Personenrätsel: Die Pfeife rauchende Wahrheitsverkünderin

Nr. 42 –

Vier ihrer fünf Kinder waren bereits verkauft worden, das Jüngste liess sie sich nicht mehr nehmen. Obwohl im Staat New York die Sklaverei gerade abgeschafft wurde, wollte ihr Herr sie nicht freilassen, und so nahm sie ihre Tochter bei der Hand und verschwand. Das war 1827. Fünfmal hatte sie in den letzten drei Jahrzehnten den Besitzer gewechselt, sie war versteigert, misshandelt, zwangsverheiratet worden. Jetzt wollte sie ein Leben in Freiheit führen, ihr Startkapital war ein tiefer Gottesglaube.

Unterschlupf fand sie zunächst bei QuäkerInnen, die damals zu den entschiedensten GegnerInnen der Sklaverei zählten. Sie arbeitete als Hausangestellte, engagierte sich in religiösen Zirkeln (wo sie ihr Redetalent entdeckte) und zog als Wanderpredigerin durchs Land. Die ZuhörerInnen waren fasziniert von der Pfeife rauchenden Schwarzen, die mit Inbrunst von ihrem Leben und von Gott erzählte.

1844 stiess sie auf die Northampton Association of Education and Industry, eine Ko­ope­rative von Frauenrechtlern und Sklaverei­­geg­nerinnen, in der Geschlecht, Hautfarbe und Religion keine Rolle spielten: Über 200 Menschen lebten und arbeiteten dort zusammen, züchteten Vieh, unterhielten Sägemühlen, kultivierten Maulbeerbäume für ihre Seidenzwirnfabrik.

Das Unternehmen endete zwei Jahre später zwar im wirtschaftlichen Fiasko, die Verbindungen aber blieben bestehen. 1850 veröffentlichte sie schliesslich ihre Memoiren, die sich so erfolgreich verkauften, dass sie davon leben konnte. Und wieder ging sie auf Wanderschaft, geisselte Sklaverei und Rassismus und beschämte die weisse Frauenrechtsbewegung mit ihrer berühmten Rede «Ain’t I a woman?» (Bin ich denn keine Frau?), weil diese die schwarzen Frauen borniert ignorierte.

Später engagierte sie sich auch im Freedman’s Village bei Washington, einem Siedlungsprojekt, in dem nach Beginn des Sezessionskriegs 1861 Tausende geflohene Sklav­Innen Unterkunft, medizinische Versorgung und Ausbildungsmöglichkeiten erhielten.

Wer war die 1883 verstorbene Frau, die noch mit achtzig gegen Rassentrennung, ­Todesstrafe und Alkohol zu Felde zog?

Wir fragten nach der US-amerikanischen Wanderpredigerin und Politaktivistin Sojourner Truth (1797/98–1883). Ihr Sklavenname lautete Isabella, ab 1843 nannte sie sich Sojourner Truth. Sie lernte nie lesen und schreiben, ihre Memoiren – «The Narrative of Sojourner Truth: A Northern Slave» – diktierte sie einer Freundin. Die Rede «Ain’t I a woman?» hielt sie 1851 auf einer Frauenrechtskonferenz in Akron, Ohio. Das Freedman’s Village, die «Siedlung des befreiten Mannes», wurde nach dreissig Jahren geräumt. Das Gelände ist heute Teil des Nationalfriedhofs Arlington.