Kultour

Nr. 17 –

Festivals

Von den Beatniks bis Pussy Riot

Was haben Harry Potter und der Beatpoet Allen Ginsberg ausser der Brille gemeinsam? Beide glauben an die Magie der Sprache, und beide wurden von Daniel Radcliffe gespielt. Nach langen Lehrjahren in Hogwarts spielt Radcliffe in «Kill Your Darlings» (2013) den jungen Ginsberg, der an der Columbia University die Gefährten trifft, die seine künstlerische Biografie prägen sollten: Jack Kerouac und William S. Burroughs, aber auch Lucien Carr. Ginsberg erliegt dessen rebellischem Temperament – doch dann geschieht eine Bluttat, die den ganzen Zirkel der künftigen Beatniks gehörig aufwühlt. In die Schweizer Kinos hat es der Erstling des US-Regisseurs John Krokidas bislang nicht geschafft, dank des Pink Apple bekommen wir ihn jetzt doch noch auf der Leinwand zu sehen.

Eröffnet wird die 17. Ausgabe des schwullesbischen Filmfestivals mit dem Gewinner des Teddy-Awards an der diesjährigen Berlinale: Der brasilianische Regisseur Daniel Ribeiro zeigt seinen Spielfilm «The Way He Looks», in dem der blinde Leo sich in den Neuen in seiner Klasse verliebt – und damit die Eifersucht seiner besten Freundin provoziert, die sich um ihn kümmert. Das Vollprogramm in Zürich versammelt insgesamt achtzig Filme, darunter auch eine Werkschau zu Ehren des Schweizer Regisseurs Simon Bischoff («Mon beau petit cul») und Schwerpunkte zu männlicher Prostitution und anderen Themen. Ein besonderes Augenmerk ist der aufflammenden Homophobie in Russland gewidmet. Neben einem Dokumentarfilm über Pussy Riot wird dabei auch die Actionkomödie «Some Like It Cold» gezeigt, als Beispiel dafür, wie im russischen Mainstream gezielt homophobe Stimmungsmache betrieben wird.

17. Pink Apple in: Zürich Diverse Orte, 
Mi, 30. April 2014, bis Do, 8. Mai 2014. Frauenfeld 
Cinema Luna, Fr–So, 9.–11. Mai 2014. www.pinkapple.ch

Florian Keller

Die Wirklichkeit schauen in Nyon

Jubiläum oder nicht? Das ist immer wieder die Frage beim Filmfestival in Nyon, seit es vor zwanzig Jahren die Grenzen des Dokumentarischen sprengte und sich stattdessen «Cinéma du Réel» aufs Banner schrieb. Das Festival ist jetzt 45 Jahre alt, aber erst seit 20 Jahren heisst es Visions du Réel. Also doch: Jubiläum! Den Geburtstag begeht man in Nyon mit einem Programm, in dem sich die Liebe als Leitmotiv wie von selbst ergeben hat, wie Direktor Luciano Barisone sagt. Das beginnt schon mit dem Eröffnungsfilm «Love & Engineering», einer launigen Studie darüber, was passiert, wenn ein Informatiker die Romantik codieren will: Da begleitet der bulgarische Regisseur Tonislav Hristov einen in Finnland lebenden Landsmann, der die Kunst der Verführung mit neuster Computertechnologie zu perfektionieren sucht.

Ein grosser Schwerpunkt ist dem Filmschaffen in Tunesien gewidmet, und Richard Dindo, Galionsfigur des engagierten Dokumentarfilms in der Schweiz, wird mit der erstmals vergebenen Auszeichnung als Maître du Réel geehrt. Aber auch im internationalen Wettbewerb von Nyon zeigt sich der Schweizer Dokumentarfilm von seiner weltläufigsten Seite. Christian Frei wendet sich nach dem Weltraumschrott dem romantischen Ballast zu und zeigt im internationalen Wettbewerb seinen neuen Film «Sleepless in New York» über die Liebe und ihre Krankheiten. Und Matthias von Gunten nimmt gleich das ganze fragile Gleichgewicht unseres Planeten in den Blick, wenn er in «ThuleTuvalu» die Auswirkungen des Klimawandels auf die Lebensgrundlagen der Menschen in Grönland und im Pazifik schildert.

Visions du Réel in: Nyon Diverse Orte, 
Fr, 25. April 2014, bis Sa, 3. Mai 2014. www.visionsdureel.ch

Florian Keller

Stanser Musiktage

Die Traumrundsicht vom Stanserhorn wird dieses Jahr zur Kulisse, gegen die Tarek Abdallah mit Oud (Laute) und Adel Shams El Din auf der Riqq (Tamburin) zum Auftakt der Stanser Musiktage anspielen müssen. Mit ihrem Repertoire lassen sie die goldene Zeit der ägyptischen Oud-Musik aufleben, die von 1910 bis 1930 dauerte. Den Endpunkt setzt die mongolische Gruppe Altai Khangai, die mit Obertongesang, Zither und Pferdekopfgeige neue Klänge in die Gnadenkapelle Niederrickenbach bringt. Dazwischen wehen im Theater an der Mürg, dem Unteren Beinhaus, dem Kollegium St. Fidelis und in ganz Stans musikalische Winde aus allen Richtungen.

