Peter Uebersax (1925–2011): Vertrauenswürdige Quelle, falsche Story
«Massstäbe der Professionalität» habe der ehemalige «Blick»-Chefredaktor gesetzt, heisst es nun. Das ist eine Legende.
Peter Uebersax habe ich nie persönlich kennengelernt, aber sehr früh die Legende Uebersax, damals, 1971, als er für die Nachrichtenagentur UPI arbeitete. Ein ungeduldiger Antreiber sei er, warnte man uns Junge, und kompromisslos dem angelsächsischen News-Journalismus verpflichtet, der auch hier in der Schweiz-Redaktion der UPI gelte.
Schweizweit bekannt wurde Uebersax dann als «Blick»-Chefredaktor der Jahre 1980 bis 1986. Er trieb die Auflage auf sagenhafte 384 000 beglaubigte Exemplare und machte Ringiers Boulevardblatt zum Sprachrohr der Blocher und Autoblocher, der Raser und Rassisten. Als Auflagenvampir roch er als Erster Blut und Storys. Darin überbot ihn keiner.
Und als Handwerker? «Als Journalist war er brillant», fand Roger Köppel, dessen «Weltwoche» Uebersax’ Tod publik machte. Unter dem faktentreuen Agenturjournalisten habe es «kaum Flops und verlorene Prozesse gegeben», bilanzierte in St. Gallen Gottlieb F. Höpli. Und Roger Schawinski bekannte, der «akribische, faktenorientierte Ansatz» von Uebersax habe ihn geprägt.
Des Lobes am vollsten war Karl Lüönd, neben anderem auch «Blick»-Veteran. Der Verstorbene habe «Massstäbe der Professionalität» gesetzt und Quellen stets hartnäckig hinterfragt. Keine Meldung sei raus, «bevor sie nicht minutiös überprüft worden war; seriösestes Handwerk also. Bevor er eine Schlagzeile dichtete, wollte es Uebersax ganz genau wissen.»
Dann dichtete es beim «Blick» zum Beispiel: «Kranke Frau die ganze Nacht von sechs Männern vergewaltigt». Damit eröffnete Uebersax 1984 eine aggressive Antitamilenkampagne. Die Nationale Aktion, wie die Schweizer Demokraten damals hiessen, griff dankbar zu und inserierte: «In keinem andern Land der Erde können Tamilen ungestraft gleich rudelweise ein wehrloses Schweizer Mädchen vergewaltigen.» Ein gutes Jahr später räumte der «Blick» unauffällig ein, das Verfahren sei eingestellt worden. Die Justiz kam zum Schluss, es habe sich mitnichten um Vergewaltigung gehandelt.
Solche Falschmeldungen leistete sich der «Blick», wenn es gegen Flüchtlinge ging, in Serie. «Tamilen: Mit Drogen 6 Mio Fr. Gewinn!» prangte auf einem Kioskaushang. Umgehend dementierte der Untersuchungsrichter an einer Pressekonferenz: Von Millionenbeträgen könne keine Rede sein, verbürgt seien Transaktionen von bloss 14 000 Franken. Worauf der «Blick» titelte: «Tamilen zogen in Bern grossen Drogenring auf» – ohne ein Wort über das Dementi zu verlieren.
Ein drittes Beispiel: «Ewiger Student 15 Jahre in der Schweiz – jetzt will er politisches Asyl». Kernsätze: «Seit 15 Jahren hält sich ein Student aus Zaire in Bern auf, ohne je sein Studium abzuschliessen.» Und: «Der Student schmückt sich unberechtigt mit den Titeln Prof. Dr. phil., lic. theol., cand. iur.» Fakt ist: Der Schwarzafrikaner war seit 1970 lic. theol. und lic. phil., bestand vier Jahre später in Freiburg das Doktorexamen und wirkte in seiner Heimat als Professor.
Uebersax behauptete vor Gericht, man habe sich auf eine «vertrauenswürdige Quelle» gestützt. Höchste Professionalität? Eine Quelle, die Falsches liefert, ist keine gute Quelle. Entscheidend ist noch immer, ob das Publizierte stimmt.
In einem Aufsatz für das Buch «Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?»* habe ich die Antitamilenhetze des «Blicks» in der Ära Uebersax so beschrieben: «In den allermeisten Fällen fussen die Horrormeldungen über Flüchtlinge auf Angaben oder Indiskretionen kantonaler Fremdenpolizeistellen. Diese sind Verursacher, der ‹Blick› transportiert, und die Nationale Aktion profitiert.» In Berichten über Flüchtlinge foutierte sich der «brillante Journalist» mit einer rassistischen Nachlässigkeit um journalistische Grundregeln. Das ist das eine.
Das andere: Trotz aller dokumentierten Fehlleistungen hielt sich in der Medienszene die Legende vom Top-Profi Uebersax. Selbst das gewerkschaftsnahe Medienmagazin «Klartext» schrieb: «Handwerk geht dem Profi Uebersax über alles. Auch wenn eine Story noch so gut tönt, es wird recherchiert und nochmals recherchiert – vielleicht bis zum Tod der Geschichte.»
Der Tod von Peter Uebersax könnte für Medienschaffende ein Anstoss sein, über eigene blinde Flecken nachzudenken.
*«Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Die Schweiz und ihre Flüchtlinge». Limmat Verlag Genossenschaft. Zürich 1986.