Swiss Finance Institute: Die unheimlichen Lehrer der zukünftigen Banker

Nr. 49 –

Eine Strukturreform des Schweizer Finanzsystems ist dringend geboten. Auf die Hilfe marktradikaler Kräfte kann die Wirtschaftspolitik dabei nicht zählen.


Hans Geiger sei «nie durch überragendes wissenschaftlich-theoretisches Rüstzeug aufgefallen», kommentierte kürzlich die «Neue Zürcher Zeitung» den Einstand des emeritierten Zürcher Finanzprofessors in einer Kommission, die das Versagen der Finanzmarktaufsicht Finma bei der Überwachung der UBS untersucht.

Mit diesem sarkastischen Kommentar hat die NZZ nicht nur einen alten Professor gedemütigt, sondern auch die Krise der neoliberalen Finanztheorie insgesamt angesprochen – jene akademische Disziplin, auf deren theoretischen Konzepten und mathematischen Modellen die zusammengekrachten globalisierten Finanzmärkte fussen. Nach dreissig Jahren Vorherrschaft des Marktfundamentalismus an den Hochschulen ist die Finanztheorie in einer sterilen Monokultur erstarrt. Alles dreht sich nur noch im Kreis. Richtige Fragen – geschweige denn Antworten – fehlen. Es dominiert der mathematische Bluff. Die vierte Jahresversammlung des Swiss Finance Institute (SFI), des Schweizer Dachverbandes der Finanztheorie (vgl. Text «Einäugig an die Weltspitze» weiter unten), am vergangenen Montag bestätigte diese Misere. Zwei Referate an dieser Veranstaltung zeigten dies exemplarisch. Das eine mit dem Titel «Braucht die Schweiz Grossbanken?» von Hans-Ulrich Meister, dem CEO der Credit Suisse Schweiz, zeugt von der geistigen Monokultur des Neoliberalismus. Das andere mit dem Titel «Zur Regulation systemischer Institutionen» von Professor Jean-Charles Rochet von der Universität Toulouse bewies, wie weit der Marktfundamentalismus von den realen Problemen der Wirtschaftspolitik entfernt ist.

Ist das Wissenschaft?

Die Schweizer Realwirtschaft sei existenziell auf die Grossbanken angewiesen, weshalb das Wachstum von UBS und Credit Suisse nicht mit schärferen staatlichen Regulationen behindert werden dürfe, sagt Hans-Ulrich Meister. Staatliche Eingrenzungen des Geschäftsfeldes und damit des Profitpotenzials der Grossbanken wären ein Eigentor für die Schweizer Volkswirtschaft. Der Chef der Credit Suisse Schweiz darf das sagen – muss er wohl auch in seiner Position. Mal abgesehen vom triumphalistischen Unterton seiner Lobeshymne auf seine Brötchengeberin als «eine der besten Banken der Welt».

Völlig verfehlt und nicht nachvollziehbar ist hingegen, dass niemand an der SFI-Tagung vertreten war, der eine Schrumpfung der Grossbanken befürwortet. Eine Position also, die – mehr oder weniger differenziert – von Persönlichkeiten wie dem Uhrenindustriellen Nicolas Hayek, den Politikern Christoph Blocher und Christian Levrat oder dem designierten Nationalbankpräsidenten Philipp Hildebrand vertreten wird. Die Problematik der Schrumpfung übergrosser Banken steht seit der Finanzkrise weltweit im Fokus der Wirtschaftspolitik und ist für die kleine Schweiz mit ihren Grossbanken von allergrösster Aktualität.

Dass SchrumpfungsbefürworterInnen an der als wissenschaftliche Veranstaltung daherkommenden Tagung fehlten, ist nicht nur ein kleiner Schönheitsfehler, sondern ein prinzipielles Defizit. Wissenschaft lebt vom Widerspruch, der Ausschluss von Debatten verhindert Wissenschaft. Das SFI ist stolz auf sein Doktorandenprogramm, das in Zusammenarbeit mit den Schweizer Universitäten angeboten wird und das laut Eigenwerbung Weltklasse haben soll. Die Frage ist nur, ob als Wissenschaft oder als Banken-PR.

Verantwortlich für die Amputation der sogenannten Too-big-to-fail-Problematik an dieser Veranstaltung ist SFI-Direktor und Tagungsleiter Jean-Pierre Danthine, Finanzprofessor an der Uni Lausanne. Danthine wechselt Anfang kommenden Jahres ins Direktorium der Nationalbank – also in eine Institution, deren designierter Präsident Philipp Hildebrand kürzlich erklärte, man dürfe nicht vor Massnahmen zurückschrecken, die sich direkt und indirekt mit der Grösse der Banken befassen, und der sich besorgt über den nachlassenden Schwung bei den Finanzmarktreformen zeigte.

Statt diesen Ball seines zukünftigen Direktionskollegen aufzunehmen und eine wissenschaftliche Debatte zur Finanzmarktreform zu veranstalten, gab Danthine an seiner Veranstaltung ausschliesslich den neoliberalen Schrumpfungsgegnern eine Propagandaplattform. Die Grossbanken können sich freuen: Künftig wirkt im Nationalbankdirektorium ein Gegengift gegen die hildebrandschen Schrumpfungspläne. Ob allerdings der Bundesrat mit Danthines Berufung ins Nationalbankdirektorium der Schweizer Volkswirtschaft insgesamt einen Dienst getan hat, muss bezweifelt werden.

