Fussball und andere Randsportarten: Geschichten mit der Geschichte

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Neben klar definierten Faktoren wie dem Budget, der Qualität des Kaders und den Fähigkeiten des Trainerteams entscheiden im Fussball oft auch vage, also nicht eindeutig messbare Umstände über Erfolg oder Misserfolg. Zu diesen schwer zu fassenden Faktoren gehört zweifellos die psychische Verfassung eines Teams. Ebenfalls spielentscheidend, aber schwierig zu beeinflussen sind das Glück, die Tagesform oder der Teamgeist.

Der argentinische Startrainer Diego Pablo Simeone von Atlético Madrid hat in seinem Buch «Partido a partido» (Spiel um Spiel) noch einen weiteren grundlegenden Punkt hervorgehoben, der seiner Meinung nach zu wenig beachtet wird. «Die Geschichte eines Klubs kann sehr schwer wiegen», schreibt Simeone.

Was der Argentinier damit gemeint hat, lässt sich hierzulande mit dem BSC Young Boys illustrieren. Seit ihrem letzten Cupsieg im Jahr 1987 haben die Berner keinen Titel mehr geholt. Obwohl sie mehrmals nahe dran waren und verschiedene Finals spielten, scheiterten sie letztlich immer. Dieses wiederholte Scheitern in entscheidenden Spielen ist Teil ihrer Geschichte geworden. Das geht so weit, dass vor einigen Jahren ein paar YB-Fans in einer Anwandlung von Fatalismus, Selbstironie und schwarzem Humor T-Shirts mit dem Aufdruck «Young Boys – No Title Since 1987» drucken liessen.

Die Geschichte lebt davon, immer weitererzählt zu werden. Medienschaffende und Fans sorgen dafür, dass die vermeintliche Unfähigkeit des BSC YB, wichtige Spiele zu gewinnen, ständig neu betont wird. Dies wiederum führt dazu, dass die jeweiligen YB-Spieler irgendwann selbst glauben, die jüngste Vereinsgeschichte wiege so schwer, dass gegen sie auf dem Rasen nicht anzukommen sei.

Ein anderes Beispiel, mit dem sich die Macht der Geschichte illustrieren lässt, findet sich im Wallis. Der FC Sion stand in seiner Vereinsgeschichte bisher zwölf Mal in einem Cupfinal und hat keines dieser zwölf Spiele verloren. Die Geschichte lehrt uns, dass der FC Sion in einem Cupfinal unbesiegbar ist. Und weil das im Fussballmilieu alle wissen und immer wieder darüber geschrieben und geredet wird, sind die Sittener an Cupfinals jeweils derart siegessicher, dass das Gegenteam von allem Anfang an keine Chance zu haben glaubt.

Interessanterweise beeinflusst die Geschichte eines Fussballklubs auch jene Fussballer, die von ihr noch kaum betroffen sind, weil sie neu in einem Klub spielen. Sobald sie sich das Trikot des neuen Vereins überstreifen, sind sie seiner Geschichte unterworfen und werden von ihr gebremst oder angetrieben.

Was lässt sich gegen die Last der Geschichte ausrichten, wenn sie für einen Klub zur Belastung geworden ist? Simeone plädiert in seinem Buch für Pathos. Er frage seine Spieler vor entscheidenden Spielen, ob sie bereit seien, die Geschichte ihres Vereins neu zu schreiben. Und tatsächlich gelang es ihm bei seinen bisherigen Stationen als Trainer immer wieder, vermeintlich historisch bedingte Niederlagenserien zu beenden. Wenn etwa in den Sportblättern stünde, sein Klub habe gegen den nächsten Gegner seit fünfzehn Spielen nicht gewinnen können, dann sage er zu seinem Team: «Lasst uns eine andere, eine bessere Geschichte schreiben! Fangen wir heute damit an!» Das seien Worte, die auch bei denen ankämen, die den Unterscheid zwischen Geschichte und Geschichten nicht so genau kennen.

Apropos Geschichtskenntnis: Dass sich der FC-Basel-Verteidiger Taulant Xhaka am vergangenen Samstag nach dem Auswärtssieg bei den Young Boys mit ausgestrecktem rechtem Arm vom Publikum verabschiedete und später erklärte, bei dieser Geste habe es sich bloss um einen spontanen Gruss an seine Familie gehandelt, ist wieder eine andere Geschichte. Aber vermutlich hat sie auch mit Geschichte zu tun.

Pedro Lenz ist Schriftsteller und lebt in 
Olten. An der Geschichte und an Geschichten interessiert ihn besonders das repetitive Element.