Die Uno-Klimakonferenz: Heisse Luft im Diplomatenghetto

Nr. 25 –

Die Uno-Klimakonferenz in Bonn endete mit bescheidenen Resultaten. Noch immer ist die Staatengemeinschaft weit davon entfernt, entschlossen die drohende katastrophale Klimaerwärmung abzuwenden.


Der bolivianische Uno-Botschafter Pablo Solon spricht mit ruhiger Stimme zur kleinen Schar von JournalistInnen. Dabei ist das, was er zu sagen hat, dramatisch. Teile seines Landes drohen infolge der Klimaerwärmung unbewohnbar zu werden. Er bezieht sich auf Fakten, die wissenschaftlich kaum bestritten werden. Die Durchschnittstemperatur der Erde wird bis Ende des Jahrhunderts um rund vier Grad zunehmen, sollte die internationale Staatengemeinschaft nur das umsetzen, was sie während der letzten grossen Klimakonferenz im mexikanischen Cancún Ende letzten Jahres versprochen hat. «Für die Anden ist das katastrophal», sagt Solon.

Es ist der Beginn der zweiten Verhandlungswoche in Bonn, wo VertreterInnen aus 194 Staaten zusammengekommen sind, um über Massnahmen gegen den Klimawandel zu diskutieren. Das Treffen dient zur Vorbereitung des grossen Uno-Klimagipfels, der Ende des Jahres im südafrikanischen Durban über die Bühne gehen soll. Und wieder mal zeichnet sich ab, dass es kaum Fortschritte bei den Verhandlungen geben wird. In der ersten Woche wurde Stunde um Stunde damit vergeudet, über die Traktandenliste zu streiten. Einige Länder, allen voran das ölreiche Saudi-Arabien, verfolgten eine eigentliche Blockadestrategie.

Pablo Solon zeigt den JournalistInnen an der Klimakonferenz Karten des bolivianischen Chacaltaya-Gletschers, einst das höchstgelegene Skigebiet der Welt auf 5300 Metern über Meer. Seit 1940 hat sich der Chacaltaya-Gletscher Stück um Stück zurückgezogen. Besonders dramatisch ist der Rückgang seit 1982. Inzwischen ist fast alles Eis geschmolzen. «Wenn das nur schon bei einem Anstieg der Durchschnittstemperatur um 0,8 Grad passiert, was wird denn erst sein, wenn sich die Welt um vier Grad erwärmt?», fragt Pablo Solon. Schon jetzt herrscht in Bolivien Wasserknappheit. Wenn die Gletscher als Wasserreservoir für den Sommer ausfallen, drohen schwere Dürren.

Mehr CO2-Ausstoss als je zuvor

Vier Grad Steigerung bis Ende dieses Jahrhunderts: Besonders hart betroffen wären neben Teilen Südamerikas auch viele Gebiete im südlichen Afrika und in Asien, heisst es in einer neuen Studie der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft der Uno. Zwar war man sich in Cancún fast einig, dass die Durchschnittstemperatur der Erde höchstens um zwei Grad steigen dürfe (nur Bolivien verharrte bis zum Ende auf einer Zielvorgabe von 1,5 Grad), doch über die nötigen Schritte, um dieses Ziel zu erreichen, gibt es bis heute keinen Konsens. Inzwischen weiss man, dass im letzten Jahr mehr CO2 ausgestossen wurde als jemals zuvor: Laut der Internationalen Energieagentur wurde 2010 die Erdatmosphäre mit zusätzlichen 30,6 Gigatonnen Kohlendioxid belastet.

Soll die Durchschnittstemperatur der Erde nicht stärker als zwei Grad steigen, so darf dieser Wert bis ins Jahr 2020 höchstens noch auf 32 Gigatonnen pro Jahr anwachsen. Weil jedoch bereits unzählige neue Kohlekraftwerke im Bau sind und man in den Schwellen- und Entwicklungsländern mit einer weiteren Industrialisierung und mehr Flug- und Autoverkehr rechnet, ist von weit mehr als 32 Gigatonnen auszugehen. Es sei denn, der Ausstoss von CO2 würde andernorts massiv gedrosselt oder CO2 noch viel stärker durch Aufforstungen wieder gebunden.

