Atommüll: Murren um den Bözberg
Der radioaktive Abfall der Schweiz könnte im Hügel zwischen Brugg und Fricktal vergraben werden. Am Samstag wurde in Oberbözberg die Bevölkerung informiert. Die Region soll für ein allfälliges Endlager eine jährliche Abgeltung von acht Millionen Franken erhalten.
Es ist ein Markt der besonderen Art, der an diesem Samstag in der Turnhalle von Oberbözberg stattfindet. An Stellwänden hängen Karten, bunte Grafiken und Informationstafeln. In einer Ecke prangt ein grosses gelbes Plakat mit der Aufschrift «Kein Atommüll im Bözberg! Kaib».
Alle sind sie da: diejenigen, die das Endlager bauen wollen, und jene, die dagegen sind, aber auch die nationalen und die Aargauer Behörden. Es ist Samstag, kurz vor 10 Uhr. Die Sonne scheint mild. Auf dem Parkplatz neben der Turnhalle stehen Männer der lokalen Feuerwehr herum und warten auf Autos, die sie einweisen können. Viel haben sie nicht zu tun.
Die Wiesen sind noch matt, die Bäume kahl, und weit weg im Süden leuchten frisch verschneit die Alpen. Oberbözberg ist ein nettes, kleines, abgelegenes Dorf. 500 Menschen wohnen auf dem Hügel zwischen Brugg und Fricktal. Der Bözberg ist bekannt, weil der Autobahntunnel von Zürich nach Basel quer durch den Berg geht. Auch ein Bahntunnel durchbohrt den Hügelzug.
Unter Oberbözberg oder vielleicht im Zürcher Weinland soll das Endlager für den radioaktiven Abfall zu liegen kommen. Die beiden Gebiete hat die Nagra im Januar als mögliche Endlagerstandorte auserkoren.
An diesem Samstag wird in Oberbözberg die Aargauer Bevölkerung über den Stand der Dinge informiert. Am kommenden Samstag, 14. März, ist dann das Zürcher Weinland dran. Übrigens heisst der Standort Bözberg in den offiziellen Dokumenten neu «Jura Ost» und das Zürcher Weinland «Zürich Nordost», weil man nicht will, dass die Regionen einen schlechten Ruf bekommen.
Villigen als Tor zum Endlager
Um 10.15 Uhr beginnt im Raum unter der Turnhalle der Referatemarathon. Etwa sechzig Leute sitzen da, vor allem ältere Männer. Es folgt Powerpoint-Präsentation auf Powerpoint-Präsentation.
Eine junge Frau vom Bundesamt für Energie erklärt, man habe die beiden möglichen Lagergebiete festgelegt und zusammen mit den Regionalkonferenzen auch schon die Standorte für die Zugänge zum Lager definiert. Der Tenor sei gewesen: «Nicht bei uns!» Am Ende hätten die Regionalkonferenzen aber doch einen Ort festlegen können, sagt die junge Frau.
Um das zu verstehen, muss man ausholen. In der Regionalkonferenz sitzen Leute aus den Gemeinden, auf deren Gebiet das Endlager zu liegen kommen könnte. Sie hatten unter anderem die Aufgabe mitzubestimmen, wo der Zugang zum Endlager hinkommen soll. Das wird ein beachtlicher Bau, durch den einmal der gesamte strahlende Müll, der zu vergraben ist, in die Tiefe gefahren werden muss. Es standen mehrere Dörfer zur Auswahl. Die Gemeinden zierten sich, das Oberflächenlager zu übernehmen. Denn das ist der Ort, wo man real sieht und spürt: Hier gibt es ein Endlager – weil die strahlende Fracht auf Lastern angefahren kommt.
Die Aargauer Regionalkonferenz hat am Ende entschieden, Villigen sei der Ort, wo der Eingang ins Endlager gebaut werden könne. Villigen liegt an der Aare zwischen Brugg und Koblenz, gut fünf Kilometer vom Bözberg entfernt. In Villigen ist das Paul-Scherrer-Institut angesiedelt und gleich auf der andern Aareseite das Zwilag, das Zwischenlager für radioaktive Abfälle. Einen Kilometer nördlich stehen die beiden Beznau-Reaktoren.
In Villigen lebt man seit langem von der Nuklearindustrie, hier wird kaum Opposition gegen das Tor zum Endlager aufkeimen. Man wird allerdings einen langen Tunnel bauen müssen, um überhaupt in den Bözberg hineinzukommen. Auf dem Berg selbst wird nichts an das Lager gemahnen.
Warum nicht im Wellenberg?
10.30 Uhr. Markus Fritschi tritt auf. Er ist Mister Nagra, Geschäftsleitungsmitglied und zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit. Stets freundlich und charmant. Ihn bringen die schärfsten KritikerInnen nicht aus der Ruhe, zu viele derartige Veranstaltungen hat er schon hinter sich. Er erklärt, das Endlager dürfe nicht zu dicht an der Oberfläche liegen, weil es sonst durch die nächste Eiszeit freigelegt werden könnte. Es dürfe aber auch nicht zu tief liegen, weil sonst der Berg zu sehr drücke und das Tongestein zu stark geschädigt würde. Also sollte das Endlager in einer Tiefe zwischen 600 und 700 Metern zu liegen kommen.
