Fussball und andere Randsportarten: Verwegener Trend aus New York
Pedro Lenz über die neuste Extremsportart
Wir kannten das Phänomen schon von der Kleidermode: Wer an einem Stil beharrlich festhält, wird irgendwann völlig neben der gängigen Mode stehen, aber dafür auch irgendwann wieder haargenau im Trend. Mode ist zyklisch, und es kommt immer wieder eine Generation, die etwas schick findet, was schon früher für schick befunden wurde.
Dass diese Gesetzmässigkeit auch für sportliche Aktivitäten gilt, dürfte uns eigentlich nicht wundern. Ein bisschen wundern kann es einen im Einzelfall freilich trotzdem. Manchmal sogar mehr als nur ein bisschen. Etwa dann, wenn, wie dieser Tage, in einem hiesigen Sportmagazin zu lesen ist, der allerneuste Sporttrend aus der Trendfabrik New York heisse Urban Running.
Deshalb sei an dieser Stelle schon mal gewarnt: Wer jetzt nicht genau liest, verpasst möglicherweise den Trend aller Trends, einen Trend, der an Verwegenheit und Originalität den Rahmen dessen sprengt, was wir trendbewussten Sportfans uns bisher überhaupt vorstellen konnten. Seien Sie also bitte aufmerksam, und nehmen Sie genau Notiz, geschätzte Leserinnen und Leser, denn nun folgen Originalzitate:
«Eine Laufbewegung erobert von New York aus die grossen Städte der Welt: Man läuft abends gemeinsam los und erkundet vergessene Viertel. Ein cooles Lebensgefühl ohne Kalorienzähler und Pulsmesser.»
Sie haben richtig gelesen, diese trendsetzenden Menschen laufen einfach gemeinsam los! Und weiter unten steht ausserdem: «Für diese Jungs und Mädels ist laufen ein Lifestyle. Sie haben keine Stoppuhr, keinen Trainingsplan, schonen sich aber auch nicht.»
Noch schonungsloser, noch verwegener, noch radikaler wird es allerdings, wenn einer der Begründer dieses revolutionären Lauftrends zu Wort kommt und über die Anfänge erzählt: «Wir trugen ganz normale Kaki-Shorts, Baumwollshirts und Skateschuhe.»
Wow! Was müssen wir doch für HinterwäldlerInnen gewesen sein, dass wir diesen Trend bisher nicht wahrgenommen haben, wo er doch schon vor Jahren begründet worden sei. Laufen ohne Kalorienzähler und ohne Pulsmesser, wenn das nicht der Gipfel der Freiheit ist! In Baumwollshirts! Wer will so etwas Befreites noch toppen? Laufen ohne Stoppuhr, das ist schon fast so frech wie Velofahren ohne Helm.
Wir hatten schon viele augenöffnende Reportagen aus dem Big Apple gelesen. Wir glaubten, im Zusammenhang mit Extremsport könne uns nichts mehr richtig aus den Sportsocken hauen. Aber jetzt zu vernehmen, dass es in New York tatsächlich Menschen gibt, die einfach losrennen, ohne Messgeräte an Handgelenk oder Brust, ohne Stabilo-Boss-farbene Leggings und womöglich sogar ohne iPod, das streift dann doch irgendwie die Grenzen dessen, was sich ein Menschenhirn in der Provinz bisher ausmalen konnte.
Wenn das mit den Sporttrends nun so weitergeht, könnte dereinst das Wandern ohne Neoprenjacken und ohne Stöcke aufkommen. Und wer weiss, ob sich nicht sogar irgendwann ein Trend in Richtung Fitness ohne Fitnessstudios abzeichnet.
Bis es jedoch so weit ist, wollen wir versuchen, den Trend des Urban Running zu verdauen und uns geistig darauf vorzubereiten, dass dieser Trend über den Atlantik schwappt und sich nächstens in europäischen Trendmetropolen wie Berlin, London oder gar Zürich ausbreitet.
Die Fragen, die sich jeder und jede von uns nun dringend stellen sollte, lauten: Werde ich mental bereit sein, wenn dieses Urban Running bei uns ankommt? Werde ich den Mumm haben, im Baumwollshirt einfach loszulaufen?
Und wer dann noch behaupten will, der Trend sei nicht abzusehen gewesen, hat Wilhelm Busch nie gelesen. Er warnte uns schon im 19. Jahrhundert, als er schrieb: «Eins, zwei, drei, im Sauseschritt / läuft die Zeit, wir laufen mit.»
Pedro Lenz ist Schriftsteller und lebt in Olten. Alle seine Versuche, das Autofahren ohne Navigationsgerät als Trend zu etablieren, sind bisher gescheitert.
Unter dem Titel «Fussball und andere Randsportarten» hat die WOZ die besten Kolumnen von Etrit Hasler und Pedro Lenz als Buch herausgegeben. Es ist unter www.woz.ch/shop/buecher erhältlich.