Kultour

Nr. 5 –

Ausstellung

Im Drehsinn: Wirtschaft und Kunst

Vor fünf Jahren folgten sie den Spuren von Sonnenkollektoren, die der damalige US-Präsident Jimmy Carter auf das Dach des Weissen Hauses hatte montieren lassen. «A Road not Taken» hiess der Dokumentarfilm von Christina Hemauer und Roman Keller (siehe WOZ Nr. 24/2010 ); 2013 realisierte das Künstlerduo eine Ausstellung rund um das Thema «Schwache Ölspuren im Sandstein. Days of an Elapsed Future», die unter anderem Ölbohrungen in der Innerschweiz aus den zwanziger Jahren in Erinnerung rief.

Das Resultat der neusten Recherchen der beiden ist jetzt im Kunstmuseum Olten zu erkunden: «Im Drehsinn. Wirtschaft und Kunst» nimmt eine Ausstellung aus dem Jahr 1959 mit dem Titel «Wirtschaft und Kunst» im Verwaltungsgebäude des Energiekonzerns Aare-Tessin AG (heute Alpiq) zum Ausgangspunkt. Sie vereinte 102 Kunstwerke von 36 Schweizer Firmen. Ihren Spuren folgt das Künstlerduo – und stösst dabei auf Aspekte wie Kraft, Verschwendung, Leerlauf und Tod. Damit sind auch sämtliche ehemaligen Firmenpatrons gemeint. Aber nicht nur.

«Im Drehsinn. Wirtschaft und Kunst» in: Olten Kunstmuseum, Vernissage am Sa, 31. Januar 2015, 18.30 Uhr. 1. Februar bis 19. April 2015, Di–Fr, 14–17 Uhr, Sa/So, 10–17 Uhr. www.kunstmuseumolten.ch

Franziska Meister

Film

Xavier Dolan

Er ist ja immer noch jung genug, um seine Filme an den Jugendfilmtagen einreichen zu dürfen. 25 Jahre zählt der Frankokanadier Xavier Dolan, und damit ist er sicher der jüngste Regisseur, der je in einem Schweizer Programmkino mit einer Werkschau geehrt wurde. Fünf Filme umfasst die kleine Retrospektive im Stadtkino Basel, dazu einen Kurzfilm und ein Musikvideo, das er für die französische Band Indochine gedreht hat.

Jugendfilmtage hat der Sohn eines Schauspielers nie nötig gehabt: Schon sein Erstling «J’ai tué ma mère» (2009) wurde an die Quinzaine in Cannes eingeladen, da war Dolan gerade mal zwanzig Jahre alt. Das Drehbuch dazu hatte er mit sechzehn geschrieben, die Hauptrolle des jungen Schwulen, der sich von seiner spiessigen Mutter abnabelt, spielte er auch gleich selbst. In Cannes avancierte der unverschämt begabte Stürmer und Dränger im Nu zum Chouchou der Filmkritik.

Letztes Jahr in Cannes wurde Dolans Status als frühreifes Genie sozusagen offiziell besiegelt, als er für seinen fünften Film, «Mommy», zusammen mit Jean-Luc Godard mit dem Grossen Preis der Jury ausgezeichnet wurde. Die Retro in Basel kommt also keinen Moment zu früh – und bietet auch beste Gelegenheit, um zu sehen, dass «Mommy», dieses übersteuerte Drama über ein prekäres Mutter-Sohn-Verhältnis, noch nicht mal Dolans bester Film ist. Was melodramatischen Überschwang betrifft, war er in seinem Transgenderporträt «Laurence Anyways» (2012) schon vielschichtiger, und im ländlichen Thriller «Tom à la Ferme» (2013) zeigte er, dass er mehr drauf hat als Hysterie. Und siehe, wir haben es geschafft, dass in dieser ganzen Vorschau kein einziges Mal das Wort «Wunderkind» vorkommt. (Aber jetzt ist es doch passiert.)

«Xavier Dolan: Betörend ungestüm» in: Basel Stadtkino, 1.–28. Februar 2015. Spielzeiten siehe 
www.stadtkino.ch.

Florian Keller

Lesung

Benefiz für Verlag

Das Buchgewerbe ist ein hartes Pflaster und für die meisten AkteurInnen nicht sehr lukrativ. Besser wird es in der kommenden Zeit nicht werden: Durch die Abwertung des Euro erwartet man in der Branche nur Verlierer. Vor allem jene Verlage, die den grössten Teil ihres Umsatzes in Deutschland machen, müssen mit grösseren finanziellen Einbussen rechnen. Zu diesen Verlagen gehört Der gesunde Menschenversand zwar nicht: Der 1998 von Matthias Burki gegründete Versand hat sich auf Spoken Word spezialisiert und veröffentlicht vor allem namhafte Schweizer AutorInnen wie Pedro Lenz, Michael Fehr, Sandra Künzi, Gabriel Vetter oder Manuel Stahlberger. Doch auch Der gesunde Menschenversand kämpft als kleiner Verlag, der Nischenprodukte anbietet, seit längerem mit den Finanzen.

