Honduras: Spiel auf Zeit
Laut Karl Heuberger hat die regierende Oligarchie des Landes mit ihrem Militärputsch nicht nur einen demokratisch gewählten Präsidenten abgesetzt, sondern viele soziale Bewegungen und Organisationen der Entwicklungshilfe eines Hoffnungsträgers beraubt. Heuberger arbeitet seit neunzehn Jahren für das schweizerische Hilfswerk der evangelischen Kirchen (Heks) und ist verantwortlich für die Programme in Zentralamerika.
Mit den Worten «hier gibt es nichts zu berichten» wurden vergangenes Wochenende mehrere JournalistInnen des venezolanischen Senders «Telesur» aus Honduras verwiesen. «Telesur» gehört zu den wenigen internationalen Medien, die seit dem Putsch Ende Juni gegen Präsident Manuel Zelaya weiter aus Honduras berichteten. Die de-facto-Regierung unter Roberto Micheletti hatte kurz nach dem Putsch vielen Medien, die kritische Beiträge sendeten, die Lizenz entzogen.
Hinter dem Putsch stehen Institutionen wie das Parlament oder das Oberste Wahlgericht, die stark von der Oligarchie kontrolliert werden. Sie setzen sich gegen Zelayas Politik zur Wehr, der einen sozialen und politischen Wandel zugunsten der ärmeren Bevölkerungsschichten anstrebte. Die PutschistInnen nahmen eine auf Ende Juni angesetzte konsultative Abstimmung über eine neue verfassungsgebende Versammlung zum Anlass, Zelaya Verfassungsbruch zu unterstellen; er hatte das Referendum trotz Verbot durch das Wahlgericht abhalten wollen (siehe WOZ Nr. 27/09).
Als Zelaya, der am 28. Juni vom Militär nach Costa Rica ausgeflogen worden war, am 6. Juli eine Rückkehr versuchte, blockierte die Armee den Flughafen der Hauptstadt Tegucigalpa. Dabei schoss sie auf wartende Zelaya-AnhängerInnen und tötete zwei Demonstranten. Im Lauf der vergangenen Woche wurde zudem bekannt, dass zwei Mitglieder der linken Oppositionspartei Unificación Democrática ermordet wurden. Immer wieder werden führende VertreterInnen politischer, sozialer und gewerkschaftlicher Bewegungen von Armee und Polizei bedroht oder es werden Haftbefehle gegen sie erlassen.
Obwohl Michelettis Putsch-Regierung international stark isoliert ist, spielt sie auf Zeit. Die von den USA und Costa Rica organisierten Vermittlungsgespräche zwischen Zelaya und Micheletti sind bisher gescheitert. Mit ausschlaggebend dafür dürfte auch eine schwammige Haltung der US-Regierung sein, die den Coup zwar als illegal bezeichnet, einen Grossteil der finanziellen Hilfe aber nicht eingestellt hat.
Abhängig vom Ausland
1998 wurde Honduras vom Hurrikan Mitch schwer getroffen und in seiner Entwicklung um Jahrzehnte zurückgeworfen. Seither ist es in hohem Masse von ausländischer Entwicklungshilfe abhängig. Sehr viele staatliche und nichtstaatliche Organisationen (NGOs) sind im Land. Es gibt kaum ein Dorf, in dem nicht mit Schildern auf die Tätigkeiten von Hilfswerken hingewiesen wird. Die Schweiz gehört mit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) zu den sechzehn wichtigsten Geberländern. Daneben sind NGOs wie das Hilfswerk Heks, das Schweizerische Rote Kreuz oder auch Helvetas vor Ort.
Kontakt zur Regierung eingestellt
«Honduras? Ist das in Asien?», wurde ich auf der Telefonzentrale der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) erst einmal gefragt. Auf der Suche nach einer Antwort darauf, was nach dem Militärputsch in Honduras mit den Geldern der Schweizerischen Entwicklungshilfe passiert, wurde ich anschliessend zweimal falsch verbunden und dann an die Pressestelle des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) verwiesen. Dort erfährt man dann in Ergänzung zur bisher einzigen offiziellen Verlautbarung, in der sich die Landesregierung «besorgt» über die Lage in Honduras zeigt, dass die meisten mit Deza-Geldern unterstützten Projekte «normal» weiterlaufen.
