Guatemala: Der Vogel der Könige

Nr. 8 –

Der Quetzal ist Guatemalas Nationalvogel, doch sein Lebensraum schwindet. Eine Chance, ihn zu finden, hat man im Naturschutzgebiet Chelemhá, das ein Schweizer einrichtete. Eine Pirsch durch den Nebelwald.


Hält man inne und horcht in den Nebelwald hinein, hört man fast keine Geräusche. Vielleicht fährt Wind durch Baumkronen, fallen Eicheln ins Unterholz, flattert irgendwo ein Schluchtenguan davon. Buschiges Moos sitzt an den Bäumen, Orchideen und Bromelien sind verblüht. Rogelio schaut mit offenem Mund in den Wald hinein, den Kopf leicht zur Seite geneigt – und horcht. Minutenlang, dann geht er weiter, seine Gummistiefel schmatzen auf aufgeweichtem Waldboden. Wieder nichts.

Es ist keine leichte Aufgabe, in diesen grünen Wirrungen ein Exemplar des legendären Quetzals zu finden. Schon gar nicht zu dieser Jahreszeit, wenn der Vogel tiefer gelegene Wälder bevorzugt. Doch TouristInnen kommen auch im Dezember, und Rogelio wäre der Letzte, der ihnen sagen würde, es gäbe gerade keinen Quetzal zu sehen. Man kann es doch versuchen.

Also schlagen wir uns den ganzen Vormittag durch den Wald, ducken uns unter gestürzten Urwaldriesen hindurch, versinken knöcheltief im Matsch, sehen gelbe und schwarze Frösche hüpfen. Aber keinen Quetzal. Rogelio sagt Dinge wie: «Wenn wir hier jetzt eine Stunde warten, ist es sicher, dass wir vielleicht einen sehen.» Wir gehen weiter. Der Morgennebel löst sich allmählich auf, Sonnenstrahlen fallen durch das Blätterdach auf eine Liane oder auf den eingerollten Trieb eines Baumfarns.

Dann sitzt plötzlich etwas Buntes im Geäst. Der Glücksmoment eines Vogelbeobachters, Lohn geduldiger Pirsch. Ein Trogon mexicanus, sagt Rogelio. Er schlägt sein Bestimmungsbuch auf und zeigt darauf. Der da. Schön bunt, aber leider kein Quetzal. Auch das gehört zur Vogelbeobachtung: Enttäuschung verbergen. Wir suchen Pharomachrus mocinno, nicht Trogon mexicanus. Am bes-ten ein Männchen, mit gelbem Schnabel, irisierenden Federn, scharlachroter Brust, Irokesenfrisur und goldgrünem Schweif.

Auf dem Weg zurück ins Dorf treffen wir auf Pumaspuren der letzten Nacht. Rogelio nimmt einen Gipsabdruck für die Statistik. Er sieht jung aus für sein Alter – er ist 24 und hat eine Tochter von vier Jahren – sein rundliches Gesicht unter einer Schirmmütze, über der Schulter trägt er eine bunte Umhängetasche. Seit einem Jahr arbeitet er als Touristenführer und seit einigen Monaten auch als Vogelkartierer im privaten Naturschutzgebiet Chelemhá, ein knapp fünf Quadratkilometer grosses Stück Urwald in der Provinz Alta Verapaz, nördlich von Guatemala-Stadt. Quetzale hat er hier schon viele gesehen, seit er mit offenen Augen den Wald durchquert und zwischendurch auch einmal innehält. Das musste er lernen, für die Touristen. «Die Männer aus dem Dorf rennen durch den Wald», sagt er. Und die meisten Frauen haben noch nie einen Qu’q gesehen, wie sie den Quetzal hier in der Mayasprache Q’eqchi’ nennen. Sie gehen nicht in den Wald, vielleicht weil sie Angst haben, vielleicht weil sie Maisfladen backen müssen.

Göttliche Federn

Es ist nicht irgendein Vogel. In Guatemala ist der Quetzal ein Mythos. Schon Schulkinder hören die Geschichte eines grünen Vogels, dessen Brust sich rot färbte, als er sie ins Blut des letzten Quiché-Königs Tecún Umán tunkte. Der Spanier Pedro de Alvarado hatte ihn im Kampf getötet. Für Maya und Azteken war der Quetzal heilig, die Mächtigen schmückten sich mit seinen göttlichen Federn. Später, als aus Guatemala eine Nation werden sollte, machte man den Quetzal zum Nationalvogel. Bis heute findet man ihn auf der Flagge, in der Nationalhymne, auf Ehrenorden und vor allem auf Geldscheinen – selbst die Landeswährung ist nach ihm benannt. Es gibt Quetzal-Bäckereien, Quetzal-Schuhgeschäfte, Quetzal-Abschleppdienste. Sucht man ihn aber im La-Aurora-Zoo in Guatemala-Stadt, findet man nichts als eine gläserne Stele mit seinem Abbild. Es gebührt sich für einen Nationalvogel nicht, in Gefangenschaft zu leben.

