Klimawandel: Die ausgetrickste Katastrophe
Es brauchte «drakonische Massnahmen der Industrieländer innert eines Jahrzehnts», um ein Katastrophe abzuwenden. Doch diese nehmen den Klimaschutz nicht ernst.
Wer in Sachen Klimawandel engagiert ist, bemüht sich in der Regel darum, keine Hoffnungslosigkeit aufkommen zu lassen, um niemanden zu entmutigen. So versucht man denn, gute Zeichen zu sehen: Die Uno-Klimakonferenz im polnischen Poznan, die vorige Woche zu Ende ging, bleibt auf dem Kurs, der Ende 2009 in Kopenhagen zu einem neuen Klimaabkommen führen soll. Gleichzeitig hat die EU an einem Gipfeltreffen trotz Finanzkrise an ihrem Klimapaket festgehalten und will weiterhin ihre Treibhausgasemissionen bis 2020 um zwanzig Prozent senken. Und in den USA übernimmt bald Barack Obama, der den Klimawandel im Gegensatz zum jetzigen Präsidenten George Bush ernst nimmt.
Wer freilich die Nachrichten zum Thema Klimawandel verfolgt und ehrlich ist mit sich selber, der möchte am Ende des Jahres eher Dante zitieren. «Lasst alle Hoffnung fahren» steht über dem Eingang seiner Hölle geschrieben. Und höllisch sind die Aussichten, wenn die globale Durchschnittstemperatur um zwei, drei oder mehr Grad steigt. So sei es wahrscheinlich, schrieb das Uno-ExpertInnengremium für den Klimawandel (IPCC) 2007, dass «die Widerstandsfähigkeit zahlreicher Ökosysteme in diesem Jahrhundert überschritten» werde; wahrscheinlich sei ein «erhöhtes Aussterberisiko für zwanzig bis dreissig Prozent der bisher untersuchten Pflanzen- und Tierarten», in manchen Gebirgsregionen Europas könnten bis 2080 gar bis zu sechzig Prozent der Arten aussterben. Und wahrscheinlich ist auch ein «erhöhtes Hungerrisiko» in trockenen und tropischen Zonen: In manchen tropischen Gegenden könnten sich die landwirtschaftlichen Erträge bis 2020 halbieren, während sich der Rückgang des Grundwassers in Asien bis 2050 «für mehr als eine Milliarde Menschen nachteilig auswirken könnte».
Alles noch schlimmer?
Neue Messresultate und Forschungsmodelle aus diesem Jahr korrigieren diese Szenarien des IPCC noch ins Negative. Vor allem die Eisschmelze an den Polen übertrifft die Erwartungen. Robert Watson, ehemaliger IPCC-Vorsitzender, sagte dieses Jahr, die Welt müsse sich auf eine Erwärmung um vier Grad gefasst machen. Die Staaten, die das Uno-Rahmenabkommen zum Klimawandel von 1992 ratifiziert haben - das sind praktisch alle Staaten der Welt -, haben sich verpflichtet, einen «gefährlichen Klimawandel» abzuwenden. Unter «gefährlich» wird meist ein Anstieg um zwei Grad verstanden; in Poznan haben einige Staaten und auch der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore dafür plädiert, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Kevin Anderson, Professor am renommierten Tyndall Center for Climate Change Research der Universität Manchester, sagte ebenfalls dieses Jahr, der Kampf gegen den gefährlichen Klimawandel sei verloren; schon die Begrenzung auf vier Grad sei «unwahrscheinlich» und könnte nur durch «drakonische Massnahmen der Industrieländer innert eines Jahrzehnts» erreicht werden. Der deutsche Sozialpsychologe Harald Welzer zeichnet in seinem im Mai erschienenen Buch «Klimakriege» das düstere (aber überzeugende) Bild einer zukünftigen Welt der bewaffneten Konflikte um Rohstoffe und Lebensräume.
