Dänemark: «Du kommst also aus dem Land, das unseren Propheten kränkt?»

Nr. 8 –

Die Attentate von Kopenhagen wurden in einem Land verübt, dessen Einwanderungspolitik seit fünfzehn Jahren immer restriktiver wird. Im Mutterland der Mohammed-Karikaturen löst sich dabei die Grenze zwischen Satire und Hetze auf.

«Wo gibt es eine Grenze? Gibt es überhaupt eine Grenze? Soll man sein Leben als Künstler oder Aktivist aufs Spiel setzen?» Diese Fragen wurden in der Einladung formuliert, mit der das dänische Lars-Vilks-Komitee für den 14. Februar zu einer Veranstaltung mit dem gleichnamigen schwedischen Karikaturisten zum Thema «Kunst, Blasphemie und Meinungsfreiheit» ins Kopenhagener Kulturhaus Krudttonden (Pulverfass) eingeladen hatte.

Auf der Einladung prangt ebenso wie auf der Website des Komitees ein «Mohammed-Hund», wie ihn Vilks nennt, der seit 2007 immer wieder solche Hunde mit dem Kopf eines bärtigen Turbanträgers veröffentlicht.

Parallelen zu «Charlie Hebdo»

Die Einladung zog auch Omar Abdel Hamid el-Hussein an. Der vorbestrafte 22-Jährige, geboren in Dänemark und Kind palästinensischer Flüchtlinge, war am 30. Januar nach mehreren Monaten aus der Haft entlassen worden, in der er eine Verurteilung wegen einer Messerstecherei abgesessen hatte. Auf die in der Veranstaltungsankündigung aufgeworfenen Frage «Haben wir das Recht, blasphemisch zu sein?» antwortete er mit einem Sturmgewehr.

Rund vierzig Schüsse gab Hussein vor dem Kulturhaus ab. Vilks, vermutlich das eigentliche Angriffsziel, wurde von Leibwächtern in Sicherheit gebracht. Ein Filmregisseur starb, drei Polizisten wurden verletzt. Neun Stunden später schoss Hussein mit zwei Pistolen auf die Gäste einer Bar-Mizwa-Feier im Gemeindehaus der Synagoge der dänischen Hauptstadt; dabei tötete er ein Gemeindemitglied und verletzte zwei Polizisten. Vier Stunden später wurde Hussein von der Polizei erschossen.

Zuerst ein Anschlag gegen provozierende Karikaturisten, dann ein antisemitisches Attentat – nicht nur die meisten Medien fühlten sich an das Massaker gegen die «Charlie Hebdo»-Redaktion in Paris mit der anschliessenden Bluttat in einem jüdischen Ladengeschäft erinnert. Von einer «albtraumhaften Wiederholung dessen, was sich in Paris ereignet hat», sprach auch Dan Rosenberg Asmussen, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Kopenhagens. «Wir haben befürchtet, dass sich das in Dänemark ereignen könnte.»

Warum gerade in Dänemark? Der Journalist Lasse Ellegaard sucht in der Tageszeitung «Information» eine Antwort anhand eines eigenen Erlebnisses, 2010 bei einem Poesiefestival im Iran. «Nach der Auskunft, ich sei Däne, pflanzte mir der Veranstalter brutal den Zeigefinger auf die Brust: ‹Du kommst also aus dem Land, das unseren Propheten kränkt?› Der Mann sei wohlgemerkt Schiit gewesen, berichtet Ellegaard, Mitglied einer muslimischen Glaubensrichtung also, die nie Probleme damit hatte, den Propheten zu zeichnen. Es sei ihm nicht um ein generelles Abbildungsverbot gegangen, sondern ganz konkret um die Bilder des dänischen Zeichners Kurt Westergaard, der Mohammed mit einer Bombe unter dem Turban gezeichnet hatte. Und um die Karikaturen von Vilks, der den Kopf des Propheten auf den Körper eines Hundes, eines für MuslimInnen unreinen Tiers, setzte. Wolle man die Terrorattacken von Kopenhagen verstehen, dürfe man nicht ausblenden, dass solche Kränkungen ein zentraler Aspekt seien, meint Ellegaard.