Während etwa die Weltbank und andere GeberInnen ihre Gelder einfrieren, um Druck auf die Putschregierung zu machen, verzichtet die Schweiz lediglich darauf, «offizielle Kontakte mit der Regierung» zu tätigen. Damit will die Schweizer Regierung «im Einklang mit der Gebergemeinschaft» handeln. Honduras gehört zusammen mit Nicaragua und El Salvador zur Schwerpunktregion Zentralamerika der Schweizerischen Entwicklungshilfe, die 2009 mit 38,1 Millionen Franken unterstützt wird. 5,5 Millionen davon fliessen direkt nach Honduras.
Die Nachbarländer El Salvador und Guatemala haben bereits kurz nach dem Putsch vom 28. Juni ihre Grenzen zu Honduras geschlossen. Mit Ausnahme der USA haben seither alle lateinamerikanischen Staaten sowie die EU-Mitglieder ihre diplomatischen Vertretungen auf Botschafter-Ebene abgezogen. Die Schweiz verfügt in Honduras über keine eigene Botschaft und wird von Guatemala aus vertreten. Die Stelle des Honorarkonsuls in Tegucigalpa ist derzeit vakant.
Honduras : Entwicklungshilfe ja, aber nicht jede
Interview: Sarah Jäggi
Laut Karl Heuberger hat die regierende Oligarchie des Landes mit ihrem Militärputsch nicht nur einen demokratisch gewählten Präsidenten abgesetzt, sondern viele soziale Bewegungen und Organisationen der Entwicklungshilfe eines Hoffnungsträgers beraubt. Heuberger arbeitet seit neunzehn Jahren für das schweizerische Hilfswerk der evangelischen Kirchen (Heks) und ist verantwortlich für die Programme in Zentralamerika.
WOZ: Karl Heuberger, am 28. Juni wurde der honduranische Präsident Manuel Zelaya abgesetzt. Wie haben Sie vom Militärputsch vernommen?
Karl Heuberger: Eine honduranische Mitarbeiterin war auf dem Rückweg von einem Arbeitsaufenthalt in der Schweiz nach Honduras und sass in Miami fest, weil der Flughafen in der Hauptstadt Tegucigalpa geschlossen war. Besorgt rief sie mich an. Der Putsch traf auch mich unerwartet, obwohl mir bei meinem letzten Besuch in Honduras im Mai die angespannte Situation im Land aufgefallen war. Gleichzeitig spürte ich aber auch die Aufbruchstimmung, die seit ein, zwei Jahren im Land herrschte.
Woher rührte diese Aufbruchstimmung?
Unsere Partnerorganisationen vor Ort sahen in Präsident Manuel Zelaya einen Hoffnungsträger. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren, sagten sie, sei da jemand, der sich mit den drängenden Problemen des Landes befassen würde. Er plante eine Reihe von Wirtschaftsreformen. So erhöhte er den Mindestlohn von 169 auf 291 US-Dollar und wollte eine Landreform in Gang bringen. Eine weitere Idee, die aber vom Obersten Gerichtshof zu Fall gebracht wurde, war ein Dekret, das die unsägliche Luftverschmutzung in der Hauptstadt Tegucigalpa mit einem autofreien Tag pro Woche bekämpfen wollte. Alle dies sorgte in einem Teil der Bevölkerung für eine Aufbruchstimmung. Parallel zur Hoffnung der einen wuchs der Widerstand jener, die etwas zu verlieren haben.
Am Tag des Militärputsches hätte eine Abstimmung stattfinden sollen.
Auch dies war einer der Versuche Zelayas für einen Neuanfang. Er hat die Probleme seines Landes gesehen und versucht, mit Entschlossenheit einige davon anzupacken. Die Konsultativabstimmung über die Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung, die am Tag des Putsches hätte stattfinden sollen, wurde von vielen als Teil dieses Aufbruches angesehen. Gegen diese Abstimmung gab es massiven Widerstand, aber es war keine inhaltliche Debatte, sondern eine regelrechte Hetzjagd gegen den Präsidenten. Was mich irritierte, war, dass auch viele Geberländer der Entwicklungshilfe gegen diese Abstimmung waren.
Wie erklären Sie sich das?
Man war in den Diskussionen immer sehr schnell, fast reflexartig beim Argument, Zelaya sei ein Freund des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und eine Abstimmung bedeute den Anfang einer bolivarianischen Revolution.