Doch selbst die Schweiz, ein Land ohne Kohlekraftwerke und mit angeblich immer saubereren Autos, schafft es derzeit nicht, die von ihr rechtlich verbindlich eingegangenen Verpflichtungen im sogenannten Kyoto-Protokoll einzuhalten. Der Bundesrat musste kürzlich einräumen, dass der CO2-Ausstoss in der Periode von 2008 bis 2012 nicht um durchschnittlich acht Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden kann. Es werden vier Millionen Tonnen CO2 zu viel sein. Diese Menge will der Bundesrat zum Preis von rund sechzig Millionen Franken als Kompensation bei Wiederaufforstungsprojekten im Ausland einkaufen.

Pablo Solon hält nichts von solchem Ablasshandel: «Wenn ein Staat eine Verpflichtung eingegangen ist, so soll er sie auch bei sich einhalten.» Solon kritisiert, dass bei solchen Kompensationen die Transparenz auf der Strecke bleibt. Letztlich würden so die CO2-Reduktionen doppelt gezählt: sowohl vom zahlenden Staat wie auch von dem Staat, in dem die Projekte ausgeführt werden. So betrügt sich die Welt selbst.

Coolness im Beethoven-Saal

Das Klimatreffen im Bonner Regierungsviertel findet in den klimatisierten Konferenzräumen des Hotels Maritim statt. Der Graben, den es zwischen den VertreterInnen der Entwicklungsländer und denen der reichen Industriestaaten gibt, zeigt sich auch im Kleinen: Während die einen Delegierten gleich hier im Viersternehaus nächtigen, reisen viele Delegierte aus den Ländern des Südens täglich per U-Bahn (die des Sponsorings wegen Telecom-Express heisst) von ihren bescheideneren Unterkünften in der Innenstadt an.

Die normale Bevölkerung ist vom Konferenzbereich ausgeschlossen. Zwar hat sich die Staatengemeinschaft nicht weniger als die Rettung vor einer globalen Bedrohung vorgenommen – ein bislang einmaliger Vorgang – doch ist davon in den Verhandlungsräumen nichts zu spüren. Coolness dominiert. Die Konferenzdokumente bedienen sich einer technischen Insidersprache, gespickt mit Abkürzungen, die Aussenstehende kaum verstehen. Die Kommissionen und Subsubkommissionen treffen sich hinter verschlossenen Türen in Sälen mit Namen wie «Beethoven», «Haydn» und «Schubert» und feilschen um Details möglicher Vereinbarungen.

Hin und wieder gibt es auch öffentlich zugängliche Sitzungen. In einer solchen wird über mögliche Auswirkungen der Klimaschutz-Massnahmen auf die einzelnen Staaten diskutiert. Ein Delegierter aus Saudi-Arabien sagt, dass letztlich alle Staaten vom Klimawandel auch profitieren und dies bei der Beurteilung, wer wie viel zu leisten habe, berücksichtigt werden müsse.

Puzzlespiel der NGOs

Sven Harmeling verfolgt für die Nichtregierungsorganisation Germanwatch die Verhandlungen in Bonn. Wie auch andere der zahlreich anwesenden VertreterInnen nichtstaatlicher Organisationen (NGOs) hat er zu vielen Verhandlungen keinen Zutritt. «Wir sprechen jedoch mit vielen Delegierten und können so eine Art Puzzle zusammensetzen, um einzuschätzen, was gerade passiert.» Die NGOs informieren dann ihre Mitglieder und AktivistInnen wie auch die Öffentlichkeit. So können sie etwas Druck auf einzelne Staaten ausüben.

Harmeling zeigt sich am Ende der Verhandlungsrunde «verhalten positiv». Es seien einige Texte zur Beschlussfassung verabschiedet worden. Die Blockade der Saudis sei gescheitert. Viele Staaten hätten gezeigt, dass es ihnen ernst sei. Eine besonders positive Rolle sieht Harmeling bei China: «Es ist der Staat, der in jüngster Zeit am meisten in Sachen Klimapolitik gemacht hat, auch wenn er es nicht immer an die grosse Glocke hängt.» Entscheidend ist für Harmeling, dass die Europäische Union substanziell mehr CO2 reduziert als bisher versprochen (die Schweiz hält sich bei ihren Zusagen an die EU). Bis zum Jahr 2020 soll die EU ihren CO2-Ausstoss im Vergleich zu 1990 nicht nur um zwanzig Prozent, sondern um vierzig Prozent zurückfahren.