Ein paar Hundert Meter weiter allerdings, im Naturkundemuseum, hockt ein zerzaustes Exemplar in einer blau gestrichenen Vitrine, ausgestopft vor vielen Jahren. Ein Beweis, dass es ihn tatsächlich gibt. Denn für viele Guatemalteken ist der Nationalvogel eher ein Märchen als ein echtes Tier mit schrumpfendem Lebensraum. Es sind die Touristen, die im Wald nach ihm suchen – und ihn manchmal finden.

Schweizer Perfektion

Die Chelemhá Lodge ist ein kleines Stück Schweizer Perfektion im guatemaltekischen Nebelwald. Vier saubere Zimmer mit grossen Fenstern, durch die man auf den Nebelwald schaut, kein Strom, aber heisses Wasser in der Dusche, Kerzenlicht zum Lesen, ein Kaminfeuer zum Wärmen.

Hüttenwirt Armin Schumacher steht für die Gäste am Herd. Blond, schmal und lang. Das Gegenteil von einem Q’eqchi’. Ein Schweizer, der seit zwölf Jahren nicht mehr in seiner Heimat war. Ein gelernter Elektroniker, der jetzt keinen Strom mehr hat. Und nicht mehr weg will aus dem Nebelwald, auch weil seine Frau eine Q’eqchi’ ist und zwei Kinder mit ihm hat. Es gibt Risotto mit Gemüse aus dem eigenen Garten. Den hatte er schon in der Schweiz. Aus einem kleinen Weltempfänger mit verbogener Antenne quäkt Deutsche Welle, es läuft die Berichterstattung zur Klimakonferenz in Kopenhagen. «Wir merken die Veränderungen auch hier, der letzte Orkan war verheerend», sagt Schumacher. «Er hat die Maisfelder kurz vor der Ernte plattgemacht.»

Das Tal ist seine Welt geworden. Er baut selbst Mais an und testet geduldig, was auf knapp 2000 Metern über Meer wachsen könnte. Haselnüsse, Walnüsse, Erdbeeren, Blaubeeren, Feuerbohnen. Und wie man die besten Erträge auf wenig Fläche erzielt, auch für die Leute im Dorf. «Ich war schon in der Schweiz Hobbygärtner und immer grün drauf», sagt er. Als sich vor zehn Jahren die Gelegenheit ergab, von einem Kaffeeproduzenten Land für ein Schutzgebiet zu kaufen, erwarb Schumacher es zusammen mit zwei Partnern. 2003 haben sie die Lodge gebaut, zwei Jahre später kamen die ersten Touristen. Heute gibt es den Verein Uprobon, der das Schutzgebiet verwaltet, und das Naturschutzprogramm Proeval Raxmu, für das drei Gemeindemitglieder ausgebildet wurden, damit sie die Vogelpopulation in der Region langfristig beobachten. Rogelio ist einer von ihnen.

Kaffeekirschen, Chili, Cayote

Die Hütte der Schweizer liegt am Rande eines Q’eqchi’-Dorfes, rund 35 Familien leben hier in Holzhäusern ohne Strom. Die Frauen garen Tortillas am offenen Feuer, sie klagen über Kopfschmerzen, die Strohdächer sind schwarz vom Rauch. Die Männer gehen Kaffeekirschen oder Kardamom pflücken, um Geld zu verdienen. Was sie hier auf steilen Feldern anbauen, reicht gerade zum Leben – Mais und Bohnen, Chili, Tomaten und Cayote, eine grüne Kürbisart, die nach Kohlrabi schmeckt.

Doch das Land ist knapp, es werden immer mehr Kinder geboren. Früher wurden einfach neue Waldflächen gerodet, mit Axt und Feuer. Weihrauch wurde rituell verbrannt und dann die ers-te Saat ausgebracht, immer fünf Korn Mais und eine Bohnenpflanze. Doch irgendwann kamen die Schweizer ins Tal und mit ihnen der Naturschutz. «Wenn es das Chelemhá-Schutzgebiet nicht geben würde, wäre heute vom Wald wahrscheinlich kaum noch etwas übrig», sagt Rogelio. Vom Gipfel oberhalb der Lodge kann man sehen, wie Bauern in den Nachbartälern ihre Felder in den Wald geschlagen haben. Immer ein Stückchen weiter, bis an die steilsten Hänge. Rogelio hat sein Maisfeld nur für ein Jahr von seinen Eltern gestellt bekommen, danach sieht er seine Chance im Tourismus. «Wenn mehr Leute den Quetzal sehen wollen, muss ich nicht mehr zur Kardamomernte gehen», sagt er. Doch die Chelemhá Lodge ist bislang wenig bekannt und liegt ungünstig. Drei Stunden braucht man mit einem Allradfahrzeug zur nächsten grossen Strasse. Manchmal kommen zwei Monate lang keine TouristInnen. Und auch wenn es in Zukunft mehr werden, reichen die Arbeitsplätze in der Lodge längst nicht für alle Familien im Dorf.

