Die Schweiz nach Ecopop: Migration ist unsere Realität

Nr. 49 –

Worüber hat die Schweizer Stimmbevölkerung letzten Sonntag nun eigentlich abgestimmt? Über die Einwanderung? Über die Wirtschaft? Diese Fragen stellen sich, nachdem die Ecopop-Initiative mit einem Nein-Stimmen-Anteil von 74 Prozent rauschend den Bach runtergeschickt wurde. Die Deutlichkeit der Absage erstaunte viele. Nur zehn Monate zuvor war die SVP-Initiative «Gegen Masseneinwanderung», ebenfalls zur Überraschung vieler (nicht zuletzt der SVP selbst), mit 50,3 Prozent der Stimmen knapp angenommen worden.

Vielfältige, sich überlagernde Deutungen der unterschiedlichen Resultate sind möglich. Bei beiden Initiativen spielte auch die Fremdenfeindlichkeit eine Rolle. Aber im Gegensatz zu Ecopop verfügte die SVP für die Februarabstimmung über das Geld, eine beispiellose Propagandamaschinerie in Gang zu setzen, um Angst zu schüren. Klagen über volle Züge, hohe Mieten, tiefe Löhne, Zersiedelung und Dichtestress bildeten die Strophen zum einprägsamen Refrain «Masseneinwanderung stoppen!».

Es brauchte Millionen Franken, um die Überzeugung in die Köpfe einzuprügeln, dass diesen Problemen nur mit einer Beschränkung der Einwanderung beizukommen sei. Ecopop fehlte hierfür nicht nur das Geld, sondern auch die Unterstützung der SVP. Denn nicht einmal sie ist bereit, die fremdenfeindliche Karte zu spielen, wenn das den eigenen Profit mindern, den eigenen Wohlstand gefährden könnte.

Die Angst vor dem Vakuum, das auf die Annahme der Ecopop-Initiative gefolgt wäre, war schliesslich grösser als die Angst vor dem Fremden. Dies hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass die Diskussion um die tatsächlichen Konsequenzen der Annahme der SVP-Vorlage erst nach dem 9. Februar vertieft stattfand, als die EU unwirsch reagierte, ProfessorInnen und Studierende als Erste davon betroffen waren.

Nun zeichnen sich immer deutlicher weitere Konsequenzen ab, da über die Umsetzung der SVP-Initiative verhandelt wird. Wenn Fremdenfeindlichkeit auf eigene Kosten geht, sind keine Mehrheiten mehr zu finden. Wäre die Abstimmung am 9. Februar anders herausgekommen, wenn die negativen Folgen für den Wohlstand von Herrn und Frau Schweizer schon vorher diskutiert worden wären?

Klar ist: Migration ist und bleibt ein Wirtschaftsfaktor. Die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) hielt in einem diese Woche publizierten Bericht fest, Einwanderung sei viel eher als Potenzial und Investition zu betrachten und nicht als Problem.

Migration hat jedoch viele Gründe, und es wäre falsch, ihre Legitimität nur am wirtschaftlichen Nutzen für das Einwanderungsland zu messen. MigrantInnen sind mehr als Produktionsfaktoren, sie sind Menschen, und sie kommen weiterhin, selbst wenn Grenzzäune hochgezogen werden, egal welche prekären Situationen sie antreffen. Nationalökonomische Kosten dürften nicht gegen soziokulturelle Folgen für die Gesellschaft ausgespielt werden, schrieb die Organisation Second@s Plus zur Ecopop-Initiative. Denn es geht nicht nur darum, wer in Zukunft kommen darf und wie viele. Es geht auch um jene, die bereits hier sind, hier leben, hier arbeiten. Sie gehören zur Bevölkerung dieses Landes, zur postmigrantischen Gesellschaft, die längst Realität ist und deren Teil wir alle sind – in der Schweiz, in Europa, weltweit.

Wenn es schon dauernd heisst, man solle die Ängste der Bevölkerung ernst nehmen, dann müssen die Bedürfnisse und Anliegen aller in der Schweiz wohnhaften Menschen einbezogen werden, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus oder der Farbe ihres Passes, sofern sie einen haben. Dazu gehört, die Menschenrechte zu schützen und das Stimm- und Wahlrecht für hier wohnhafte AusländerInnen einzuführen.

Dies sind die Schritte auf dem Weg hin zu einer solidarischen Gesellschaft, in der Namen wie Güney und Seferovic im Alltag als Bestandteil einer kollektiven Identität betrachtet werden – und nicht nur dann, wenn sie auf dem Rücken eines Fussballtrikots geschrieben stehen.