Die letztes Jahr in Cancún abgegebenen Versprechen zeigten, dass die Industriestaaten bei ihren Ambitionen weit hinter den Zielen der Entwicklungsländer liegen, wie viele NGOs in Bonn heftig kritisieren. China setze deshalb jetzt die EU unter Druck, sagt Harmeling. Alles in allem sei jedoch die Rolle der EU bei den Beratungen «konstruktiv». Ungenügend seien dagegen die Anstrengungen von Staaten wie Japan, Russland und Kanada. Diese Staaten sperren sich auch gegen eine Verlängerung des Kyoto-Protokolls, was sie zumindest weiterhin auf minimal verbindliche Reduktionsziele verpflichten würde.

Die Verlängerung des Kyoto-Protokolls wird derzeit als Maximum dessen angesehen, was beim Klimagipfel in Durban erreicht werden kann. Die G77 (die Staatengruppe der Entwicklungsländer) fordert eine solche Verlängerung, auch China und die Gruppe der Inselstaaten. Ein neues umfassenderes Abkommen, dass klare finanzielle Zusagen an die Entwicklungsländer beinhaltet und höhere verbindliche Reduktionsziele für möglichst viele Staaten festschreibt, scheint dagegen utopisch zu sein. Ein grosser Stolperstein bleiben die USA, die selbst nicht einmal das Kyoto-Protokoll unterschrieben haben. Die USA sind auch nicht bereit, anzuerkennen, dass sie eine historische Schuld tragen, da sie ja der Staat sind, der bislang am meisten CO2 ausgestossen hat.

Bolivien will nicht warten

Sven Harmeling klammert sich ans Prinzip Hoffnung. Er hofft auf eine Wiederwahl von Barack Obama im nächsten Jahr. Der US-Präsident hätte dann mehr Spielraum als jetzt, wo er in Sachen Klimaschutz unter heftigem Beschuss der im Repräsentantenhaus dominierenden Republikanischen Partei steht. Harmeling hofft angesichts der zunehmenden Klimakatastrophen auch auf eine Einsicht der bislang zögerlichen Staaten. Spätestens 2014 werde ein neuer Bericht des Weltklimarats IPCC erscheinen. Schon jetzt sei klar, dass dieser noch dramatischer ausfallen werde als die vorangegangenen Berichte. Das werde den Druck auf die Staaten verstärken.

Bolivien gedenkt allerdings nicht, so lange zu warten. «Es geht hier um Menschenrechte», so Botschafter Solon. «Infolge des Klimawandels kommen immer mehr Menschen bei Naturkatastrophen zu Tode.» Bolivien macht sich stark für die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofes zur Klimagerechtigkeit. Wer den Klimawandel vorantreibe und so die Vertreibung und auch den Tod von Millionen von Menschen in Kauf nehme, solle künftig mit «juristischen Konsequenzen» rechnen.


Klimakiller Russ und Methan : Nicht nur CO2-Reduktion hilft

Das Uno-Umweltprogramm (Unep) kommt zum Schluss, dass eine substanzielle Reduktion von Russpartikeln, Ozon und Methan in der Luft die Klimaerwärmung signifikant abschwächen kann. Wenn man es gleichzeitig schafft, den Ausstoss von Kohlendioxid (CO2) zu reduzieren, so könnte der Anstieg der Durchschnittstemperatur in den nächsten Jahrzehnten unter zwei Grad Celsius gehalten werden. Eine entsprechende Studie wurde letzte Woche am Rande der Klimakonferenz in Bonn vorgestellt.

Besonders wichtig wäre es, wenn der Ausstoss von Methan verringert werden könnte, weil dieses Gas auch zur Bildung von bodennahem Ozon beiträgt. Methan entsteht etwa beim Abbau, beim Transport und bei der Verarbeitung von Erdöl, Erdgas und Kohle. Ausserdem entsteht viel Methan in der Landwirtschaft und bei Müllablagerungen. Vielfach liesse sich der Methanausstoss durch Schutzmassnahmen stark reduzieren, hält die Unep fest. Weil dadurch die Bildung von Ozon verringert wird, habe das auch positive Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen und Tieren. Zudem steigere weniger Ozon in der Luft etwa den Ernteertrag von Weizen.

Die Reduktion von Russpartikeln wäre aus mehreren Gründen wünschenswert: Russ lagert sich auf Gletschern ab und erhört damit die Absorption von Sonnenlicht, was das Schmelzen der Gletscher verstärkt. Russpartikel sind aber auch stark gesundheitsgefährdend. Ihr Ausstoss lässt sich etwa durch geeignete Filter bei Autos und Bussen reduzieren. Viel erreicht würde ferner damit, dass alte Heizungen und Öfen durch moderne ersetzt werden.

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