Der Vorwurf ist wohl nicht ganz von der Hand zu weisen, auch jener nicht, dass Zelaya eine zweite Amtszeit anstrebte.
Es wäre jetzt ja erst um eine Konsultativabstimmung gegangen. Und meines Wissens hat selbst Zelaya immer gesagt, dass er keine zweite Amtszeit anstrebt. Es stimmt aber, dass eine Verfassunggebene Versammlung, die ab 2010 die Arbeit aufgenommen hätte, in der künftigen Verfassung eine zweite Amtszeit des Präsidenten vorsehen könnte. Dass das Thema in den internationalen Medien aber auf die zweite Amtszeit von Zelaya reduziert wurde, halte ich für verkürzt, um nicht zu sagen, für falsch.
Wie beurteilten die nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) die Bedeutung der Konsultativabstimmung?
Unsere Partnerorganisationen hatten grosse Hoffnungen, was die Abstimmung betraf. Man darf auch deren symbolische Dimension nicht unterschätzen. In einem Land, in dem sich die politische Beteiligung der Bevölkerung darauf beschränkt, alle vier Jahre einen Präsidenten zu wählen, ist es schon bemerkenswert, wenn plötzlich über Sachfragen abgestimmt werden soll.
Einige der Geberländer lehnten die Abstimmung ab. Sind sich denn auch die Entwicklungsorganisationen nicht einig, was das Referendum angeht?
Wir arbeiten in Tegucigalpa in einer Bürogemeinschaft mit den Kollegen und Kolleginnen der Deza und des Schweizerischen Roten Kreuzes zusammen. Die unterschiedlichen Meinungen, die das Land spalten, finden sich auch in der Bürogemeinschaft, in der Leute aus Honduras und der Schweiz arbeiten, wieder. Wir achten jedoch darauf, dass politische Diskussionen unsere konkrete Arbeit nicht beeinträchtigen.
Kann man also nicht davon ausgehen, dass die Organisationen alle am gleichen Strick ziehen?
Generell verfolgen Akteure der Entwicklungszusammenarbeit unterschiedliche Ziele. So gibt es zum Beispiel Nahrungsmittelhilfe, die darauf abzielt, die extreme Armut etwas zu lindern – aber nicht, die Ursachen der Armut anzugehen. Jene Direkthilfe, die indirekt akzeptiert, dass siebzig Prozent der Menschen in Armut leben, hat in den letzten zehn Jahren extrem zugenommen. Es stirbt dann zwar niemand an Hunger, und die Not ist nicht gross genug, dass es für Schlagzeilen in den internationalen Medien reicht. Das System bleibt aber, wie es ist. Ein anderer Teil der Akteure – ich fürchte, es ist eine kleine Minderheit – sagt: Es darf nicht sein, dass Honduras auf alle Zeiten von internationaler Hilfe abhängig ist. Diese Art der Hilfe, wie das Heks sie versteht, zielt darauf ab, im Kleinen etwas an den Verhältnissen zu ändern, die für Armut und Ungerechtigkeit verantwortlich sind.
Das klingt desillusioniert.
Nein, ich glaube nach wie vor an die Wichtigkeit und Dringlichkeit der Entwicklungszusammenarbeit. Ich meine aber, dass wir unsere Arbeit immer wieder selbstkritisch hinterfragen müssen. So ist es wichtig, regelmässig zu prüfen, ob die Gemeinschaften, mit denen wir zusammenarbeiten, ihre ökonomische Situation tatsächlich verbessern können, ob sie unabhängiger und selbstständiger und beim Einfordern ihrer Rechte auch selbstbewusster werden.
Welche Art von Entwicklungshilfe lehnen Sie ab?
Jene, die abhängig macht und jene, die Armut und Unterentwicklung bloss administriert.
Derzeit ist völlig offen, wie es in Honduras weitergeht. Die Weltgemeinschaft hat den Putsch in erstaunlicher Einstimmigkeit verurteilt und forderte die sofortige Wiedereinsetzung von Zelaya. Bis heute ist dies aber nicht geschehen.
Ich glaube, dass es für die Zukunft von Honduras wichtig ist, dass der Putsch rückgängig gemacht wird. Die internationale Gemeinschaft muss mit allen Mitteln – dazu gehört für mich auch das Einstellen von Zahlungen – darauf bestehen, dass die demokratische Ordnung wieder hergestellt wird.