Pflanzenkommunikation: «Achtung, Nachbarin: Raupen im Anmarsch!»

Nr. 36 –

Für ihr neues Buch hat Florianne Koechlin unter anderem mit dem Biosemiotiker Günther Witzany aus Salzburg gesprochen: über Zeichen, Codes und Regeln im Austausch zwischen Pflanzen. Das Gespräch erscheint in der WOZ als Vorabdruck.


Auf Günther Witzany werde ich durch einen wissenschaftlichen Artikel über Pflanzenkommunikation aufmerksam. Darin untersucht er die raffinierten Mechanismen, mit deren Hilfe sich Pflanzen verständigen können. Der studierte Philosoph und Sprachwissenschaftler ist kein «Labormensch», er bezeichnet sich vielmehr als Biosemiotiker.

Biosemiotik - so lautet der Name einer noch jungen Wissenschaftsdisziplin. Sie untersucht, wie Pflanzen, Zellen oder auch Gene miteinander kommunizieren. Biosemiotik kann übersetzt werden mit «Wissenschaft der Lebenszeichen», denn «bios» heisst auf griechisch Leben und «semeion» Zeichen oder Signal. Sie versteht das Leben als andauernden Kommunikationsprozess, und dazu bedarf es eines Systems von Zeichen. Es gibt riechbare, sichtbare, hörbare Zeichen ebenso wie chemische Botenstoffe, elektrische und mechanische Reize. Immer geht es um die Bedeutung und Interpretation solcher Zeichen.

Warnende Tomaten

Ich treffe den Biosemiotiker Günther Witzany im ehrwürdigen Café Tomaselli mitten in der Altstadt von Salzburg. Im ersten Stock des Cafés ist es ruhig, dort wartet er bereits auf mich, vor sich einen Hagebuttentee. Er begrüsst mich freundlich, sein schmales Gesicht ist braungebrannt.

Ich falle gleich mit der Tür ins Haus und frage ihn, was Kommunikation bedeutet. «Kommunikation ist ein komplexer Vorgang», meint Günther Witzany. «Aus der Sprachwissenschaft wissen wir, dass Kommunikation nie bloss ein Austausch von Zeichen oder Signalen ist. Nehmen wir als Beispiel eine Tomatenpflanze: Wenn sie von Raupen angegriffen wird, sendet sie den Duftstoff Methyljasmonat aus und warnt damit ihre Nachbarinnen. Eine solche Nachbartomate aber lebt inmitten einer vielfältigen Duftwolke. Wenn der Duftstoff Methyljasmonat neu dazukommt, muss sie ihn aus dem grossen Duftgemisch erkennen und von andern unterscheiden können. Sie muss sodann interpretieren können, dass die Duftvokabel höchste Gefahr bedeutet. Erst jetzt ist sie gewarnt und beginnt, Stoffe zu produzieren, die ihre Blätter für die Raupen ungeniessbar machen.»

Kommunikation, fährt er fort, bedinge eine hochdifferenzierte Auseinandersetzung des Individuums mit seinen Partnern und der Umwelt. Dabei würden die Beteiligten einen Grundstock an Zeichen teilen, in deren Verwendung sich alle auskennen. Sie teilten auch einen Grundstock an Regeln, mit deren Hilfe die Vokabeln entziffert werden können.

Er nippt nachdenklich an seinem Tee, während eine Kellnerin mit weisser Haube und Schürze ein Kuchentablett vorbeibringt, mit Gugelhopf, Rouladen, Schnecken, Sandkuchen - einem warmen Apfelstrudel und dem Vanilleduft kann ich nicht widerstehen. Günther Witzany fährt fort: «Für jede Kommunikation braucht es drei Arten von Regelebenen. Als Erstes kommt die Syntax. Sie bestimmt die korrekte Reihenfolge der Zeichen. Sie enthält die Regeln, wie die Zeichen miteinander richtig kombiniert werden. Bei Buchstaben ist das ja auch wichtig: ‹Wasser› verstehen wir, ‹Awerss› hingegen nicht, da stimmt die Reihenfolge der Kombination nicht. Die zweite Ebene enthält pragmatische Regeln. Da spielt die unmittelbare Umgebung eines Individuums, seine konkrete Lebenssituation also, eine Rolle. Was ein Signal bedeutet, hängt immer auch von der Situation ab, in der es gebraucht wird.»

Bienendialekte

«Auf der dritten und letzten Ebene», fährt Günther Witzany fort, «geht es um die Semantik: Was bedeutet ein bestimmtes Zeichen für einen Zeicheninterpreten? Was ist sein Sinn? Die Buchstabenreihenfolge W-a-s-s-e-r wird durch die Syntax festgelegt. Dank unserer Semantik wissen wir: Das bedeutet Wasser, die Flüssigkeit im Glas vor mir. Und die Tomatenpflanze interpretiert aufgrund ihrer semantischen Regeln, dass das Zeichen Methyljasmonat drohende Raupeninvasion bedeutet.»