Der dänische Schriftsteller Carsten Jensen stimmt ihm zu: Den DänInnen scheine es besonders schwerzufallen, den Unterschied zwischen Satire und Hetze zu verstehen, vor allem dann, wenn es um MuslimInnen gehe. Jensen wie Ellegaard verweisen auf das, was seit einigen Jahren in der islamischen Welt das Bild ihrer Heimat prägt: Neben Britannien ist Dänemark der treuste Verbündete der USA und das europäische Land, das sich an allen vier Kriegen im Irak, in Afghanistan, Libyen und jetzt gegen den Islamischen Staat (IS) beteiligt hat. Es ist das EU-Land mit der restriktivsten Einwanderungspolitik und dem höchsten Anteil ausländerfeindlicher Kräfte im Parlament. In Kopenhagen sei in den vergangenen fünfzehn Jahren eine Politik gepflegt worden, die den Graben zwischen «uns» und «den anderen» immer weiter vertieft habe. Das habe dazu geführt, dass sich viele MigrantInnen und deren Kinder aus der dänischen Gesellschaft ausgeschlossen fühlten. Ihnen sei eingehämmert worden: Ihr seid unser Problem – wegen eurer Religion, eurer Kultur, eurer Geschichte.

Dänische PolitikerInnen gehörten zu den schlimmsten Demagoginnen und Hetzern in Europa, sagt Carsten Jensen. Die Politik Kopenhagens sei «zwei Jahrzehnte lang zielgerichtet auf eine Konfrontation zugesteuert». Wenn ein Land nach einer Ansteckungsquelle für den einheimischen Terrorismus suche, dann müsse es erst einmal bei sich selbst anfangen, fordert der Schriftsteller.

Viele dänische IS-Kämpfer

Das bis zum letzten Wochenende schwerste Attentat in Dänemark hat sich lange vor dieser Entwicklung zugetragen: Am 22. Juli 1985 waren in Kopenhagen zwei Bomben explodiert, die einen Toten und 32 Verletzte forderten. Ein Ziel war damals dieselbe Synagoge wie in der Nacht zum Sonntag. Doch es handelte sich um eine isolierte Einzeltat im Gegensatz zu dem, was seit der Veröffentlichung von zwölf Mohammed-Karikaturen 2005 passiert ist. Diese waren in einem Klima schon kräftig verschärfter Islamhetze von der rechtsliberalen Zeitung «Jyllands-Posten» in Auftrag gegeben und publiziert worden – von einem Blatt, das seinerzeit das führende Sprachrohr für islamophobe und fremdenfeindliche Stimmen war. Gegen diese Zeitung und den Zeichner Westergaard richteten sich in den folgenden Jahren mehr als ein halbes Dutzend rechtzeitig verhinderte oder gescheiterte Anschlagsversuche.

Die Politik, die Dänemark betrieben habe und immer noch betreibe, sowie das Klima, das dadurch im Land entstanden sei, hätten nun einmal einen Preis, gibt der Journalist Ellegaard zu bedenken. Offenbar vermöge für einen «marginalisierten Muslim» etwa der IS eine Perspektive zu bieten. Es ist deshalb vermutlich kein Zufall, dass laut der dänischen Sicherheitspolizei aus Dänemark (zusammen mit Belgien) im Verhältnis zur Bevölkerung am meisten Staatsbürger als IS-Kämpfer nach Syrien und in den Irak gezogen sind. Auch Omar Abdel Hamid el-Hussein scheint sich – nach seinen Äusserungen in sozialen Medien zu schliessen – als eine Art IS-Kämpfer gefühlt zu haben.

Die Angst vor noch mehr Hass

«Kein Mensch ist eine Insel», sagt Jensen. Wolle man vor dieser Binsenweisheit nicht einfach die Augen verschliessen, brauche es einen Wandel in der Politik. Dänemark müsse seinen muslimischen BürgerInnen endlich demonstrieren, dass sie ein Teil der Gesellschaft seien: Es müsse Schluss sein «mit diesem ‹Ihr seid anders, ihr gehört nicht dazu›».

Doch das sind eher Einzelstimmen. Schuld an allem sei die «Masseneinwanderung», meint beispielsweise «Jyllands-Posten»: Europa habe sich mit seiner Politik der offenen Türen den Terrorismus selbst ins Haus geholt. Die RechtspopulistInnen von der Dänischen Volkspartei blasen ins gleiche Horn und fordern eine noch restriktivere Ausländerpolitik.

So schnell werde vergessen, dass der Attentäter von Kopenhagen in Dänemark geboren wurde, staunt das linke Blatt «Information». Es befürchtet, dass die Kopenhagen-Attentate zu noch mehr Hass, einem politischen Rechtsrutsch und damit zu einer weiteren Verschärfung in der Ausländerpolitik führen könnten. In einem Wahljahr wie diesem – der genaue Termin steht noch nicht fest – sei es für allzu viele dänische PolitikerInnen unwiderstehlich, «diesen bestialischsten Anschlag gegen die offene dänische Gesellschaft auszunutzen». Und wenn Furcht herrscht, gewinnt gewöhnlich die Rechte.