Kultour
Festival
Ein Bollwerk quer durch die Sparten
Rabih Mroué ist derzeit ein gefragter Mann. Der libanesische Künstler wird viel und gerne an Festivals auf der ganzen Welt eingeladen. Doch manche dieser Einladungen freuen ihn weniger: Wenn er das Gefühl habe, nur deshalb an ein Festival eingeladen zu werden, weil sich Kuratoren gerne mit Kunst aus Krisengebieten schmücken, gehe er nicht hin, sagte er in einem Interview mit dem «Tagesspiegel». «Ich lasse mich nicht reduzieren. Wenn das der Preis wäre, um international präsent zu sein, würde ich meine Arbeiten lieber nur in Beirut zeigen.»
Nicht abgelehnt hat der Künstler zum Glück die Einladung nach Fribourg, wo er am diesjährigen Festival Belluard Bollwerk International als «Artist in Focus» zu Gast ist. Die 31. Ausgabe des Festivals zeigt während zehn Tagen rund zwanzig Projekte aus den Kunstsparten Tanz, Musik, Theater, Video, Performance und Installation aus sechzehn Ländern – von Angola bis Südkorea, von China bis Kanada, von Kamerun bis zur Schweiz. Wie jedes Jahr gibt es während dieser Tage viel Neues, Spannendes, Kritisches und Humorvolles zu entdecken. Im Zentrum der diesjährigen Produktionen stehen die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Fakt und Fiktion, die Erfahrung des Alltäglichen, neue narrative Formen in der Kunst, unsere unbeständige Welt und unser Erleben von Krieg und Geschichte, früher und jetzt.
Letzteres ist auch das Thema von Rabih Mroués Arbeiten. Er hinterfragt die Vergangenheit und Gegenwart im Libanon und in der gesamten arabischen Welt. Dies macht er in Fribourg in verschiedenen Präsentationen: In einer Ausstellung sind Video-, Installations- und Textarbeiten ausgestellt. Im Theaterstück «Riding on a Cloud» steht Mroué mit seinem Bruder Yassar auf der Bühne. Dieser wurde in den achtziger Jahren im Bürgerkrieg angeschossen und erlitt dabei schwere Gehirnverletzungen. Im Film «The Ugly One» von Eric Baudelaire ist der vielseitige Künstler als Schauspieler zu sehen, und in der performativen Lesung «Probable Title: Zero Probability» setzt sich Mroué gemeinsam mit der deutschen Künstlerin Hito Steyerl mit der Wahrscheinlichkeit in Kunst, Mathematik, Physik, Geschichte und Politik auseinander.
Festival Belluard Bollwerk International in: Fribourg, Do, 26. Juni 2014, bis So, 5. Juli 2014. www.belluard.ch
Silvia Süess
Lesung
Leo Fischers Hundegeschichten
Als Leo Fischer 2008 mit gerade mal 27 Jahren Chefredaktor der deutschen Satirezeitschrift «Titanic» wurde, war er der jüngste Chefredaktor in der Geschichte des Heftes. Nach fünf Jahren trat Fischer zurück – länger darf bei «Titanic» niemand Chefredaktor sein. Doch noch immer schreibt der Satiriker regelmässig für die Zeitschrift, zudem für die «taz», «Jungle World» oder «Neues Deutschland» und neuerdings auch die «Briefe von der Heimatfront» für das Internetportal «Watson». Diesen Frühling ist auch sein Buch «Fröhliche Hundegeschichten» erschienen, mit dem Fischer nun nach Basel ins «Hirscheneck» kommt. Auf dem Titelbild zu sehen ist der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer, der mit grimmiger Miene in die Welt blickt, in seinem Arm ein weisses Pudelhündchen, das den gleichen Gesichtsausdruck wie sein Herrchen trägt. Gezeichnet ist das Titelbild von Leonard Riegel, der auch den Rest des Buchs illustriert hat.
Um Grenzgänger wie Schopenhauer und um deren hündische Begleitung geht es in Fischers Buch. Fischer hat Hundegeschichten gefunden, diese weitergesponnen und weitere erfunden. So erzählt er zum Beispiel davon, dass unter Leonardo da Vincis Bildnis der Mona Lisa ein von da Vinci gezeichnetes Hundebild liegt, oder er erzählt die Geschichte der Minenhunde, die im Zweiten Weltkrieg ausgebildet wurden, um mit Sprengstoff beladen unter Panzer zu kriechen.
