USA: Foltern nach Vorschrift war okay

Nr. 36 –

US-Präsident Barack Obama lässt die Bush-Ära nur zaghaft aufarbeiten.

Es besteht kein Zweifel: Der US-Geheimdienst CIA hat mit seinen Verhörmethoden nicht nur jede Menschlichkeit vermissen lassen, sondern auch internationale Konventionen verletzt. Ein Bericht der CIA, der letzte Woche in Auszügen für die Öffentlichkeit freigegeben wurde, bestätigt den Sachverhalt und enthüllt neue Details. Terrorverdächtige wurden in der Amtszeit des früheren US-Präsidenten ­George Bush vielfach gefoltert. So schlug man ihnen den Kopf gegen die Wand, versetzte sie mit Scheinhinrichtungen in Todesangst oder wandte teilweise Dutzende Male das sogenannte Waterboarding an, das das Gefühl vermittelt, ertränkt zu werden. In manchen Fällen wurde den Gefangenen mit der Ermordung ihrer Kinder ­gedroht.

Nach dem Wahlsieg von Barack Obama war die Hoffnung gross, dass er die Menschenrechtsverletzungen in der Ära Bush aufklären und bestrafen lässt. Als Modell dafür hätten sich etwa die Verfahren gegen die argentinischen Foltergeneräle oder das Einrichten einer Wahrheitskommission wie in Südafrika nach der Apartheid angeboten. Aber Barack Obama fehlte für einen solchen Schritt entweder der Mut oder die Durchsetzungskraft.

Der neue Präsident zeigt sich zunehmend als vorsichtiger oder vielleicht auch nur realistisch denkender Pragmatiker, der sich mit den Grenzen seines Einflusses arrangiert. Der von der Bush-Regierung ausgebaute Apparat der nationalen Sicherheit scheint für ihn zu mächtig zu sein. Am Foltersystem - vom irakischen Gefängnis Abu Ghraib über CIA-Geheimgefängnisse in Osteuropa bis nach Guantánamo - waren Tausende US-Soldatinnen, Offiziere, Geheimdienstler und Politikerinnen beteiligt. Sie nahmen aktiv an den Misshandlungen teil, erteilten Weisungen und Befehle oder wussten zumindest davon und billigten sie.

Viele von ihnen weisen jede Kritik an der damaligen Folterpraxis als Angriff auf die Institutionen der nationalen Sicherheit zurück. Ihr Wortführer ist der ehemalige Vizepräsident Dick Cheney. Am Sonntag erklärte er im rechts­lastigen TV-Sender Fox, dass sämtliche angewandten Verhörmethoden «legal und unerlässlich» im Kampf gegen den Terrorismus gewesen seien. Cheney behauptete, Foltermethoden hätten entscheidende Erkenntnisse bei der Terrorbekämpfung geliefert. Und er lobte die Beamt­Innen, die auch «unautorisierte» Verhörmethoden eingesetzt haben - also solche Praktiken, die nicht ausdrücklich nach dem 11. September 2001 genehmigt worden waren. Ihnen sei es «direkt zu verdanken, dass die USA in den vergangenen acht Jahren keine Angriffe mehr mit vielen Toten erlebt haben».

Justizminister Eric Holder hat am 24. August zwar John Durhan als Sonderstaatsanwalt eingesetzt, um die CIA-Folterungen zu untersuchen, jedoch nur mit einem sehr begrenzten Auftrag: Er solle ermitteln, ob die Folterer die geltenden Vorschriften missachtet haben. Wer also etwa das Waterboarding so angewandt hat, wie es in einem CIA-Handbuch empfohlen wurde, hat nichts zu befürchten. Obama hat allen, die im Rahmen der Vorschriften Gefangene misshandelten, Straffreiheit zugesichert.

Mit seiner nachgiebigen und inkonsequenten Haltung hat Obama bei seinen AnhängerInnen einiges an Glaubwürdigkeit verloren. Zwar hat er sich etwa zu einem Folterverbot verpflichtet, aber gleichzeitig hält Obama an der Praxis der «ausserordentlichen Überstellungen» fest. Verdachtspersonen dürfen weiterhin in Drittländer geflogen werden, wo ihnen Folter droht. Auch der forcierte Krieg in Afghanistan enttäuscht viele seiner Sympathisantinnen. Allein im August sind dort 47 US-Soldaten gefallen - mehr als je zuvor in einem ­Monat.

Im Juli meldete sich eine fast vergessene Stimme zu Wort - eine Stimme von einem anderen Krieg: 41 Jahre nach dem Massaker von My Lai hat der verantwortliche US-Offizier William Calley erstmals sein Bedauern über die Bluttat ausgedrückt. Im März 1968 hatten US-Soldaten im vietnamesischen Dorf My Lai zwischen 350 und 500 vietnamesische Frauen, Kinder und Männer vergewaltigt, gefoltert und getötet. Allein Calley wurde von einem Militärgericht schuldig gesprochen. Aber auch das war damals schon umstritten: Es kam landesweit zu Sympathiekundgebungen für den Massenmörder. Calleys lebenslange Haftstrafe wurde nach der Urteilsverkündung sofort in Hausarrest umgewandelt. Drei Jahre später wurde er von Präsident Richard Nixon begnadigt.

In den USA ist die Überzeugung ungebrochen, dass das Land ein Garant für Demokratie und Freiheit ist. Scheusslichkeiten wie in Vietnam oder in den Geheimgefängnissen werden als Ausnahme angesehen und vielleicht bedauert. Aber sich im Nachhinein damit zu beschäftigen, halten viele für verfehlt. So ist es etwa für John McCain, den Rivalen Obamas bei den Präsidentschaftswahlen, ein «ernster Fehler», jetzt nochmals auf die umstrittenen CIA-Verhörmethoden zurückzukommen - obwohl sie die Genfer Konvention verletzt hätten. Die Untersuchung des Sonderstaatsanwaltes könnte «ausser Kontrolle geraten» und den Kampf gegen den Terrorismus beeinträchtigen.