Solarenergie: Ein Sonnenkollektor macht noch keine Energiewende

Nr. 24 –

1979 liess US-Präsident Jimmy Carter Sonnenkollektoren auf das Weisse Haus montieren – als symbolischer Aufbruch ins postfossile Zeitalter. Ein Schweizer Künstlerduo hat darüber einen Film gedreht.


US-Präsident Barack Obama macht zurzeit keine gute Figur. Zu zögerlich und oberflächlich waren seine bisherigen Bemühungen im Kampf gegen die Erdölkatastrophe im Golf von Mexiko. Schlimmer noch: Es fehlt überhaupt an Stimmen, die eine radikale Kehrtwende in der Energiepolitik des Landes fordern würden. «Ein voller Tank mit billigem Benzin – das gehört gemäss nationaler Überzeugung zu den Grundrechten jedes Amerikaners», sagt Walter Shapiro. Er hat vor über dreissig Jahren Reden für den damaligen Präsidenten Jimmy Carter geschrieben, der angesichts der Ölkrisen in den siebziger Jahren für ein Umschwenken auf erneuerbare Energien plädierte. Jetzt blinzelt Shapiro hinter seinen flaschenbodendicken Brillengläsern listig hervor in die Kamera des Schweizer Künstlerpaars Christina Hemauer und Roman Keller. Ein drittklassiger Schreibauftrag sei das gewesen, jene symbolträchtige Rede, mit der Carter im Juni 1979 die Sonnenkollektoren auf dem Dach des Weissen Hauses einweihte.

«Die Energiekrise ist real»

«Für die nächsten Generationen werden diese Kollektoren entweder ein Kuriosum sein, ein Museumsstück, ein Beispiel für einen nicht beschrittenen Weg – oder ein Teil des grössten Abenteuers, das dieses Land je unternommen hat», liess Shapiro Carter damals sagen. Der Satz ist Programm für den Dokumentarfilm von Hemauer und Keller. Bezeichnenderweise trägt er den Titel «A Road Not Taken» – ein Weg, der nicht beschritten wurde. Carters Nachfolger Ronald Reagan hat die Sonnenkollektoren 1986 demontieren und verschwinden lassen. Im Lagerschuppen eines kleinen Colleges im Bundesstaat Maine haben Hemauer und Keller die Kollektoren wieder aufgespürt. Mit zweien davon treten sie im Speiseöl-betriebenen Pick-up eine Reise nach Washington, D. C., und Atlanta, Georgia, an, um die Kollektoren dort ihrer Bestimmung als Museumsstück zuzuführen. Der Film wird damit zum quasi doppelt historischen Akt: einmal mit dieser Handlung im Film selbst, und ein zweites Mal als Dokument über einen visionären Präsidenten.

«Eigentlich war ich überzeugt, dass der Pfad der Solarenergie beschritten werden würde», lächelt Carter in die Kamera der beiden Schweizer. Als er 1976 zum Präsidenten gewählt wurde, standen die USA noch ganz unter dem Eindruck der Ölkrise von 1973: Das Embargo der Organisation der Erdöl exportierenden Staaten (Opec) hatte eine Rezession ausgelöst und der ganzen westlichen Welt vor Augen geführt, wie stark sie von fossiler Energie abhängig ist. Zwei Wochen nach Amtsantritt im Februar 1977 sprach Carter die Bevölkerung via Fernsehen erstmals direkt darauf an: Mit einer Strickjacke bekleidet forderte er dazu auf, Opfer zu bringen, um weniger Energie zu verbrauchen. Er war überzeugt, dass die fossilen Ressourcen bereits Ende des 20. Jahrhunderts zu Neige gehen würden. «Je länger wir nichts tun, umso schlimmer wird es. Die Energiekrise ist real – und sie ist weltweit. Wir befinden uns an einem historischen Wendepunkt.» Carter trieb die Solarforschung voran und erliess Gesetze, um den Benzinverbrauch zu senken, Gebäude besser zu isolieren und elektrische Geräte energiesparender zu machen. Sämtliche Bundesbehörden hatten auf rezyklierte Produkte umzusteigen und das Recycling zu fördern.