Sechs mögliche Standorte waren im Rennen. Fritschi zeigt bunte Tabellen. Grün und Hellgrün zeigen an, dass der Ort günstig fürs Endlager wäre. Gelb steht für «bedingt günstig», Rosa für «ungünstig». Der Bözberg und das Weinland sind prächtig grün und hellgrün, die andern Orte gelb und rosa durchsetzt.
Übrigens kommt der Wellenberg in den Tabellen schlecht weg, viel Rosa und Gelb. Ein Mann bemerkt in der Fragerunde, die Nagra habe doch jahrelang behauptet, der Wellenberg sei ein gutes Endlager: «Hätte die Nidwaldner Bevölkerung nicht dagegen gekämpft, würde es dort gebaut.» Und nun komme dieselbe Nagra und sage, der Wellenberg sei nicht geeignet. Das sei schon fragwürdig.
Fritschi sagt, man hätte dort schon ein sicheres Endlager bauen können, man habe aber auch gelernt. «Damals suchte man einen Ort, wo man horizontal in den Berg reinkann.» Inzwischen seien die Behälter mit dem Abfall kleiner geworden, jetzt könne man auch vertikal in den Berg.
Eine Frau fragt, wie das nun sei mit dem vielen Wasser im Bözberg und den Nutzungskonflikten, da es in der Gegend viele Thermalquellen gebe und man vielleicht einmal die Geothermie nutzen möchte. Fritschi entgegnet, der Opalinuston, das Gestein, in dem das Lager zu liegen kommen soll, sei zuverlässig und wasserundurchlässig. Aber klar, es gebe Störungszonen, wo Thermalwasser hochkomme, da könne man natürlich das Endlager nicht bauen. Und natürlich könne man da, wo das Endlager sei, keine Geothermiebohrung machen.
Es gibt viele Fragen. Doch die Zeit fehlt. Die Leute sollten ihre Fragen bitte oben in der Turnhalle direkt den Experten stellen, heisst es. Einige ZuhörerInnen murren. Man sei doch hier, um im Plenum zu diskutieren, alle sollten hören, was gefragt und geantwortet werde. Blöd, wenn es jetzt heisse, die Zeit dränge. Das mache man doch extra.
Das Murren nützt nichts. Der Vertreter des Kantons Aargau beginnt mit seinem Referat: «Der Regierungsrat will kein Tiefenlager im Kanton Aargau.» Eine offizielle neue Stellungnahme gebe es aber erst in einem Jahr. Wenn der Bözberg technisch wirklich der beste Standort sei, würde man halt in den sauren Apfel beissen.
Es folgt ein Mann vom Nuklearsicherheitsinspektorat und noch einer von der Nagra. Um 12 Uhr ist das letzte Referat zu Ende.
Der Widerstand wächst
Oben in der Turnhalle verteilt Max Chopard gelbe Stoffblumen, die man sich anheften kann. Chopard ist SP-Nationalrat und Kopräsident des Vereins «Kein Atommüll im Bözberg! Kaib». Er sagt, sie hätten an diesem Morgen über sechzig Blumen verteilt. Das hätte er nie erwartet, würde doch immer suggeriert, es gebe kaum Widerstand gegen das Endlager. Kaib habe inzwischen 650 Mitglieder. «Fast täglich haben wir Neuanmeldungen, obwohl wir keine Werbung machen. Viele sind hier aus der Gegend, aber auch in Villigen haben wir Mitglieder.»
Aber muss der Atommüll nicht irgendwo entsorgt werden? Wo, wenn nicht im Bözberg? Im Weinland? «Eben nicht irgendwo», sagt Chopard, «wir müssen die sicherste Lösung finden!» Der Bözberg sei eine der wasserreichsten Gegenden der Schweiz, es sei unklug, ausgerechnet hier ein Endlager bauen zu wollen. «Es gibt Geologen, die kritisieren den Standort, aber sie sagen es nicht öffentlich, weil sie von öffentlichen Aufträgen abhängig sind.» Er wolle sicher nicht das Weinland gegen den Bözberg ausspielen, «aber man muss kritisch hinterfragen, nur schon um den Auswahlprozess zu verbessern». Die Lösung habe er auch nicht.
Dann nimmt Chopard ein Papier hervor: «Sozioökonomische-ökologische Wirkungsstudie: Jura Ost», geschrieben vom Bundesamt für Energie. Da steht drin, dass das Oberflächenlager «einen Wildkorridor von nationaler Bedeutung» und «Lebensräume von bedrohten Arten» beeinträchtige, zudem liege es innerhalb eines Gewässerschutzbereichs. Er habe versucht, das zu thematisieren, sagt Chopard, die Zeitungen interessiere es nicht, und auch Pro Natura kümmere sich nicht darum, obwohl das doch deren Aufgabe wäre.
Im Papier steht zudem, dass das Lager der Region tüchtig Geld brächte: Es darf mit einer halben Million Franken zusätzlichen Steuereinnahmen gerechnet werden und vor allem mit jährlich acht Millionen Franken sogenannten Abgeltungen – und das über sehr viele Jahre hinweg.