Wichtig zu wissen: Sonst schon alles
Ruedi Widmer übernimmt schweren Herzens Verantwortung
An einer Veranstaltung der SVP und der SP in Feuerthalen ZH wurde grosse Einigkeit zelebriert. Das Atomendlager darf nicht nach Benken, Kanton Zürich, kommen. Regierungsrat Ernst Stocker (SVP): «Wir haben sonst schon alles.» Und gleich: «Wenn ihr euch nicht wehrt, weil ihr sagt, ihr seid vernünftig, werdet ihr es haben.» Regierungsrat Mario Fehr (SP) meinte ganz aufmüpfig. «Ich kann euch zu einem sehr, sehr entschiedenen Widerstand raten.»
Wir haben sonst schon alles.
Zürich soll froh sein, schon alles zu haben. Ich war kürzlich im Kanton Glarus. Da leiden sie darunter, nicht alles zu haben. Vor allem kein Geld. An jedem zweiten Geschäftslokal steht «zu verkaufen». Die Glarnerinnen sind aber im Gegensatz zu den Zürchern offenbar realistisch und haben ihre Gemeinden zu Glarus, Glarus Nord und Glarus Süd fusioniert.
Dann soll das Glarnerland das Endlager kriegen, würden jetzt viele Zürcher Regierungsräte denken, dann haben sie auch mal was.
Ich habe Mühe mit der Idee, man sei umweltfreundlich und könne in der Schweiz leben. Umweltfreundlich waren allenfalls Urmenschen. Klar kann man einiges lebensverträglicher gestalten. Aber die 2000-Watt-Gesellschaft empfinde ich als so realitätsfremd wie das Heimatgequatsche der SVP. Ich sehe in der Schweiz keine Fortschritte beim persönlichen Energieverbrauch. Die Linken fliegen ebenso gerne wie die Bürgerlichen. Die meisten kaufen das günstigste Angebot. Auch Grüne fahren Auto. Alle sind dem gleichen Markt unterworfen.
Keine Solidarität mit Benken. Kein Widerstand mit mir. Das Endlager soll ins Weinland kommen. Ich weiss, ich bin der Einzige mit dieser Meinung. Wer profitiert hat, soll auch bezahlen. Jahrzehntelang hat die Mehrheit im Zürcher Weinland die SVP gewählt und den Atomkurs der Schweiz befürwortet. Der normale Wahnsinn ist der viele Zehntausend Jahre lang strahlende Abfall, aber der überbordende Wahnsinn ist, ihn Tag für Tag zu produzieren und nichts mit ihm zu tun haben zu wollen.
Die Leidtragenden meiner Nagra-freundlichen Atomgegnerschaft sind natürlich die ehrenvollen linken AtomgegnerInnen, die es auch im Weinland gibt.
WinterthurerInnen wie mich versuchen die beiden Regierungsräte mit dem Schreckensbild von durch den Hauptbahnhof Winterthur fahrenden Castor-Transportzügen ins Nagra-feindliche Lager zu locken. Ich sage jetzt mal eines, liebe Zürcher Regierung: Ich bin seit Jahrzehnten genau deshalb gegen die Atomenergie, aber ich bin bereit, die Folgen zu tragen, weil ich selber auch davon profitiert habe. Ich werde fuchsteufelswild ob der bürgerlichen und auch linken Heuchelei. Wo ist eure «Eigenverantwortung», die ihr von jeder Geringverdienerin verlangt?
Die Angst, das Endlager in der Nähe zu haben, wirkt umso lächerlicher, je mehr man sich vergegenwärtigt, wie nahe ohnehin jedes Atomendlager in der Schweiz liegen wird. Gelegenheitsatomgegner kann man auch als SVPler sein, das ist noch flippig, genauso wie Gelegenheitsschwulenfreund, wenn der hauseigene Menschenrechtsabschaffer und Ständeratskandidat Hans-Ueli Vogt schwul ist, oder für fünf Minuten ist auch Gleichberechtigung cool, wenn der SVP-Chefredaktor Markus Somm im «Tages-Anzeiger» säuselt, liberal zu sein.
Unser Abfall bleibt in der Schweiz! Ich werde wohl für die Nagra demonstrieren müssen. Das hätte ich nie gedacht.
Ruedi Widmer ist Cartoonist in Winterthur, gleich beim Hauptbahnhof, durch den die Atomzüge rollen werden.