Fumoir: 1:12 – haben oder sein

Nr. 16 –

Ruth Wysseier fordert Groupies für Führungskräfte.

Wollen wir, dass die besten CEOs dem Land den Rücken kehren? Wollen wir, dass von einem Tag auf den anderen Grosskonzerne führungslos durch die stürmische globale Wirtschaft schleudern? Wollen wir den ManagerInnen an den Kopf knallen, sie seien uns nichts wert?

Wenn die 1:12-Initiative angenommen wird, hat die Schweiz ein ernstes Problem. Die Initiative der Juso vertritt zwar auf den ersten Blick ein sympathisches Anliegen, und so radikal ist die Forderung nicht, dass in jedem Betrieb der höchste Lohn nicht mehr als zwölfmal höher sein darf als der niedrigste. Damit könnten, rein materiell gesehen, alle leben, auch die etwas anspruchsvolleren Führungskräfte.

Aber die Initiative hat einen grossen Fehler: Sie ignoriert die immateriellen Werte und die seelischen Aspekte.

Die exorbitanten Gehälter und Entschädigungen, das haben wir am Beispiel des sensiblen Daniel Vasella gelernt, dienen nämlich gar nicht in erster Linie der Bereicherung. Der Novartis-Chef wäre sofort bereit gewesen, seine 72 Millionen Franken Abgangskonkurrenzverbotsentschädigung für soziale Zwecke zu spenden. Warum also hatte er sie verlangt? Weil die Summe seinen Selbstwert spiegeln sollte! Weil er nicht wusste, welchen Liebesbeweis er sonst hätte fordern können. Weil er in Torschlusspanik geriet und Angst hatte, vergessen zu werden, in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.

Da ging es nicht ums Haben. Es ging darum, zu sein – der grösste, beste, kostbarste, wertvollste Firmenchef aller Zeiten.

Ein Jammer, wie viele Millionen so verschleudert werden, bloss weil unser armseliges eingleisiges Wirtschaftssystem, wenn es Wertschätzung ausdrücken will, keine andere Sprache kennt als die Sprache des Geldes.

Dabei weiss jede Mutter, dass Zuwendung, Lob und Anerkennung Zaubermittel sind. Das fängt schon beim Topftraining an. Später gibts fürs Zähneputzen ein Guetnachtgschichtli. Doch nur allzu früh greifen bequeme Eltern zu materiellen Anreizen. Taschengeld fürs Abwaschen, ein iPhone oder eine Markenjeans für gute Schulnoten. Und dann gehts halt immer so weiter, je höher man steigt, desto grösser müssen jeweils die Belohnungen sein, der Peer-Druck verlangt ein paar Millionen mehr, als das ehemalige Harvard-Gschpöndli bekommt.

Wenn wir den Top Shots die Boni wegnehmen, braucht es ein Ersatzsystem, das ihre Bedeutung angemessen darstellen kann. Zum Beispiel könnten Aktionariat und Verwaltungsrat ihre Liebe und Dankbarkeit in Form von Denkmälern vor dem jeweiligen Firmensitz ausdrücken. Oder man könnte alle Statuen in einen Denkmalpark vor der Hochschule St. Gallen stellen, Joe Ackermann, Brady Dougan, Vasella in Sichtweite voneinander, wetteifernd um die schiere Grösse, den reinsten Marmor oder den schwärzesten Granit.

Warum nicht als Belohnung für besonders nachhaltiges und sozialverträgliches Wirtschaften einen Nobelpreis verleihen oder einen Planeten nach dem Chef benennen? Wenn man die CEOs eher als Stars sieht, passt ein Walk of Fame an der Zürcher Bahnhofstrasse, wo je nach Jahresperformance ein kleiner oder grösserer Stern eingelassen würde. Auch die Aussicht auf ein wächsernes Ebenbild zu Lebzeiten bei Madame Tussaud wäre vielleicht motivierend. Am schönsten fände ich die Lancierung einer Groupie- und Cheerleaderkultur an den heute so trostlos stieren Generalversammlungen. Man stelle sich die fröhliche Stimmung vor, wenn die Aktionärinnen beim Vortragen des Cashflows begeistert johlen und ihre BHs auf das Rednerpodium schleudern. Go, Brady, go!

Ruth Wysseier ist Winzerin am Bielersee. 
Sie erinnert sich gern an die Sternli, 
die sie bei Lehrer Küpfer manchmal ins 
Heft kleben durfte. Und nun macht 
sie mal Kolumnenpause.