Das Programm ist breit aufgefächert und reicht von Klezmerklängen der Gruppe Techtelmechtel über Rockabilly der Londoner Familienband Kitty, Daisy & Lewis und die Afrofunkband Mokoomba aus Simbabwe bis zu Vera Kappeler (Piano) und Peter Conradin Zumthor. Gespannt sein kann man auf die Sängerin Leyla McCalla, die zur Stringband Carolina Chocolate Drops gehört und nun mit dem Soloprogramm «Vari-Colored Songs» unterwegs ist. Da vertont McCalla Texte des schwarzen US-amerikanischen Schriftstellers Langston Hughes (1902–1967) und singt eigene und traditionelle Songs aus Haiti, der Heimat ihrer Eltern.

Stanser Musiktage in: Stans Diverse Orte im Zentrum, So, 27. April 2014, bis So, 4. Mai 2014. 
www.stansermusiktage.ch

Fredi Bosshard

Tag des Jazz

Im Jahr 2012 beschloss die Unesco, künftig den 30. Mai als Tag des Jazz zu feiern, um «eine Musikform zu würdigen, die in mehr als 100 Jahren zu einer universellen Sprache für Freiheit, Individualität und Vielfalt geworden ist». Als der Zürcher Jazzfan Thomas Schicker das vernahm, beschloss er, Jazzclubs aus dem ganzen Land anzufragen, ob sie nicht Lust hätten, an jenem Tag etwas unter dem Banner der Unesco zu veranstalten. Die Resonanz war zunächst enttäuschend, 2012 präsentierten gerade einmal drei Veranstaltungsorte insgesamt fünf Formationen. «Ich habe mich gewundert, ob meine Lieblingsmusik gar nicht mehr Publikum will», sagt Schicker.

Doch in diesem Jahr nehmen bereits 26 Lokale in 18 Orten teil. Das Programm reicht vom New-Orleans-Sound des Clément-Meunier/Louis-Billette-Quartetts (Lausanne) über Colin Vallons Piano-Trio (Bern) und die Formation Just Jazz, mit der der Schweizer Elektronikpionier Bruno Spoerri zu seinen Cool-Jazz-Wurzeln zurückkehrt, bis hin zu Hard Bop aus den USA (Robin Eubanks, ebenfalls Bern). Nur die Avantgarde kommt leider etwas zu kurz. Neben den Konzerten bietet der Tag des Jazz eine Podiumsdiskussion zur Berner Szene, Filme zur Schweizer Jazzgeschichte (Thalwil) sowie Jam Sessions (Fribourg und Zürich). Ein spezieller Anlass für FilmfreundInnen ist auch dabei: In Zürich vertonen Hilaria Kramer, Steve Buchanan, Flo Stoffner und Tom Verbruggen Louis Feuillades fünfteiligen Stummfilmthriller «Fantômas» (1913/1914).

3. JazzDayFestival in: Ganze Schweiz Diverse Orte, Mi, 30. April 2014. Details unter: www.jazzdayfestival.ch

Armin Büttner

Musiktheater

Heller Morgenstern

Christian Morgenstern, der vor hundert Jahren starb, wünschte sich Anerkennung für seine ernsten Werke, aber sein Ruhm gründet allein auf den «Galgenliedern» und weiteren humoristischen Zyklen wie «Palmström»: Die tiefsinnigen und formal unwiderstehlichen Nonsensgedichte sind Fixsterne im Kanon der deutschsprachigen Literatur – und sie rufen geradezu nach musikalischer und theatraler Umsetzung. Das Duo MeierMoser & der Huber haben sich diese nun mit «Galgenbruders Erben» auf kongeniale Weise vorgenommen. Den Multiperformern ist vom Toy-Piano über die Singende Säge bis zu Tuba, Maultrommel und Bassklarinette jedes Instrument recht, um Morgensterns Verse, die immer noch Gross und Klein begeistern, frisch zu beleuchten.

Martin Schumacher, von dem die Kompositionen stammen, gibt als Moser auf der Bühne einen meist genervten halbseidenen Künstler, Lukas Roth als der Huber dafür den unbeirrbar gut gelaunten Unterhalter, während Christoph Gantert als stets geschundener Meier besonders tief in die Abgründe von Text und Welt blicken lässt. Unvergesslich ist etwa die Interpretation von «Die zwei Parallelen» oder «Der Steinochs», urkomisch ist die ganze Revue.

Duo MeierMoser & der Huber: «Galgenbruders Erben, ein theatraler Liederabend zum 100. Todestag von Christian Morgenstern» in: Däniken Takatuka, Fr, 25. April 2014, 20.15 Uhr. 
Trogen Palais Bleu, So, 27. April 2014, 17 Uhr. 
Affoltern am Albis LaMarotte, Fr, 9. Mai 2014, 
20.15 Uhr. Winterthur-Neuhegi Giesserei, 
Sa, 10. Mai 2014, 20 Uhr.

Jürg Fischer