Film: Ein Trip im Kinosaal

Nr. 46 –

An jenem Nachmittag im Jahr 1943, als er auf dem Sofa lag und der Auflösung seines Ichs in Technicolor beiwohnte, habe er mit dem Leben abgeschlossen. Das sagt Albert Hofmann, Entdecker des LSD, im Alter von 100 Jahren, mit wachem Blick in die Kamera. So oder ähnlich werden es alle ProtagonistInnen in Martin Witz’ Dokumentarfilm «The Substance» formulieren: LSD habe nichts weniger als ihr Leben verändert.

Die Basler Chemiefirma Sandoz verschickte damals Samples von LSD an verschiedene Kliniken, Ärztinnen und Psychiater mit der Aufforderung, das Mittel zu testen. «Anfixen» nennt man diese Pharmapraxis bis heute. Tatsächlich griff die Experimentierlust mit der bewusstseinsverändernden Droge in der Nachkriegszeit in der ganzen westlichen Welt um sich: vom Prager Psychiater Stanislav Grof über den US-Geheimdienst und die Armee bis hin zu Timothy Leary, der deswegen von der Harvard-Universität flog, zum Guru der Hippiebewegung avancierte und von Präsident Richard Nixon zum gefährlichsten Mann Amerikas hochstilisiert wurde. «Das killte die legitime Forschung», ereifert sich Grof noch heute. Es dauerte über dreissig Jahre, bis die Johns Hopkins University in den USA zaghaft mit neuen Studien zur Wirkung von LSD an KrebspatientInnen begann.

Martin Witz erzählt die Geschichte mit bislang weitgehend unveröffentlichtem Filmmaterial: Aufnahmen, die von Hofmanns Familie über halluzinierende Soldaten im Basic Training bis hin zu Grofs Patienten reichen, die unter dem Einfluss von LSD zeichnen und aus einem banalen Telefon eine zähnefletschende Hundefratze machen. Ein Wiedersehen lässt sich auch mit den Ikonen der Hippiebewegung feiern: Leary mit Blümchen im Haar, Jimi Hendrix mit brennender Gitarre und die Merry Pranksters, die LSD überhaupt erst popularisierten. Albert Hofmann führt mit luziden Interpretationen und Bekenntnissen durch dieses schillernde Potpourri, zu dem auch Aussagen verschiedenster damaliger ProtagonistInnen Facetten beisteuern.

Zum Schluss irritiert eigentlich nur der etwas gar euphorisch-unkritische Nachgeschmack. Oder warum bloss verlässt man den Kinosaal mit dem Drang «to turn on, tune in and drop out»? mei

«The Substance – Albert Hofmann’s LSD». Schweiz 2011. 
Regie: Martin Witz. Ab 17. November in Deutschschweizer Kinos.