Mehr Markt solls bringen

Jean-Charles Rochet von der Universität Toulouse referierte zur Regulation systemischer Institutionen – also jener Finanzgesellschaften, deren Funktion und Bedeutung für eine Volkswirtschaft von derart grosser Bedeutung sind, dass ihr Konkurs eine verhängnisvolle Abwärtsspirale in Gang setzen könnte. Nach Ansicht Rochets ist die heutige Finanzkrise eine Krise der unzulänglichen Marktorganisation. Demnach können zukünftige Krisen durch eine Reorganisation der globalisierten Finanzmärkte verhindert werden. Mit anderen Worten: Der Staat – und nicht einzelne Grossbanken – müsse, so Rochet, das reibungslose Funktionieren der Kernmärkte für Geld und Derivate garantieren.

Rochets rein marktbasierter Vorschlag ignoriert sowohl die Geopolitik als auch die damit verbundene Währungsfrage. Nach Definition der G20 gibt es heute weltweit dreissig Banken und Versicherungen, deren Zusammenbruch ein systemisches Risiko für das Weltfinanzsystem birgt. Davon acht in der EU, je fünf in den USA und Britannien, je vier in der Schweiz und Japan, drei in Frankreich und eine in Kanada. In China, Russland, Indien oder Brasilien existieren keine systemrelevanten Institute. Wie Rochat nun davon auszugehen, dass die betroffenen Regierungen den Crash einer relevanten Institution ohne Rücksicht auf nationale Wirtschaftsinteressen rein marktmässig auf international gesicherten Märkten abwickeln würden, ist völlig unrealistisch. In der Krise versuchen die Nationalstaaten, durch Währungsmanipulationen und Kapitalverkehrskontrollen ihre Exportwirtschaft zu schützen und ihre Auslandschulden auf andere Staaten abzuwälzen.

Der Dienst am Dogma des Marktes hat die Finanztheorie in die Sackgasse der sozial destruktiven Trennung von Finanzwesen und Realwirtschaft geführt. Der Ausweg liegt im Rückbau des Finanzsektors und der Spekulation – bei gleichzeitiger Förderung einer sozial- und ökoverträglichen Realwirtschaft.



Einäugig an die Weltspitze

Das Swiss Finance Institute (SFI) ist eine private Stiftung zur wissenschaftlichen Ausbildung und Forschung im Banken- und Finanzwesen in der Schweiz. Träger des Instituts sind neben Banken und der Börse auch der Bund, der Nationalfonds und die Universitäten. Das SFI-Jahresbudget von achtzehn Millionen Franken wird mit acht Millionen von den Banken und zehn Millionen von der öffentlichen Hand finanziert; davon zahlen die Unis sechs MillionenFranken, Bund und Nationalfonds vier Millionen. Der Direktor des SFI ist Jean-Pierre Danthine, der Anfang kommenden Jahres ins Direktorium der Nationalbank wechselt.

Die Ziele des Swiss Finance Institute sind ambitiös. Das Institut strebt einen Top-3-Status in Europa und einen weltweiten Top-10-Status an. Dazu sollen bis 2011 an den Schweizer Universitäten nicht weniger als dreissig neue Finanzprofessuren, ein einheitliches Doktorandenprogramm und Managerfortbildungsprogramme geschaffen werden. Auch Fachhochschulen dürfen Forschungsgelder erwarten.

Gegründet wurde das SFI 2006 von der Schweizerischen Bankiervereinigung mit dem Ziel, die akademische Forschung und Ausbildung in Finanztheorie am Standort Schweiz zur Weltspitze zu führen: «Die Schweiz soll zur Destination der Wahl der weltweit besten Finanzmarktspezialisten werden.» Die Universitäten und der Nationalfonds haben sich dieser Offensive der Banken mit fliegenden Fahnen angeschlossen. Der Bundesrat erachte das SFI als ein leuchtendes Beispiel der Kooperation von Privatwirtschaft und öffentlicher Hand im Bereich der akademischen Lehre und Forschung, vermeldet die Webseite des Swiss Finance Institute stolz. Wie nahtlos die Bereiche Wissenschaft, Privatwirtschaft und Staat beim SFI verschmelzen, zeigt das Beispiel der SFI-Forschungsdirektorin Rajna Gibson. Sie ist Professorin der Universität Genf und sitzt im Verwaltungsrat der Swiss Re. Früher war Gibson Mitglied der Eidgenössischen Bankenkommission, und noch früher betrieb sie eine kleine GmbH für Dienstleistungen im Finanzbereich.

Unter die Räder geraten ist bei dieser Dreierallianz Wirtschaft-Staat-Wissenschaft allerdings der akademische Pluralismus und damit letztlich auch die akademische Lern-, Lehr- und Forschungsfreiheit. Etwas anderes als der neoliberale Marktfundamentalismus hat beim SFI keine Chancen auf Finanzierung.

Danthine schweigt

Der zukünftige Nationalbankdirektor Jean-Pierre Danthine ist in der deutschsprachigen Schweiz nur in Fachkreisen bekannt. Wir hätten ihn unseren LeserInnen gern durch ein Interview näher gebracht, umso mehr, als die wirtschaftspolitische Rolle der Nationalbank immer wichtiger wird. Ist die Finanzkrise vorbei? Stabilisieren oder destabilisieren Derivate das Finanzsystem? Wie verhindern wir die sozial destruktive Spekulation mit wertlosem Wertschriftenmüll? Diese Fragen hätten wir Danthine gerne gestellt. Doch das war offenbar allzu starker Tobak für den Mann aus dem akademischen Elfenbeinturm. Danthine hat der WOZ das Interview verweigert.