Um die Kasse wieder etwas zu füllen, treten zwanzig Menschenversand-AutorInnen gemeinsam an einer Benefizveranstaltung auf, darunter auch oben genannte AutorInnen. In vier Blöcken gibt es neben Lesungen auch Musik von Trampeltier of Love (feat. King Pepe, Matto Kämpf und Marc Unternährer), zwischendurch kann man sich an einem Buffet stärken und am längsten Büchertisch der Verlagsgeschichte Neues entdecken. Das Ganze kostet fünfzig Franken und kommt ganz und gar dem Verlag zugute.

Der gesunde Menschenversand: «Benefizz» in: Bern Schlachthaus, So, 1. Februar 2015, ab 16 Uhr. 
Buffet ab ca. 18.30 Uhr. www.schlachthaus.ch

Silvia Süess

Diskussion

Integration

Warum ist die Röntgenstrasse im Zürcher Kreis 5 so gebogen, und das in einem Quartier, in dem die Strassen sonst völlig schachbrettartig angeordnet sind? Dies ist eine der Fragen, denen die WOZ-Autorin Esther Banz, Mitherausgeberin von «Sommernachtsraum. Das Freiluftkino auf dem Zürcher Röntgenplatz», in den Geschichten des Buchs über Menschen und Filme im Kreis 5 nachgeht.

Ausgehend vom Freiluftkino auf dem Röntgenplatz, das letztes Jahr sein 30-Jahr-Jubiläum feierte, erzählen die AutorInnen von den Veränderungen, die das Quartier erlebt hat, von den Filmen, die das Quartier geprägt hat, und von den Menschen, die sich immer wieder für ihr Viertel eingesetzt haben. MigrantInnen etwa spielten in der Entwicklung des Kreises 5 in den letzten 150 Jahren eine wichtige Rolle.

Deshalb laden die HerausgeberInnen des Buchs nun ein zu einer Diskussion zum Thema «Heimat oder Hölle: Leben in der fremden Stadt. Warum gelingt Integration – und warum nicht?». Es diskutieren Professor Markus Freitag, Stadtrat Richard Wolff, Mitherausgeber Urs Peter sowie die Dokumentarfilmerin Marianne Pletscher. Zur Einleitung liest der Schauspieler und Autor Max Rüdlinger aus dem Buch. Vielleicht erfährt man dann auch, weshalb die Röntgenstrasse gebogen ist.

«Heimat oder Hölle: Leben in der fremden Stadt. Warum gelingt Integration – und warum nicht?» in: Zürich Sphères, Montag, 2. Februar 2015, 20 Uhr. 
www.spheres.cc

Silvia Süess

Tanz

Körperliche Kernschmelze

Wenn es möglich ist, bei vollem Bewusstsein die Grenzen des eigenen Ichs zu überwinden und sich mit einem anderen zu einen, dann muss es eine Technik dafür geben. Aus dieser Suche heraus haben Angela Schubot und Jared Gradinger einen der derzeit radikalsten Werkkanons des zeitgenössischen Tanzes geschaffen. In enger Zusammenarbeit mit KünstlerInnen aus Film, Musik, Street und Bondage Art hat das Duo im letzten Jahr seine Körpergrenzen sprengenden Arbeiten in der grossen Retrospektive «Soon You Are Theirs» in Berlin gezeigt, nun kommt diese in komprimierter Form in den Südpol in Luzern, den mehrfachen Koproduzenten der Stücke. An einem langen Abend wird es ein Medley dreier Duette geben, danach eine Schweizer Premiere von «All My Holes Are Theirs» mit der kanadischen Videokünstlerin Aleesa Cohene sowie einen offenen Teil mit der Bondage Art von Dasniya Sommer und der Luzerner Band Efje.

Die Frage nach der Überwindung des Egos zugunsten eines gemeinsamen Subjekts ist in einem Diskurs, in dem Identität als Konstrukt und performativer Akt verstanden wird, nur konsequent. Aber wie alle Subjekttheorie stösst sie an Grenzen: an die des biologischen Körpers. Diese Grenzen sind Schubot/Gradingers choreografisches Gerüst. In ihren Duetten entwickeln sie unter jeweils verschiedenen Prämissen Körpertechniken des Sterbens. In «What They Are Instead Of» hämmern ihre Körper im Takt der Koitusatmung gegeneinander. Ein enormes Hecheln schafft gleichermassen den Soundtrack wie auch die physische Bannmeile, an der die Energie gebrochen wird und wieder ins Zentrum zurückschiesst. Selbstauflösung wird deckungsgleich mit Selbsterschöpfung. In «I Hope You Die Soon» wird die Symbiose durch permanente Mund-zu-Mund-Atmung zur körperlichen Grenzerfahrung: ein Ein- und Ausatmen des anderen, ein Ineinandersterben.

Diese Kernschmelze ist dann Voraussetzung für die letzten beiden Stücke, in denen die Konstellation des Duetts erweitert wird – einerseits in der Assimilation an einen dritten Körper, andererseits in der vollkommenen willenlosen Hingabe. Ein physisch-mentaler Marathon, bei dem nie gesehene Extremwelten der Innigkeit entstehen.

Schubot/Gradinger: «Soon You Are Theirs 
(A Retrospective)» in: Luzern Südpol, Sa, 31. Januar 2015, 19 Uhr. www.sudpol.ch

Astrid Kaminski