Eine junge WOZ-leserin: Ehrlich wie die Pizza
I.P.* (19) ist ab und an weniger links als die WOZ und findet, die Zeitung verdiene mehr Aufmerksamkeit.
«Was ist das?», fragten einige meiner Kommilitonen, als ich erzählte, dass die WOZ mich porträtieren wolle. Für mich ist das erschreckend, die WOZ ist doch ein Begriff, die müsste man zumindest kennen. Etwas mehr Publicity täte ihr gut. Vielleicht sollte man sie einmal an der Uni verteilen, denn ich glaube, viele Studenten würden die WOZ lesen, wenn sie sie erst einmal in die Hand gedrückt bekommen. Das Jusstudium, das ich soeben begonnen habe, war ein pragmatischer Entscheid. Wirtschaft fände ich spannend, aber da muss man rechnen können, was ich nicht kann. Auch Sprachen hätten mich interessiert, aber ich will sicher nicht Lehrerin werden.
Ich denke, Jus ist auch eine gute Grundlage für das Verständnis politischer Prozesse. Früher war ich mal liberaler, in letzter Zeit bin ich mehr nach links gerutscht. Für mich ist die SP die einzig wählbare Partei. Auch wenn ich nicht immer hundert Prozent auf ihrer Linie bin, aber das muss ja auch nicht sein. Manchmal sollte sie etwas klarer Stellung beziehen, zum Beispiel, wenn politische Gegner ihr vorwerfen, sie sei weltfremd, etwa in Ausländerfragen, was ja gar nicht stimmt. Ich hätte SP-Nationalrat Daniel Jositsch als Prof haben können, aber zeitlich passte mir das nicht so gut, und wenn sich 500 von 600 Studenten wegen dem in einen Hörsaal quetschen, dann muss ich das nicht auch noch tun. Jetzt bin ich halt bei Martin Killias, das ist auch gut. Was, der ist auch in der SP? Das wäre mir jetzt nicht in den Sinn gekommen, nachdem ich neulich mal sah, dass in der «Weltwoche» ein Interview mit ihm erschienen ist.
Auch mal was akzeptieren!
Manchmal bezieht die WOZ Positionen, die mir persönlich zu links sind. Bei der Pauschalbesteuerung etwa, weil ich denke, dass die Schweiz diese Leute braucht und nicht vertreiben sollte. Oder das Interview mit Jo Lang über die Kampfjets. Der Kauf wurde immerhin vom Parlament gutgeheissen, ich finde, das sollte man auch mal akzeptieren. Der Text über die Ereignisse beim Derby GC–FCZ hat mir hingegen sehr gut gefallen. Die WOZ war die einzige Zeitung, die das differenziert betrachtet hat. Auch ich bin der Meinung, dass die Klubs mit den Attributen der Fankultur bewusst Geschäfte machen. Wenn es die Sportkolumne in der WOZ nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Die lese ich immer zuerst.
Ich spielte bei der Mädchen-U-18 von GC und später noch ein bisschen 1. Liga, aber dann wurde es zu viel mit der Schule. Wenn Frauenfussball mit Männerfussball verglichen wird, regt mich das auf, das sind einfach zwei Paar Schuhe. Ehrlich gesagt, viel habe ich von der Frauenfussball-WM nicht mitbekommen. Ich muss zugeben, dass ich selbst auch lieber Männerfussball schaue. Fan von einem bestimmten Klub bin ich nicht wirklich, aber ich sympathisiere mit dem FC Basel, ich weiss, das ist heikel, aber ich finde, die spielen in der Schweiz den schönsten Fussball. Europaweit gefällt mir der englische Fussball definitiv am besten.
Für jede und jeden etwas dabei
Ich kenne die WOZ von meinen Eltern, sie haben sie früher gelesen und kaufen mir auch manchmal eine. Sechs Franken sind nicht wenig, und ein Abo kann ich mir momentan nicht leisten. Oft lese ich WOZ-Artikel und auch «Tagi», NZZ und «Spiegel» online auf dem iPhone. Das macht mir nichts aus, auch wenn es schon ein anderes Erlebnis ist, eine Zeitung in den Händen zu halten. Ich glaube nicht, dass Printprodukte in der näheren Zukunft gänzlich aussterben.
Für meine Eltern ist es wohl schon speziell mitzuerleben, in welch privilegierten Verhältnissen die heutige Jugend aufwächst. Bei den Jungen vermisse ich oft die Wertschätzung dafür. Das Bewusstsein dafür, wie gut es uns eigentlich geht, ist nicht bei allen Leuten in meinem Umfeld vorhanden. Ich finde, wir sollten unsere Konsumgewohnheiten gründlich überdenken – wir leben über unsere Verhältnisse, und das auf Kosten anderer. In Asien arbeiten Kinder unter miserablen Bedingungen, nur weil wir immer die neusten Markenschuhe haben müssen. Das kann so nicht weitergehen. Klar, ich kann mich dem auch nicht ganz entziehen, auch ich kaufe ab und zu bei H&M ein.
Es ist wichtig, dass es die WOZ gibt, weil sie andere Sichtweisen und Standpunkte einbringt. Wenn die WOZ ein Nahrungsmittel wäre, wäre sie eine Pizza. Eine Pizza ist nicht Schickimicki, sie ist ehrlich. Und der Belag ist bunt und variabel, jeder darf selbst auswählen, was er gern hat, für jede und jeden ist etwas dabei. Ich hätte gerne mal ein Dossier zum Thema «Kommerz und Fussball», unglaublich, wie die Millionen, die da hin- und hergeschoben werden, den Sport kaputt machen.
* Auf Wunsch der porträtierten Person hat die WOZ im Mai 2019 deren Namen anonymisiert. Neun Jahre nach Erscheinen des Textes möchte die porträtierte Person im Hinblick auf ihre berufliche Zukunft keinem bestimmten politischen Spektrum zugeordnet werden.