Kultour
Film
Hommage an Kurt Gerron
«Er war kein grosser Schauspieler und nicht mehr als ein handwerklich versierter Regisseur», schreibt Charles Lewinsky in einem Text über Kurt Gerron, den er für das St. Galler Kinok geschrieben hat: «Was er für die Ufa produzierte, war Massenware: sauber gemachte Unterhaltungsfilmchen, mit denen man die Zuschauer neunzig Minuten lang über Arbeitslosigkeit und Inflation hinwegtröstete.»
Inspiriert von Lewinskys Roman «Gerron» (2011) zeigt das Programmkino eine Reihe von Filmen, in denen Gerron bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten mitwirkte: «Der blaue Engel» (1930), «Die Drei von der Tankstelle» (1930) oder «Der weisse Dämon» (1932), bei dem er Regie führte.
Am 1. April 1933, einen Tag nachdem Propagandaminister Joseph Goebbels eine Ansprache an die Chefs der Filmfirmen gehalten hatte, wurde Gerron aus dem Atelier geworfen, in dem er gerade «Kind, ich freu’ mich auf dein Kommen» drehte. Neun Jahre später wurde die Amsterdamer Joodsche Schouwburg, das letzte Theater, an dem er noch hatte auftreten dürfen, zum Deportationszentrum umgewandelt. Gerron und seine Frau Olga wurden über Westerbork nach Theresienstadt deportiert. Dort liess sich Gerron 1944 durch das Versprechen freizukommen, dazu überreden, «Der Führer schenkt den Juden eine Stadt» zu drehen, mit dem das Ausland über den wahren Charakter Theresienstadts getäuscht werden sollte. Kurz darauf wurde er nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Die erhaltenen Fragmente des Films sind im Kinok gemeinsam mit Harun Farockis «Aufschub» (2007) zu sehen: In Letzterem dienen tonlose 16-mm-Aufnahmen, die ein Insasse des holländischen KZ-Transitlagers Westerbork für den Lagerkommandanten drehte, Farocki als Ausgangspunkt, um in Zwischentiteln Fragen über den Wahrheitsgehalt der Bilder, über Manipulation und Propaganda aufzuwerfen. Die Holocaustforscherin Susanne Heim führt am Mittwoch, 4. April 2012, um 20 Uhr in beide Filme ein.
Adrian Riklin
Hommage an Kurt Gerron in: St. Gallen Kinok in der Lokremise, So, 1., bis Sa, 28. April 2012. Genaues Programm: www.kinok.ch
Festival
Sonohr
Stunden haben wir als Kinder vor dem Radio verbracht. Gemeinsam sassen wir auf dem Sofa und hörten Hörspiele, später kamen Hörbücher dazu: wunderbare Welten, die sich unseren Ohren auftaten.
Gemeinsames Hörspielhören – das ist nun in Bern nicht nur zu Hause auf dem Sofa möglich, sondern während dreier Tage im Theater am Käfigturm. Zum zweiten Mal findet das Sonohr Hörfestival statt, das neben Hörspielen auch Features und Reportagen zum Besten gibt.
Eröffnet wird mit dem Hörspiel, das letztes Jahr den ersten Preis des Festivals gewonnen hat: «Nid wägnäh!» von Franz Bigler ist eine bissige Collage über eine betagte Dame, die sich nicht damit abfindet, dass sie in einem Altersheim leben muss. Weiter geht es mit «Strandgut», einem Krimihörspiel von Giulia Meier.
Sechzehn Wettbewerbsbeiträge kämpfen heuer um einen Publikums- und einen Jurypreis. Die Beiträge variieren vom vierminütigen Hörspiel über halbstündige Reportagen bis zum einstündigen Feature. Zu empfehlen sind auch die Livehörspiele. Hier können sich Hörspielfreaks und solche, die ihre Kindheit vor dem Radio verbracht haben, ein Bild davon machen, wie so eine Aufnahme überhaupt entsteht.
Silvia Süess
Sonohr Hörfestival in: Bern Theater am Käfigturm, Fr, 30. März, bis So, 1. April 2012. www.sonohr.ch
Ausstellung
Systematische Gewalt
Jede vierte Person, die in der Schweiz als Flüchtling anerkannt wird, muss mit den Folgen systematischer Gewalt leben. Die Beschwerden sind vielfältig: körperliche Schmerzen, Panikattacken, soziale Isolation.
Das Romerohaus in Luzern zeigt Porträts von Folter- und Kriegsopfern in der Schweiz. Unter dem Titel «Mit der schwierigen Erinnerung in der sicheren Schweiz» sind Fotos von Meinrad Schade zu sehen und Texte von Martina Kamm zu lesen. An der Eröffnung, an der der Fotograf und die Soziologin anwesend sind, ist auch der Film «Sous le main de l’autre» von Dominique Henry und Vincent Detours zu sehen. Der Film begleitet während eines Jahres die therapeutischen Besuche zweier Folteropfer und macht klar: Die Macht der Folterer geht weit über die direkten Misshandlungen ihrer Opfer hinaus.
