Kultour

Nr. 15 –

Lesung und Gespräch

Erinnerungen bergen

Zuerst waren da die Fotografien, die die 51-jährige Zürcher Künstlerin Daniela Keiser in der Umgebung von Berlin gemacht hatte: Bilder einer Landschaft mit kleinen Hügeln, in der die Berliner Kinder von heute Drachen steigen lassen. Dann kamen Texte der 52-jährigen Zürcher Kunstjournalistin Nadine Olonetzky hinzu: Die Besichtigung der Fotos während eines Atelierbesuchs hatten in ihr Erinnerungen an die eigene Familiengeschichte ausgelöst. Derweil die Trümmer des Kriegs, die aus dem Flachgebiet eine Hügellandschaft gemacht haben, auf den Bildern zugeschüttet bleiben, holt Olonetzky Verborgenes aus ihrer Familiengeschichte an die Oberfläche.

«Bergen» lautet denn auch der Titel des Buchs, das nun bei The Green Box Kunsteditionen erschienen ist und im Zürcher Projektraum Kassette vorgestellt wird. Parallel zu Keisers Bildern erzählt Olonetzky die Geschichte eines Kinds, dessen Eltern aus zwei sehr unterschiedlichen Familien kommen: der Familie des Papas aus Deutschland, dessen Vater in einem Lager getötet wurde; und der vom Krieg verschonten Familie der Mutter aus der Schweiz. Es ist die Geschichte einer langen Verschwiegenheit. Sodass sich das erwachsen gewordene Kind immer wieder fragt: Warum habe ich damals nicht nachgefragt?

Im Anschluss an die Lesung in Zürich spricht Michael Guggenheimer mit Keiser und Olonetzky über ihre Arbeit. Veranstaltet wird der Anlass von Omanut, dem Verein zur Förderung jüdischer Kunst in der Schweiz.

«Verborgene Erinnerungen bergen» in: Zürich Kassette, Wolfbachstrasse 9, beim Pfauen, 
So, 12. April 2015, 17 Uhr; in: Bern Lehrerzimmer im Progr, Do, 23. April 2015, 18.30 Uhr, Moderation: Hans Rudolf Reust; in: Schaffhausen Museum zu Allerheiligen, Di, 19. Mai 2015, 18.15 Uhr, Moderation: Lynn Kost.

Adrian Riklin

Film

Frederick Wiseman im Filmpodium

Eine gefühlte Viertelstunde verharrt die Kamera im Close-up auf den missgebildeten Zähnen im sprechenden Mund zu Beginn von «Public Housing» (1997) – so lange, bis wir uns irgendwann sattgesehen haben und besser hinzuhören beginnen. Frederick Wiseman «hört den Leuten aufs Maul», so der Schweizer Filmemacher Thomas Imbach. Treffender kann man nicht ausdrücken, wie sich der US-Dokumentarfilmer seit bald fünfzig Jahren dem immergleichen Thema nähert: gesellschaftlichen Institutionen und wie sie funktionieren. Wobei es Wiseman stets über weite Strecken dem Publikum überlässt, sich dieses «wie» zu erschliessen. In seinen Filmen gibt es keinen Kommentar, keine Interviews, keine Musik. Dafür dauern viele ungewöhnlich lange – «Public Housing» etwa über 200 Minuten.

Grossartig, dass das Filmpodium noch bis Mitte Mai eine Retrospektive zu Wiseman zeigt! Und schade, dass «Public Housing» nicht dabei ist – doch die Auswahl aus über vierzig Filmen muss schwergefallen sein. Und sie überzeugt. Endlich ist zum Beispiel Wisemans Erstling, «Titicut Follies» (1967), zu sehen, der nach einer Klage der Regierung von Massachusetts bis 1991 mit einem Aufführungsverbot belegt war. Wiseman richtet darin Kamera und Mikrofon auf eine Anstalt für kriminelle Geisteskranke – und verwischt gleichzeitig die Grenzen zwischen Ärzten und Insassen. Auch viele seiner weiteren Filme haben etwas Verstörendes: Sie rücken eine entmenschlichte Bürokratie ins Zentrum, der sich weder die BeamtInnen noch deren KlientInnen entziehen können. In «Welfare» (1975) etwa begegnet man in einem New Yorker Sozialhilfebüro viel zu vielen Gesichtern (auf beiden Seiten des Schreibtischs), in denen sich Erschöpfung und Fatalismus, Wut und Verzweiflung spiegeln.

Am 15. April ist Frederick Wiseman persönlich im Filmpodium anwesend und spricht in einer öffentlichen Masterclass über seine Filme, insbesondere auch über «Welfare».

«Frederick Wiseman» in: Zürich Filmpodium, 
bis 15. Mai 2015. Masterclass: Mi, 15. April 2015, 15 Uhr. 
www.filmpodium.ch

Franziska Meister

Konzert

Paradise Bangkok Molam International

Ein Sänger traditioneller Volkslieder wird im thailändischen Nordosten als Mo Lam bezeichnet. Der Mo Lam singt über die unerwiderte Liebe sowie über das unwirtliche Leben in der noch immer stark von der Landwirtschaft geprägten Region Isan. Begleitet werden die Gesänge mit der Khaen, einer Bambusorgel mit vierzehn Pfeifen, und der Phin, einer dreisaitigen Laute. Zahlreiche BewohnerInnen von Isan sind in den letzten Jahrzehnten nach Bangkok abgewandert, um in der Hauptstadt ein besseres Auskommen zu finden. Und mit ihnen zogen auch die Mo Lams: In Nachtclubs und Karaokebars halten sie mit ihren Liedern die Erinnerung an die Heimat wach, gleichzeitig haben sie ihre Musik für neue Einflüsse geöffnet.

