hoch wie der bis 2023 vertraglich festgesetzte Preis, der gerade mal die Betriebskosten deckt. Die brasilianische Presse warnt bereits vor einem «zweiten Bolivien» - dort hatte nach dem Amtsantritt von Evo Morales 2005 der brasilianische Erdölriese Petrobras einen Teil seiner Einkünfte an den Staat abtreten müssen. Fernando Lugo möchte seine geplanten Sozialreformen unter anderem mit dem Verkauf von Wasserkraft finanzieren.

Gegen das Gewissen

Aber noch ist das Zukunftsmusik. Denn die meisten ParaguayerInnen glauben, dass nicht Lugo, sondern Blanca Ovelar zum nächsten Staatsoberhaupt gekürt wird. «Den Colorados ist bisher noch jede Wahlfälschung geglückt», sagt ein ehemaliger Oppositionsabgeordneter, der seinen Namen in keiner Zeitung lesen will. «Zudem ist unsere Bevölkerung ungebildet und leicht zu manipulieren. Es gehört quasi zur nationalen Mentalität, für die Colorados zu stimmen.» Präsident Duarte hat die Opposition gespalten, indem er letztes Jahr die vorzeitige Entlassung des wegen eines Putschversuchs im Gefängnis sitzenden Kandidaten Lino Oviedo ermöglichte. Die Colorados kontrollieren auch die Wahlbehörde. Daneben setzt die Regierung ganz offen Hunderttausende Staatsangestellte unter Druck. «Ich habe Angst, dass drei meiner Verwandten bei einem Regierungswechsel ihren Job verlieren», sagt Marta Alvarenga, die in einem Vorort von Asunción wohnt. «Deswegen werde ich nicht Lugo wählen, obwohl er mir am besten gefällt.»

Bei jedem Wahlkampfauftritt verspricht Duarte neue Wohltaten. Vor 2000 Angestellten des Instituts für Sozialversicherung drängte er deren Vorsitzenden zu einer Lohnerhöhung. An einer anderen Veranstaltung berichtete eine Buchhalterin, dass in ihrer Firma in den letzten Wochen viele neue KollegInnen mit hochdotierten Kurzzeitverträgen hinzugekommen seien. «Ausserdem werde ich ständig aufgefordert, der Colorado-Partei beizutreten», sagt die 24-Jährige.

Andererseits ist der Apparat der Staatspartei nicht mehr so gut geschmiert wie früher. «Eine Stimme kostet die Colorados jetzt dreimal so viel», meint Soziologe Britez. Sogar Luis Alberto Castiglioni, der parteiinterne Widersacher Duartes, wurde bei den Vorwahlen durch Stimmenkauf besiegt. Am Wahltag sollen Staatsanwälte, internationale Wahlbeobachterinnen und Lugo-AnhängerInnen den Schummlern einen Strich durch die Rechnung machen. Eine Prognose wagt Hugo Britez dennoch nicht: «Alles ist möglich.»

Ein echter Hoffnungsträger?

Paraguay ist ein Agrarland - mit den für Südamerika typischen Kontrasten zwischen Grossgrundbesitz, KleinbäuerInnen und Landlosen. Durch den Gensojaboom der letzten Jahre haben sich die Landkonflikte dramatisch zugespitzt (siehe WOZ Nr. 47/07). Der Präsidentschaftskandidat und ehemalige Bischof Fernando Lugo hat diese Konflikte aus nächster Nähe miterlitten - er erhielt wegen seines Engagements sogar Morddrohungen - und ist gerade deswegen für viele KleinbäuerInnen und Indígenas ein Hoffnungsträger. So hat er sich in seinem Wahlprogramm zu einer «integralen Landreform» verpflichtet. Dazu gehören nicht nur Landzuteilungen, sondern auch günstige Kredite, die gezielte Förderung und Beratung im Bereich Biolandbau sowie Gesundheits- und Wohnungsbauprogramme. Eine der grössten Herausforderungen ist dabei, die Umweltgesetze durchzusetzen: Brandrodungen und der hemmungslose Einsatz von Pflanzengiften sind in Paraguay immer noch an der Tagesordnung.

Allerdings ist Lugo auch zu Kompromissen mit dem Agrobusiness bereit: «Das Sojaprogramm ist für die Regierung wichtig, weil es den grössten Posten bei den Deviseneinkünften ausmacht», sagt er gegenüber der WOZ. «Aber es darf nicht das einzige Modell sein.» Ganz ähnlich wie Brasiliens Präsident Luiz Inácio «Lula» da Silva meint Lugo: «Wir glauben, dass der Sojaanbau mit der kleinbäuerlichen, genossenschaftlich orientierten Landwirtschaft nicht unvereinbar ist.» Das Agrobusiness gehört zu den wichtigsten Machtgruppen in Paraguay. In seinen Wahlreden streift Lugo das Thema Landreform deshalb nur beiläufig.

Der profilierte Anwalt und Agrarexperte Alberto Alderete ist skeptisch: «Lugo hat keine eigene soziale Basis, um die alten Strukturen zu verändern.» Im Kongress würden die Linken eine kleine Minderheit stellen. Die Sojaexporte würden auch unter Lugo weiter zunehmen. Bisher sei auch von Umverteilung des Reichtums, etwa durch Besteuerung der Sojaexporte wie in Argentinien, keine Rede. «Aber immerhin dürften diese Themen bei einem Präsidenten Lugo auf die Tagesordnung kommen.» Der Bischof habe eine «ausserordentliche Furcht vor den Sojafarmern und Grossgrundbesitzern», sagt Alderete zudem. Lugos Zurückhaltung sei nicht nur wahltaktisch motiviert

Recherchierfonds

Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser:innen.

Förderverein ProWOZ unterstützen