Fussball und andere Randsportarten: Aussensichten für Eingeweihte
Pedro Lenz über Stabilo-Boss-farbige Fussballschuhe
Immer wieder kommt es vor, dass langjährige Fussballfans sich über unbedarfte Bemerkungen von Uneingeweihten lustig machen. Tatsächlich stellen Menschen, die wenig oder nie an einen Fussballmatch gehen und höchstens zwischendurch einen kurzen Blick aufs Spiel erhaschen, hin und wieder bemerkenswerte Fragen. («Wozu tragen die beiden Männer an den Seitenlinien Fahnen mit sich herum?», «Weshalb redet ihr ständig von Schwalben, wenn weit und breit kein Vogel im Stadion zu sehen ist?» – «Was ist der Unterschied zwischen Nachspielzeit und Verlängerung?», «Warum können Schwerverletzte nach kurzer Pflege wieder rennen, als wäre nie etwas gewesen?»)
Doch in jedem Lebensbereich, in dem sich Fachleute normalerweise in geschlossenen Kreisen (sogenannten Ingroups) bewegen, können vermeintlich naive Fragen von Aussenstehenden wertvoll sein. Der unvoreingenommene Blick auf ein Detail kann Fachleute zum Nachdenken anregen. Im Idealfall weist die unverdorbene Aussensicht sogar auf Entwicklungen hin, die von den InsiderInnen allzu leicht übersehen werden. Ein Beispiel dafür lieferte neulich ein Gespräch an einem Europacupheimspiel der Berner Young Boys. Einer Person, deren letzter Fussballmatchbesuch mehrere Jahre zurücklag, fielen die Schuhe der Spieler auf: «Spielten die früher nicht in schwarzen Schuhen?», fragte sie ihren Begleiter, einen treuen Besucher von Fussballspielen aller Kategorien.
Schwarze Schuhe? Das sei schon längst vorbei, erklärte der Gewohnheitsfan mit leicht gönnerhaftem Unterton. Schwarze Fussballschuhe kämen höchstens noch in Veteranenspielen zum Einsatz.
Die fragende Person gab sich mit der Antwort nicht zufrieden. Sie wollte wissen, wann und wie die schwarzen Schuhe von den Fussballplätzen verdrängt worden seien. Der Fan musste kurz nachdenken und meinte dann, so genau liesse sich das nicht mehr sagen. Viel eher handle es sich beim Farbwandel des Schuhwerks im Profifussball um einen evolutionären Prozess. Angefangen habe es vor vielen Jahren mit bunten Streifen auf schwarzen Schuhen. Danach seien vereinzelt weisse oder halb bunte Fussballschuhe aufgekommen, ohne die klassischen, schwarzen jedoch ganz zu verdrängen. Und erst seit ungefähr einem Jahr gebe es diese leuchtfarbigen, sockenartigen Schuhe, die sich besonders gut an den Fuss schmiegten.
«Aber wieso leuchten diese neuartigen Schuhe alle nur in diesen vier hässlichen Stabilo-Boss-Farben? Schau, alle nur leuchtgrün, leuchtgelb, leuchtorange oder leuchtrosa. Das ist doch der voll doofe Street-Parade-Groove von vorgestern, total neunziger Jahre.»
Um die Farbwahl heutiger Fussballstiefeletten habe er sich noch nie Gedanken gemacht, musste der langjährige Fan zugeben. Worauf die fussballferne Person fragte, ob die Leuchtfarbe der Schuhe wohl das präzise Zuspiel erleichtern könnte. Diesen Zusammenhang verstehe er nicht ganz, meinte der Fan.
«Ich habe mir nur überlegt», sagte die Nichtfachperson, «dass es vielleicht einfacher ist, dem Mitspieler den Ball genau in die Füsse zu passen, wenn die Füsse auf dem Rasen leuchten.»
«Nein, nein, nein!», winkte der Fan ab. «Wenn das wirklich etwas bringen würde, käme es doch nicht ständig zu Fehlpässen. Bei diesen Schuhmodellen geht es überhaupt nicht um Sichtbarkeit und Passgenauigkeit. Es geht nur um Komfort und Merchandising. Millionen von Kindern, die ihre Stars in diesen Schuhen spielen sehen, wollen auch solche Schuhe.»
«Aha. Und demnächst kommen die Merchandisingabteilungen der Sportartikelkonzerne auf die Idee, alle Profis wieder in schwarzen Schuhen auflaufen zu lassen.»
«Das wird wohl so sein», sagte derjenige, der noch vor dem Spiel geglaubt hatte, alles über Fussball zu wissen. Und nahm sich fest vor, künftig auch die Nebensächlichkeiten seines Lieblingssports genauer zu analysieren.
Pedro Lenz (50) ist Schriftsteller und lebt in Olten. Seine ersten Fussballschuhe waren schwarz, schwer und schweisstreibend.