Beispielhaft dafür ist die Paradise Bangkok Molam International Band, die Hofkapelle des Paradise Club in Bangkok: Die legendären Musiker Kammao Perdtanon (Phin) und Sawai Kaewsombat (Khaen) haben sich mit jüngeren Kollegen zusammengetan. Angereichert mit modernen Rhythmen, werden die hypnotischen Folksongs unerhört tanzbar. Letztes Jahr erschien von der Molam International Band das Debüt mit dem passenden Titel «21st Century Molam». Nachdem die Band mit Konzerten in Europa bereits einige Bekanntheit erlangt hat, kehrt sie nun für eine Tour zurück. Hingehen empfohlen: Da werden die Schweizer Kaschemmen und Viaduktbögen zu Tanzclubs, und das Paradies liegt gleich nebenan.

The Paradise Bangkok Molam International Band in: Zürich Bogen F, Do, 9. April 2015, 21 Uhr (als Vorband von Peter Kernel); in: Luzern Südpol, Fr, 10. April 2015, 22 Uhr; in: Düdingen Bad Bonn, Sa, 11. April 2015, 21.30 Uhr; in: Basel Kaschemme, So, 12. April 2015, 21 Uhr.

Kaspar Surber

Feine Sahne Fischfilet in Basel

Gegründet im Hinterland Mecklenburg-Vorpommerns, haben sich Feine Sahne Fischfilet einen Bekanntheitsgrad erspielt, der die Band regelmässig in den Verfassungsschutzbericht des nordostdeutschen Bundeslands bringt. Seit 2011 werden ihnen dort bis zu zwei Seiten gewidmet, während so manche rechtsextreme Erscheinung nur eine Randnotiz im Bericht bleibt. 2012 bedankten sich Feine Sahne Fischfilet denn auch persönlich mit einem Präsentkorb beim Innenministerium für die Gratiswerbung – was ihnen erhebliche Aufmerksamkeit und weitere Beschattung bescherte. Ihr viertes Album, «Bleiben oder gehen», spricht jetzt bereits im Titel ein wichtiges Thema der antifaschistischen Band an: Verlasse ich die graue Provinz oder bleibe ich, um sie selbst zu verändern und zu gestalten? Eine brennende Frage nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, wo gestandene Parteien einige Dörfer faktisch zugunsten der NPD aufgegeben haben.

Feine Sahne Fischfilet in: Basel Restaurant Hirscheneck, Sa, 11. April 2015, 22 Uhr; in: Bern Rössli in der Reithalle, Sa, 25. April 2015, 21 Uhr.

Philipp Natzke

Markt

Musikbasar im Neubad

So sauber und ordentlich waren die Bandräume und Musikstudios in Luzern und Umgebung wohl selten. Sie wurden entrümpelt für den zweiten Musikbasar, der am kommenden Samstag im Neubad stattfindet. Zu kaufen gibt es eine grosse Auswahl an Instrumenten, Verstärkern, Effektgeräten und Studioequipment – und dazu überzählige Alben aus Plattensammlungen. Alle Instrumente und Musikgeräte können vor Ort ausprobiert und getestet werden. Highlight der Veranstaltung ist eine Liveauktion für besondere Einzelstücke und Raritäten.

Apropos Neubad: Das ehemalige Hallenbad, das während vier Jahren provisorisch für Kulturveranstaltungen und die Kreativwirtschaft genutzt wird, geriet wegen eines defekten Heizkessels und ausgebliebener Lotteriefondsgelder in einen Engpass. Dank einer erfolgreichen Spendenaktion ist der Betrieb fürs Erste gesichert.

Musikbasar in: Luzern Neubad, 
Sa, 11. April 2015, 11–16 Uhr.

Kaspar Surber

Theater

«Panik» in der Roten Fabrik

Wie kann das, was ein Mensch nicht mehr auszusprechen vermag, gezeigt werden? Wie soll, was nicht mehr nach aussen dringen kann, inszeniert werden? Wie können Momente voll ausgefranster Erinnerung in ästhetische Formen gebracht werden? Die Performancegruppe Ultra wagt sich mit ihrem Projekt «Panik» daran, das chaotische Aufblitzen eines gelebten, aber zunehmend verstummenden Lebens in eine darstellerische Ordnung zu bringen. In szenischen Bildern nähern sie sich jenem Zustand, wenn der Geist langsam in der Versenkung verschwindet.

Im Zentrum dieser multidisziplinären Auseinandersetzung steht eine reale Person: die an Demenz erkrankte Alice. Die DarstellerInnen werden zur Verlängerung von Alice, als Ausdruck ihres komplexen und fragilen Seins, das sich in seiner Komplexität nicht mehr selbst präsentieren kann. Sie tanzen einen Tanz rund um unsichtbare Barrieren und die Frage nach Würde. Alice Bollier-Plüss, Orpheo Carcano, Thomas Köppel und Nina Langensand treten für dieses Unterfangen gemeinsam auf die Bühne und durchqueren in einem gemeinschaftlichen Akt die ultimative Unsicherheit des Vergessens.

«Panik» in: Zürich Rote Fabrik, Fabriktheater, 
Mi/Fr/Sa, 8./10./11. April 2015, jeweils 20 Uhr. 
www.rotefabrik.ch

Stephanie Danner