Seine Liebe zum Hund sei nicht ungebrochen, sagt Fischer, denn: «Diese Tiere sind meist menschlicher als die Menschen und dadurch ekelhafter und böser, als es die meisten Menschen sein könnten.» So sind auch seine Geschichten: böse, zynisch und sicher auch lustig.
«Fröhliche Hundegeschichten» in: Basel Restaurant Hirscheneck, Mo, 30. Juni 2014, 20 Uhr. www.hirscheneck.ch
Silvia Süess
Ausstellung
Reif für die Insel
Wenn in jüngster Zeit vom Museum Strauhof die Rede war, dann nur noch als Politikum. Die Stadt Zürich ist mit ihren Plänen, das Literaturmuseum zugunsten einer Schreibwerkstatt für Jugendliche auszuquartieren, auf heftigen Widerstand bis über die Landesgrenzen hinaus gestossen, der Ausgang des Seilziehens bleibt ungewiss. Der Strauhof wurde zum heiss umkämpften Eiland der Stadtzürcher Kulturpolitik. Und damit sind wir auch schon mittendrin in der aktuellen Ausstellung, die der Insel als Aussenstelle zwischen Fantasie und Wirklichkeit gewidmet ist.
In sechs Räumen spürt die Kuratorin Cornelia Meyer der verführerischen und zerstörerischen Kraft der Insel nach: als utopische Gegenwelt, als Ort exotischen Zaubers, aber auch als Widerlager der Gesellschaft, wo kriminelle Subjekte deponiert oder Tote beerdigt wurden. Der Parcours durch die literarische Insellandschaft beginnt mit Sehnsuchtsorten wie der italienischen Insel Capri, die von den deutschen Dichtern Rainer Maria Rilke und Theodor Fontane verklärt wurde – nicht aber von Bertolt Brecht, der Capri als «verfluchte blaue Limonade» beschimpfte. Nach Abstechern zu Robinson Crusoe und zur «Schatzinsel» von Robert Louis Stevenson landen wir am Ende der Reise mit Anton Tschechow auf der Gefängnisinsel Sachalin – und, quasi vor der Haustür, auf der Insel Ufenau, wohin sich einst der todkranke Humanist Ulrich von Hutten zum Sterben zurückzog.
Für die filmische Umrahmung sorgt ab Juli das Zürcher Filmpodium mit einem Begleitprogramm, das das ganze Spektrum des Inseldaseins zwischen Paradies und Hölle abdeckt: von F. W. Murnaus pazifischem Liebesfilm «Tabu» (1929) über Luis Buñuels «Robinson Crusoe» (1954) und die okkulte Inselsekte in «The Wicker Man» (1973) bis hin zum japanischen Schocker «Battle Royale» (2000), einer rabiaten Antwort auf den «Herrn der Fliegen».
«Inseln: Paradies und Hölle» in: Zürich Museum Strauhof, Augustinergasse, Mi, 18. Juni Bis So, 7. September 2014. www.strauhof.ch
Florian Keller
Konzert
Acid Pauli und Dada Disco
Es wird ein strenger Tag für Martin Gretschmann: Am kommenden Samstag spielt er erst mit The Notwist am ausverkauften Open Air in St. Gallen und nur wenige Stunden später als Acid Pauli im Zürcher Club Zukunft. Aber er wird das Programm bestimmt meistern, schliesslich ist der Schlaks mit den langen Locken und der Hornbrille für seine Vielseitigkeit bekannt. Kaum eine Band hat das Feld zwischen Rock, Elektronik und Hip-Hop so genau vermessen wie The Notwist aus dem deutschen Weilheim, fast so, als ob sie Forscher wären. «Close to the Glass» heisst passend der Titel ihres siebten Albums.
Gretschmann wiederum hat mit seinen Soloprojekten, erst unter dem Namen Console, jetzt neu als Acid Pauli, eine ganz eigene Tanzmusik entwickelt. Dabei geht es sehr wohl um das Driften und den Loop. Doch immer knistert und knirscht es dazwischen: Elektronik in ihren melancholischen Erweiterungen. Wie weit das Interesse von Gretschmann reicht, zeigt ein Hörspiel, das er kürzlich mit Andreas Ammer veröffentlicht hat. Eine Vertonung des Traktakts von Ludwig Wittgenstein, frei nach der Erkenntnis des Philosophen: Worüber ich nicht sprechen kann, dazu kann ich allenfalls tanzen. Neben Acid Pauli spielt in der «Zukunft» auch das Duo Dada Disco, das sich zwischen Musik, Performance und Comedy bewegt.
Acid Pauli, Dada Disco in: Zürich Zukunft, Sa, 28. Juni 2014, ab 24 Uhr.
Kaspar Surber