Alles ist Installation

Hemauer und Keller fügen alte Fernsehaufnahmen, Gespräche mit ZeitgenossInnen und ein Interview mit Carter zu einem energiepolitischen Stimmungsbild der USA in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre. Die eigentlichen Protagonisten des Films aber sind die beiden Sonnenkollektoren. Und Roman Keller selbst, der sich im Verlauf der «Road Movie»-ähnlichen Erzählung von zwei Sonnenkollektoren auf ihrem Weg ins Museum immer wieder selbst inszeniert. So ein bisschen à la Michael Moore – aber eben nur ein bisschen – sieht man ihn beim nicht eben fachgerechten Verladen der Kollektoren, beim Herumalbern mit College-Studierenden oder beim erfolglosen Versuch, den einen Kollektor beim Lieferanteneingang zum Museum of American History in Washington als Schenkung abzugeben.

Nach diesem ersten Scheitern der Mission stellen Hemauer und Keller die Sonnenkollektoren kurzerhand an verschiedenen öffentlichen Plätzen und Parks in der Bundeshauptstadt aus. Sie weisen PassantInnen darauf hin, dass die Kollektoren vom Dach des Weissen Hauses stammen, und filmen anschliessend deren Reaktionen. Dann wieder schiebt sich Keller mit pinkem Shirt ins Bild und streckt einem Aktivisten vor dem Weissen Haus das Mikrofon hin, worauf dieser mit Blick in die Kamera sozusagen das Publikum dazu aufruft, sich für Solarenergie zu engagieren, um danach mit seiner Gitarre ein Lied über den Weltfrieden anzustimmen. Im betonierten Hinterhof des Carter Museums in Atlanta schliesslich, bevor der eine Kollektor definitiv zum Museumsstück wird, demonstriert Roman Keller dann gleich am eigenen Leib, dass der solare Wassererhitzer noch funktionstauglich ist: Er hockt sich in eine Blechwanne und duscht.

Das alles macht «A Road Not Taken» in seinem Kern weniger zu einem historischen Dokumentarfilm – dazu fehlt es auch am kritischen Unterton – als zu einer filmischen Installation. «Ein Kuriosum», steht am Schluss auf schwarzem Hintergrund geschrieben. Das scheint durchaus auch selbstreferenziell gemeint.

Solarmatinee

«A Road Not Taken» läuft ab dem 20. Juni 2010 im Zürcher Kino RiffRaff in der Sonntagsmatinee und im Kino Burbaki in Luzern. Im Vorfilm dokumentiert das Künstlerpaar Hemauer/Keller die erste Tour de Sol in der Schweiz aus dem Jahr 1985. Ausgetüftelt hatte die Solar-Rallye der Solarpionier Josef Jenni.

Wo der Film sonst noch läuft: www.roadnottaken.info/de/kino

Nachtrag vom 28. Oktober 2010 : Mahnmal für eine verpasste Chance

US-Präsident Barack Obama braucht positive Publicity. Dringend. Und so hat er jüngst angekündigt, auf dem Dach des Weissen Hauses Sonnenkollektoren installieren zu wollen. Das Projekt belege Obamas grosses Engagement für Solarenergie, sagte sein Energieminister Steven Chu. Der Präsident wolle als leuchtendes Beispiel auf dem Weg zu «sauberer Energie» vorangehen.

Die geneigte WOZ-Leserin reibt sich erstaunt die Augen. Ist doch die präsidiale Initiative über dreissig Jahre alt und mit einem anderen Präsidentennamen verknüpft: Jimmy Carter. Er hat bereits 1979 Sonnenkollektoren auf dem Dach des Weissen Hauses installieren lassen. Ihre Geschichte hat das Schweizer Künstlerpaar Christina Hemauer und Roman Keller im Film «A Road Not Taken» (2010) dokumentiert. Ihr Projekt ist seit 2006 im Internet präsent.

Und dann, Anfang 2009, generierte der Trailer zum Film im Internet auf einen Schlag 18000 «hits». Kurz zuvor hatte Google das Künstlerpaar kontaktiert, weil der Konzern einen der Carter-Kollektoren anlässlich von Barack Obamas Amtsantritt in Washington ausstellen wollte. «Wahrscheinlich werden wir nie herausfinden, welchen Einfluss unser Projekt auf den Entscheid der US-Administration hatte, wieder Sonnenkollektoren auf dem Dach des Weissen Hauses zu installieren», sagt Hemauer. «Wir freuen uns aber, dass Jimmy Carters Vision wieder aufgenommen wird. Die neue Anlage wird allerdings immer auch ein Mahnmal für die verpasste Chance sein.» Ob die USA den Pfad der Sonnenenergie diesmal tatsächlich beschreiten werden?

Franziska Meister