Er fügt gleich noch ein Beispiel dafür an, wie ein Zeichen von seiner Umgebung abhängig ist und selbst innerhalb der gleichen Gruppe zu Missverständnissen führen kann. Der österreichische Bienenforscher Karl von Frisch hatte einmal einen Bienenstock vom österreichischen Wolfgangsee mit einem italienischen Stock zusammenlegt. Da kam es zu Streit und hellem Aufruhr. Der Bienenforscher wusste bald den Grund: Die in der Tanzsprache der Wolfgangseebienen mitgeteilte Entfernung und Richtung einer guten Futterquelle bedeutete für die einheimischen Bienen 300 Meter, für die italienischen Bienen hingegen 500 Meter Entfernung. Nachdem diese dort nichts gefunden hatten und zurückgeflogen waren, reagierten sie aggressiv auf die ‹falsche› Mitteilung. Für die einheimischen Bienen war sie jedoch korrekt. Günther Witzany sagt: «Die Äusserung - der Bienentanz also - war syntaktisch die gleiche, nur der Kontext, in dem die Bienenvölker die Bedeutung dieser Tanzzeichen konkret erlernt hatten, war ein anderer.»

Pflanzen sind keine Automaten

Ich erzähle Günther Witzany von meinem Besuch bei Wilhelm Boland. Eine Pflanze, meinte der Jenaer Professor, sei im wesentlichen eine Art Automat, der antworten und reagieren könne, eine Art programmiertes System, bei dem die Antworten schon eincodiert seien. Günther Witzany widerspricht vehement: «Ein Automat führt programmierte Schritte aus, die den Eindruck von Kommunikation erwecken. Doch über diese Programmierung hinaus funktioniert er nicht. Auf Unvorhergesehenes, auf Nichteinprogrammiertes also, kann er nicht reagieren. Das ist der zentrale Unterschied: Kommunikation ermöglicht es einer Pflanze, mit neuen, nichtberechenbaren Situationen umzugehen.»

Er erklärt, dass Automaten nur die erste Ebene der Kommunikation, die Syntax also, beherrschten. «Doch die zwei andern Ebenen sind immer mitbeteiligt. Wie findet die Pflanze das richtige Zeichen, wie erfasst sie dessen Sinn? Kommunikationsprozesse erfordern, dass die Partner einander ‹zuhören›, dass sie ‹antworten› und ihre Aktivitäten koordinieren. Die Partner müssen ständig zwischen verschiedenen Möglichkeiten auswählen und Entscheidungen treffen.»

Kommunikation, sagt er nach einer Pause, sei eine Form sozialen Handelns. Ohne Gemeinschaft gehe das nicht. Die Verwendung von Duftvokabeln, Zeichen, Codes, Regeln oder Sprachen sei keine Fähigkeit, die ein Individuum allein entwickeln oder nutzen könne. Sie werde nur als Kompetenz eines Gemeinschaftsgeschehens erworben, ein Gemeinschaftsgeschehen eigenständig handelnder Individuen also. Das spreche ebenfalls gegen die Vorstellung, Pflanzen seien Automaten. Automaten könnten auch ohne Umwelt existieren, Pflanzen nicht. Sie seien Gemeinschaftswesen, eingebunden in ein dynamisches Beziehungsgeflecht.

Von draussen dringt der Lärm spielender Kinder zu uns, und der Biosemiotiker bemerkt: «Pflanzen waren in der Evolution unglaublich erfolgreich, und sie sind es noch heute. Sie sind die jüngsten Lebewesen dieser Erde. Die ersten höheren Landpflanzen entstanden vor rund 400 Millionen Jahren. Etwa 99 Prozent der gesamten Biomasse bestehen heute aus Pflanzen, davon sind über achtzig Prozent Bäume. Sie sind mit Abstand die geschmeidigsten, die anpassungsfähigsten Lebewesen dieses Planeten. Ohne ein hochdifferenziertes Kommunikationssystem wäre das nie möglich gewesen.»

Wir verabschieden uns. Die alten Thonet-Stühle knarren beim Aufstehen, und die Kristallleuchter verbreiten ein warmes Licht.


Den grünen Daumen gibt es

«Pflanzen, Tiere und Menschen haben die gleichen Wurzeln: die fast drei Milliarden dauernde Evolution als einzellige Lebewesen. Nur so ist es verständlich, dass Pflanzen uns auf der Zellebene viel ähnlicher sind, als wir je geahnt haben.» So beginnt das neue Buch von Florianne Koechlin, Biologin, Gentech-Kritikerin und Mitglied der Eidgenössischen Ethikkommission für Biotechnologie im Ausserhumanbereich. Darin begibt sie sich auf die Reise zu Personen, die dem Geheimnis von Pflanzen näherzukommen versuchen: auf dem Feld, im Labor oder im Geist.

Ihre Reise ist auch eine Gratwanderung zwischen Wissenschaft und Esoterik. Koechlin macht sich ohne Scheuklappen auf den Weg - und provoziert schon mal einen cholerischen Ausbruch auf WissenschaftlerInnenseite. Denn die befinden sich mitunter auf einem ähnlich schmalen Grat zwischen konventioneller Wissenschaft und neuen Denkkonzepten. Dazu zählt etwa die Pflanzenneurobiologie mit der Idee, dass Pflanzen Informationen intern via elektrische Impulse übermitteln, ohne dass sie deswegen gleich Nerven oder gar ein Gehirn besitzen würden.

Der «linguistic turn» - die sprachkritische Wende, die in der Philosophie ihren Ausgang nahm - hat also die Naturwissenschaften erreicht: Alles ist Kommunikation. Eine sprachwissenschaftliche Perspektive auf Phänomene aus der Natur öffnet neue Horizonte. Dabei werden nicht nur Gräben überbrückt, sondern auch neue geschaffen. Das zeigen die Gespräche im Laborteil des Buches ebenso wie die hinten aufgeführten «Rheinauer Thesen zu Rechten von Pflanzen». Diese stellt Florianne Koechlin am 6. September am zweiten Fest der Sinne auf der Insel Rheinau um 17 Uhr zur Diskussion.