Einige haben sich daher zusammengeschlossen und wollen eine eigene Unterkunft bauen, günstiger als Chelemhá. Sie hoffen auf Rucksacktouristen – und auf die Anziehungskraft des Quetzal.

Tourismus statt Abholzen

Zurück auf dem Weg nach Guatemala-Stadt. Links und rechts der Strasse stehen Gewächshäuser aus schwarzer Gaze. Cáncer negro nennen die Leute die Ungetüme hier – der schwarze Krebs, der immer weiter in den Nebelwald hinein wuchert. Im Waldinnern wachsen Zierpflanzen für den Export. Ganz in der Nähe weist ein Schild auf den «Nebelwald-Korridor» hin, einen Verbund von etwa zwanzig Biotopen der Region, insgesamt knapp 300 Quadratkilometer Nebelwald. Wie das weiter nordöstlich gelegene Chelemhá sind es auch hier ausschliesslich private Naturschutzgebiete. Dank solcher Initiativen ist der Quetzal heute in Guatemala nicht akut vom Aussterben bedroht, auch wenn sein Lebensraum weiter schrumpft.

Viele der Schutzgebiete setzen auf Ökotourismus, um den Menschen an ihren Rändern eine wirtschaftliche Perspektive zu geben. Es gibt Öko-Hotels, Kaffee-Fincas mit Zimmervermietung und touristische Dorfprojekte. «Der Tourismus ist für die Leute eine Alternative zum Abholzen des Waldes, nicht die einzige, aber eine wichtige», sagt Marlen de Moino, Präsidentin des Biotopverbunds.

Fliegen vor dem Sex

Bei Kilometer 160,8 hat sich Don Julio ein Quetzal-Reich direkt an der Hauptstrasse eingerichtet, das er La cuna del Quetzal nennt – Wiege des Quetzals. Ein Restaurant, ein paar einfache Zimmer für Touristen und ein kleines Nebelwald-Biotop, das zwanzig Quetzales Eintritt kostet, etwa 1.50 Euro. Ringsherum hat er die Lieblingsbäume der Quetzals gepflanzt, vor allem wilde Avocadobäume, und zwar so viele, dass die Vögel kaum vorbeifliegen können. Er bittet ins Büro. An der Wand hängen gerahmte Quetzal-Fotos, die eher an verschwommene Ufo-Sichtungen erinnern.

«Er ist eine Erscheinung, eine fliegende Schlange», sagt Don Julio. Er war einer der Ersten, die sich hier um den Quetzal gekümmert haben. Seit dreissig Jahren kommen die Leute nun schon zu ihm und fragen nach dem Quetzal. Noch immer erzählt er mit aufgeregter Stimme von ihm. Wie er in morschen Baumstümpfen aufwächst, wie ausgewählt er sich ernährt, wie er Sex hat und vorher aufreizende Balzflüge vollführt, wie die Guatemalteken ihn mit Worten ehren, aber mit Taten umbringen.

Vorsichtig holt er eine Schwanzfeder aus einer Schatulle, hält sie gegen das Licht. Sie leuchtet grün, blau, goldfarben. Der Rest wirkt inszeniert. Draussen ruft ein Quetzal, das «Kiu-Kiu-Kiu» ist eindeutig. Wir stürmen nach draussen, sehen ihn fliegen – majestätisch, wie er seinen Schweif in Wellen hinter sich herzieht, vielleicht dreimal so lang wie der Körper. Ein Glücksmoment, nicht nur für Vogelbeobachter. Er landet in einem von Don Julios Bäumen und scheint auf uns herabzuschauen. «Die Männchen sind sehr eitel», flüstert Don Julio. «Wenn er wieder fliegen will, stösst er sich nach hinten ab, um seine Schwanzfeder nicht über den Ast zu schleifen.» Wie ein Taucher, der sich rückwärts in den Nebelwald fallen lässt.


Die Chelemhá Lodge

Die am Rande einer Q’eqchi’-Gemeinde gelegene Chelemhá Lodge ist nur mit Allradfahrzeug mit kundigem Fahrer zu erreichen, in etwa drei Stunden vom Hotel Ram Tzul aus. Man sollte mindestens zwei Nächte einplanen, damit sich die lange Anreise lohnt.

Weitere Informationen

www.chelemha.org www.adrenalinatours.com www.ecoquetzal.org www.corredorbiologico.org