100 Wörter: Tulpenzwiebelzeit

Nr. 15 –

Trotz bester Voraussetzungen war Albert Humendinger im Leben gescheitert. Davon versuchte ihn zumindest sein jüngerer Bruder Berthold zu überzeugen, der seinerseits ein zweifelhaftes Unternehmen führte, das weder Gewinn noch Umsatz machte und hauptsächlich aus einem roten Dienstwagen bestand, den Humendinger der Jüngere als unbedingte Voraussetzung eines erfolgreichen Lebens betrachtete. Albert hingegen hatte nicht einmal einen Fahrausweis, er brauchte auch keinen, weil er lieber zu Fuss ging. Den Lebensunterhalt verdiente er sich mit dem hochprofitablen Versand von Tulpenzwiebeln. So konnte er sich sogar Skiferien in Topregionen leisten, was Berthold als Zeichen der Verschwendungssucht interpretierte, sich aber trotzdem jedes Jahr einladen liess.

Stephan Pörtner ist Krimiautor («Köbi der Held», «Stirb, schöner Engel») und lebt in Zürich. Vergangenes Jahr ist sein Krimi «Mordgarten» erschienen, der in der Siedlung einer Wohnbaugenossenschaft spielt und unter www.woz.ch/shop/buecher erhältlich ist. Für die WOZ schreibt er Geschichten, die aus exakt 100 Wörtern bestehen. www.stpoertner.ch