Kultour

Nr. 36 –

Festival

Verrückte Wissenschaftler in Bern

Der verrückte Wissenschaftler (jawoll, eine rein männliche Spezies) gehört längst zum Repertoire der Popkultur: vom sympathisch-schrulligen Bastler Daniel Düsentrieb bis zum grössenwahnsinnigen Experimentator, der in den fünfziger Jahren durch Science-Fiction- und Horrorklassiker wie «Tarantula» geisterte. Und jetzt macht er also Bern unsicher – am Mad Scientist Festival mitten auf dem Bundesplatz, im Club Bonsoir und natürlich im Naturhistorischen Museum.

Die schrullige Variante verkörpert der Schauspieler Uwe Schönbeck alias Herbert Winterberg, seines Zeichens Hausmeister am Naturhistorischen Museum, der zusammen mit Konservator Christian Kropf seit Jahren Hinter- und Abgründiges aus der Fauna in der Serie «Winterbergs Überstunde» aufbereitet. Am Donnerstag widmen sich die beiden auf dem Bundesplatz dem seltsamsten aller Tiere, dem Menschen. Wer noch zögert: «Winterbergs naturhysterisches Museum» auf Youtube anschauen!

Die dunkle Seite des Mad Scientist lässt sich am Freitag anlässlich einer Neuro-Séance à la Doktor Mabuse erkunden: Die Show entführt in die Welt der Spiritistinnen und Esoteriker um 1900, für deren Gebaren der Zürcher Neuropsychiater Peter Brugger irdisch-wissenschaftliche Erklärungen sucht. Am späteren Abend führt die Performancegruppe K.A.U. auf eine Audioreise in die unendlichen Weiten des Alls und präsentiert Indizien ausserirdischen Lebens – unbedingt anmelden und Kopfhörer und Smartphone mitnehmen!

Besonders Experimentierfreudige dürfen auch Versuchskaninchen spielen und im Club Bonsoir zur Katerforschung beitragen (für Nebenwirkungen wird jede Haftung abgelehnt). Oder einfach zuschauen, wenn der Schlagzeuger Julian Sartorius zum Geigerzähler improvisiert oder wenn Tim im Duett mit Puma Mimi eine Gurke zum Singen bringt. Davor, dazwischen und danach locken zahlreiche weitere Performances, Installationen und Vorführungen rund um naturwissenschaftliche Phänomene.

Mad Scientist Festival in: Bern Bundesplatz, Club Bonsoir und Naturhistorisches Museum, Do, 
4. September 2014, ab 19.30 Uhr und Fr, 5. September 2014, ab 18 Uhr. www.madscientist-festival.ch, Vorverkauf unter www.nmbe.ch

Franziska Meister

Wo bist du, Rumänien?

«Die Applausmaschine» heisst ihr erster Roman, er beschreibt das Leben eines Autors in einem totalitären Staat. Die rumänische Schriftstellerin Ana Blandiana verfasste ihn Anfang der neunziger Jahre nach dem Tod des Diktators Nicolae Ceausescu. Der Roman ist ein Meisterstück, gemacht aus dem Stoff, aus dem Albträume sind.

Heute gehört Blandiana zu den führenden Figuren der rumänischen Literatur. An den Rumänischen Kulturtagen in Bern liest die Autorin im Kulturlokal Ono aus ihrem Gedichtband «Die Versteigerung der Ideen». Blandiana bestreitet den Abend gemeinsam mit dem in der Schweiz lebenden rumänischen Autor Marius Daniel Popescu. Auch er verarbeitet in seiner Literatur sein Leben vor 1989: Im Roman «Wolfssymphonie», aus dem er Ausschnitte lesen wird, erzählt er von einer Kindheit und Jugend im kommunistischen Rumänien.

Wie das Leben in Rumänien heute, 25 Jahre nach dem Ende der Diktatur, aussieht, das zeigen verschiedene zeitgenössische Filme wie «Love Building» (2013) von Iulia Rugina oder «Sunt o baba comunista» («Rote Babuschka», 2013) von Stere Gulea. Und im Dokumentarfilm «Bucuresti, unde esti?» («Wo bist du, Bukarest?») folgt der Regisseur Vlad Petri rumänischen DemonstrantInnen, die 2012 die Strassen der Hauptstadt besetzten. Er zeigt zynische, impulsive und entmutigte Menschen und solche, die am Boden zerstört sind. Ausserdem gibt es eine rumänische Tanznacht, ein Strassentheater sowie die Ausstellung «Maistra. The Untold Story of the Romanian Blouse».