Der Abend klingt aus mit Akkordeonklängen von Irene Lötscher sowie Diskussionen mit Sonja Nydegger (Psychotherapeutin des Ambulatoriums für Folter- und Kriegsopfer) und Marco Mona (Rechtsanwalt und Mitglied der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter).
Silvia Süess
«Mit der schwierigen Erinnerung in der sicheren Schweiz», Ausstellung von Meinrad Schade (Foto) und Martina Kamm (Texte) in: Luzern Romerohaus, Mo, 2., bis Mo, 30. April 2012, 8.30 Uhr bis 18.30 Uhr. Vernissage: Mo, 2. April, 17.30 Uhr. www.romerohaus.ch
Konzert
Konono No 1
In Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, wird die Musik von Konono No 1 den «tradi-modernen» Bands zugeordnet. Viele MusikerInnen haben den Schritt vom Land und aus dem Grenzgebiet zu Angola ins boomende Kinshasa gemacht, um dort das Überleben zu versuchen und in den lokalen Tanzschuppen zu spielen. Die Scouts des belgischen Crammed Label haben in der ehemaligen belgischen Kolonie schon eine Reihe von Perlen wie Kasai Allstars oder Staff Benda Bilili entdeckt und ihren Ruhm in Europa mitbegründet.
Das Label subsumiert die explosive Mischung von tribalen Sounds mit Elektronik – in Anlehnung an die erste CD von Konono No 1 – als Congotronics. Vergangenes Jahr ist mit «Assume Crash Position» bereits die vierte Produktion erschienen. Bei Konono No 1 werden auch Autowrackteile zu Perkussionsinstrumenten. Die Klänge des Daumenklaviers (wie es Bandgründer Mingiedi spielt) sowie Gitarren- und Perkussionssounds verschlauft die Band zu einem gewaltigen urbanen Mix. Sie verdichtet mithilfe von gebastelter Elektronik die verschiedenen Quellen zu tranceartigen Bazomba-Tracks, die sich zwar auf CDs pressen lassen, aber ihre ganze Wucht erst im Konzert entfalten.
Fredi Bosshard
Konono No 1 in: Luzern Südpol, Mi, 4. April 2012, 21 Uhr; Basel Kaserne, Do, 5. April 2012, 21 Uhr; Thun Café Mokka, Fr, 6. April 2012, 21 Uhr; Zürich Moods im Schiffbau, Sa, 7. April 2012, 20.30 Uhr; Genf Electron Festival, So, 8. April 2012. www.crammed.be
Buddha verboten
Da haben sich zwei gefunden: die Berner Schlagzeugerin Eveline Rütschlin und der Performer Pascal Gamboni. Der Bündner war soeben als musikalischer Kompagnon mit dem Autor Arno Camenisch auf Tour, der sein neues Buch «Ustrinkata» vorstellte.
Nun ist er mit Rütschlin das Duo «Buddha verboten». Die beiden haben ihre erste CD aufgenommen und treten im Berner Restaurant Du Nord auf. Zu hören sind feine Stücke in Englisch, Französisch und Rätoromanisch, die mit Gitarre und Schlagzeug begleitet werden und kleine (Liebes-)Geschichten aus dem Alltag erzählen. Der Abend verspricht melancholische Melodien, unterlegt mit feinen Drumbeats.
Silvia Süess
«Buddha verboten» in: Bern Restaurant Du Nord, Do, 5. April 2012, 21 Uhr. www.dunord-bern.ch
Olafur Arnalds
Mit Musikgenres ist das so eine Sache. Im besten Fall sorgen sie für Orientierung, oftmals aber auch für Verwirrung. Beispielsweise das Genre «zeitgenössische Kammermusik». Bisher war für mich klar: ignorieren.
Aber bisher kannte ich auch Olafur Arnalds nicht. Der junge Isländer macht – gemäss Presse – zeitgenössische Kammermusik, die man aber – gemäss mir – nicht ignorieren soll. Im Gegenteil: Seine fragilen und verspielten Kompositionen sind intensiv, berührend und spannend. Arnalds kommt denn auch nicht aus dem Klassikbereich, sondern hat einst Schlagzeug in einer Hardcoreband gespielt. Seine Musik ist also der besseren Orientierung wegen eher als Posthardcore-Klassik mit einem Schuss Emo zu bezeichnen.
Jan Jirát
Olafur Arnalds in: Zürich Moods, Sa, 31. März 2012, 20.30 Uhr. www.moods.ch