Doch die, die drakonische Massnahmen beschliessen müssten, haben in der vergangenen Woche kein erbauliches Schauspiel geboten. An der Klimakonferenz in Poznan hätten die Industriestaaten die meiste Verhandlungszeit darauf verwendet, «Ausweg-Klauseln und Kompensationsmöglichkeiten zu basteln, statt über tatsächliche Reduktionen zu sprechen», schreibt die Umweltorganisation Friends of the Earth (FoE). Einiges, was in Poznan diskutiert wurde, wird mehr schaden als nützen - etwa die Massnahmen gegen die Abholzung, die den BewohnerInnen der zu schützenden Wälder keine Mitsprache einräumen, den Wald auf eine CO2-Absorptionsmaschine reduzieren und Urwälder mit Baumplantagen gleichsetzen. «Die Leute in teuren Anzügen, die uns die ganze Misere eingebrockt haben», schreibt Carlos García-Robles von FoE in seinem Blog aus Poznan, «verwandeln die Klimakonferenzen in eine Serie von Business-Meetings, um vom Klimawandel noch mehr zu profitieren.»
Ebenfalls zeigte sich in den vergangenen Wochen, dass die schon trägen Klimaverhandlungen ihre mächtigste Lokomotive verloren haben. Das Gezänke im Vorfeld des EU-Gipfels in Brüssel hat verdeutlicht, wie ernst es den EU-Staaten mit dem Klimaschutz ist: nämlich gar nicht. Neben Polen und Italien machte vor allem Deutschland auf Obstruktion - ausgerechnet jener Staat, dessen Kanzlerin, die Physikerin Angela Merkel, sich am letztjährigen G8-Gipfel in Heiligendamm noch als die grosse Kämpferin gegen den Klimawandel profiliert hatte.
Zwar kam das Klimapaket knapp durch, und auch das Ziel, die Emissionen bis 2020 um zwanzig Prozent zu senken, wurde beibehalten. Doch dieses Ziel soll mit allerlei Tricksereien aus der Mottenkiste des Emissionshandels erreicht werden, sodass die Zahl nichts als eine buchhalterische Ziffer ohne reale Entsprechung ist. (Dasselbe gilt für die eine der beiden Varianten einer künftigen schweizerischen Klimapolitik, die der Bundesrat Anfang Dezember in die Vernehmlassung gegeben hat.)
Vielleicht bringts der Crash?
Bleibt also der Hoffnungsträger Obama. Der sagt erfreuliche Dinge. Aber wenns konkret wird, setzt auch er auf Agrartreibstoffe, Atomkraftwerke, CO2-Speicherung. CO2-Speicherung muss erst entwickelt werden und wird nie substanziell zu einer Reduktion im nötigen Umfang beitragen können. Atomkraft ersetzt ein Übel durch ein anderes und hat keine Zukunft. Und Agrartreibstoffe verschlimmern alles noch.
Ähnliche Hoffnungen wie jetzt auf Obama wurden vor einem Jahr auf den neuen australischen Premierminister Kevin Rudd gesetzt. Er hatte John Howard abgelöst, der vom Klimawandel noch weniger hören wollte als US-Präsident George Bush. Medienwirksam hatte Rudd als erste Amtshandlung das Kioto-Protokoll ratifiziert. Nun hat er seine klimapolitischen Ziele bekannt gegeben: Um magere fünf Prozent will er die Emissionen bis 2020 senken.
Lasst alle Hoffnung fahren? So darf ein Kommentar vor Weihnachten nicht enden. Und so gibt es doch noch eine Hoffnung: Die Emissionen werden nicht so steil ansteigen, wenn die Wirtschaft so richtig heftig crasht. Und vielleicht bringt eine tiefe Wirtschaftskrise das Umdenken, das trotz aller Klimaprognosen bisher nicht einsetzen wollte. Verantwortungsvolle Politik sähe allerdings anders aus.