Rumänische Kulturtage in: Bern Verschiedene Orte, Mi–So, 10.–14. September 2014. www.rki-berlin.de

Silvia Süess

Musik

Baerwart-Gedichte in Basel

Es sind vor allem die BernerInnen um Pedro Lenz und Guy Krneta, die in den letzten Jahren mit ihren Mundarttexten auf sich aufmerksam gemacht haben. Doch auch Basel hat seinen Mundartautor, allerdings ist er schon seit über siebzig Jahren tot: Theodor Baerwart kam 1872 zur Welt und wuchs in Kleinbasel auf. Der Zollbeamte begann seine schriftstellerische Karriere 1918 mit der Veröffentlichung der «Rosswiler Geschichten» – dies allerdings noch in Schriftdeutsch. Seine späteren Gedichte, Erzählungen und Theaterstücke, in denen er einen liebevoll-ironischen Blick auf das Basler Kleinbürgertum wirft, verfasste er in Dialektsprache. 1921 veröffentlichte er mit «Uus em Glaibasel» seine Kindheitserinnerungen über Kleinbasel.

Diese stehen nun im Mittelpunkt des aktuellen Programms «Us em diefschte Glaibasel» des Basler Chors SÿndiCats. Unter der musikalischen Leitung von Samuel Strub vertont der Chor Baerwart-Gedichte. Die Kompositionen stammen von Strub sowie von David Rossel. Die Texte liest der Schauspieler Urs Bihler. Das tönt dann zum Beispiel so: «Im Glaibasel aber, do hoggt alles, ob me sich kennt oder nit, am glyche Disch, und wenn alles guet goot, verhaut me sich e Stund speeter scho d Kepf, bsunders wenn Sydefärber derby sin.»

«Us em diefschte Glaibasel» in: Basel Aktienmühle, Gärtnerstrasse 46, Sa, 6. September 2014, 19.30 Uhr, So, 7. September 2014, 17 Uhr. www.chor-syndicats.ch

Silvia Süess

Ohren auf bei Oor

Wo Sonic war, soll Oor werden: Vor bald vier Jahren hat Klemens Wempe seinen Plattenladen Sonic Records im Zürcher Kreis 4 geschlossen, jetzt nistet sich dort ein Nachfolger ein, bei dem auch Wempe als Genossenschafter beteiligt ist. Oor heisst das Projekt, aber das meint nicht ein lang gezogenes (oder einfach falsch geschriebenes) Ohr, sondern steht für «One’s Own Room». Dieser autonome Raum ist wieder ein Plattenladen mit einem Sortiment, dessen Schlagwörter hier die ganze Spalte füllen würden – aber darüber hinaus ist Oor einiges mehr: Bei Oor Records gibts auch Kunstbücher, für Performances, Lesungen und DJs verwandelt sich der Laden in den Oor Saloon, und unter dem Label Oor Recordings werden die Veranstaltungen als Stream oder zum Download zur Verfügung gestellt.

In der Eröffnungswoche präsentiert das Oor-Kollektiv unter anderem ein Konzert von Uom mit ihrem minimalistischen Dub-Soul, Performances von A. K. Wehrli oder Romy Rüegger und eine Videolecture von Theresa Beyer über «Queer Hip Hop Clips». Ohren auf!

Oor in: Zürich Anwandstrasse 30. Ab 9. September 2014. Eröffnungsprogramm siehe www.oor-rec.ch.

Florian Keller

Spoken Word

Jurczok 1001 wieder solo

Onomatopoetiker, Raplyriker, Sprechaktivist, Freestyle-MC, Spoken-Word-Pionier, für eine kurze Zeit gar Slampoet – Labels finden sich unzählige zu Jurczok 1001, aber ihn in eine Schublade zu stecken, bleibt ein Ding der Unmöglichkeit. Nachdem der gebürtige Wädenswiler in den letzten Jahren vor allem im Duo mit Melinda Nadj Abonji zu sehen war, widmet er sich nun wieder einem Soloprogramm. Auf seiner neuen Platte «Spoken Beats» unterlegt er mit stiller, fast sphärischer Musik, die er als Ausdruck einer «Verweigerungshaltung gegenüber der Geschwindigkeit unserer Zeit» verstanden haben will, seine durchaus politischen Texte: «Alli Junkies sind parkiert, alli Psychos sterilisiert», prophezeit er auf der Vorabsingle «Clean City», einer Absage an Gentrifizierung und Standortmarketing, nur um quasi im gleichen Atemzug melancholisch zu fragen: «Wohär sött i d Liebi nää?» Das ungewöhnliche Programm und die dazugehörige Platte feiern am 10. September im Kaufleuten Premiere. Etrit Hasler

Jurczok 1001, «Spoken Beats» in: Zürich Kaufleuten, Mi, 10. September 2014, 20 Uhr. 
www.kaufleuten.ch

Etrit Hasler