Kultour

Nr. 20 –

Theater

«Die lächerliche Finsternis»

Uraufführung am Wiener Burgtheater, das war im vergangenen Herbst. Im Takt weniger Wochen folgten dann gleich weitere Renommierbühnen in Hamburg und Berlin, später die Einladung ans Berliner Theatertreffen und die Nominierung für den Mülheimer Theaterpreis. Der Fall ist klar: Der gebürtige Hamburger Wolfram Lotz, Jahrgang 1981, stellt mit «Die lächerliche Finsternis» das Stück der Stunde. Rund zwei Monate nach dessen Schweizer Erstaufführung am Luzerner Theater zieht jetzt zum Abschied auch Stephan Roppel, der abtretende Direktor am Theater Winkelwiese in Zürich, nach.

Dabei hat Lotz den Text eigentlich gar nicht für die Bühne geschrieben, sondern als Hörspiel. Vor der Folie von Joseph Conrads «Herz der Finsternis» geht es darin um den Einsatz der deutschen Bundeswehr in Afghanistan. Zwei deutsche Offiziere sollen einen abtrünnigen Oberstleutnant ausfindig machen und kommen sich auf ihrer geheimen Mission selbst abhanden. Dabei funkt natürlich auch Francis Ford Coppolas «Apocalypse Now» dazwischen, Ort und Zeit geraten durcheinander, der Hindukusch ist plötzlich Bosnien ist der Kongo. Und fernab der Zivilisation passiert der deutsche Suchtrupp auf seiner Mission ein «beeindruckendes Panorama aufgeklärter eurozentrischer Selbstgerechtigkeiten», wie Franz Wille vom Auswahlgremium des Mülheimer Theaterpreises schreibt.

Man muss sich «Die lächerliche Finsternis» als groteskes postkoloniales Pastiche vorstellen, als zeitgemässes Delirium der Orientierungslosigkeit, so beängstigend wie komisch. Oder wie der Kollege vom «Tages-Anzeiger» über die Splitterwelten des Wolfram Lotz schrieb: «Das ist kein politisches Theater, aber es hinterlässt politische Menschen.»

«Die lächerliche Finsternis» in: Zürich Theater Winkelwiese, Fr, 15. Mai 2015, 20.30 Uhr (Premiere). Weitere Vorstellungen bis 18. Juni 2015, Spieldaten siehe www.winkelwiese.ch.

Florian Keller

Lesung

Literatur im Blauen Bähnli

Normalerweise ist die Zugfahrt zwischen Bern und Solothurn etwas mühsam: Die gemütlich tuckernde RBS hält an vielen kleinen Haltestellen in der Agglomeration, und eine Toilette auf dieser unnötig langen Fahrt gibt es auch nicht. Doch nun wird alles anders – zumindest für drei Tage: Während der Solothurner Literaturtage von Freitag, 15., bis Sonntag, 17. Mai, fährt auf dieser Strecke das Blaue Bähnli, ein historischer Personentriebwagen. Während der Fahrt gibt es literarische Darbietungen – der perfekte Einstieg in die 37. Literaturtage in Solothurn oder ein schöner Ausklang, je nach Richtung.

Organisiert wird die literarische Blustfahrt vom Berner Verein Buchowski, der seit mehreren Jahren sein Literaturprogramm in fahrenden Trams, Bähnli oder auch stationär präsentiert. Im Blauen Bähnli zwischen Bern und Solothurn diskutieren der Autor Daniel Mezger und der Regisseur Simon Baumann über das Mittelland und die Frage, ob man hier überhaupt leben kann. Christoph Simon sinniert über das Streben nach Glück, und Dorothee Elmiger liest aus Kolumnen und Romanen über GrenzüberschreiterInnen. Bei diesem Programm macht es ja auch nichts, dass die Fahrt mit achtzig Minuten doppelt so lang dauert wie üblich. Für Verpflegung ist gesorgt – ob es eine Toilette gibt, ist allerdings ungewiss.

Literarische Blustfahrt Bern–Solothurn–Bern 
Fr–So, 15.–17. Mai 2015. Programm: www.buchowski.ch. Tickets: Buchhandlung zum Zytglogge, Bern 
(Tel. 031 311 30 80) und Buchhaus Lüthy, 
Solothurn (Tel. 032 625 33 15).

Silvia Süess

Messe

Anarchistische Literattentate

Die Anarchos und Anarchas dieser Welt verbindet eine lange Tradition des Schreibens und Publizierens. Wer an dieser Stelle die Ohren spitzt, sollte sich Ende dieser Woche nach Bern begeben. Da findet zum sechsten Mal in der Schweiz die anarchistische Buchmesse statt. Dabei wird nicht nur in den guten alten Zeiten geschwelgt, als der Anarchismus noch eine echte politische Option zu sein schien. Die dreisprachige Buchmesse ist primär ein Ort der Vernetzung: Sie bietet einen Überblick über die wichtigsten Publikationen antiautoritärer, dem Anarchismus nahestehender Verlage. Es wird diskutiert, gelesen, vorgetragen, gesungen und getanzt.

Neben über zwanzig AusstellerInnen und einer Vortragsreihe mit Schwerpunkt «Anarchismus im Balkan» im Progr erwarten das Publikum Filme und Konzerte in der Reitschule sowie gemütliche Abende in der Bar Les Amis. Bei diesem voll libertären Terminkalender muss auch auf die vielversprechende Eröffnungsveranstaltung im «Les Amis» hingewiesen werden: Da geht es nicht um grosse Pamphlete und Manifeste. Die «Literattentate», die hier von jedem vorgetragen werden können, dürfen auch ganz leise und kurz und subtil sein, Hauptsache, sie hinterlassen zumindest einen Hauch von Anarchie!

Anarchistische Buchmesse in: Bern Progr, Reitschule und Les Amis. 15. Mai 2015 ab 21 Uhr, 
16. und 17. Mai 2015 ab 10 Uhr. 
Mehr Infos: www.buechermesse.ch.

Stephanie Danner

Musik

Liedermacher-Freakshow

«Liedermacher aller deutschen Länder, vereinigt euch!» – unter diesem Motto organisiert der Berner Liedermacher Anton eine Tour mit deutschsprachigen Liedermachern, die er «Liedermacher-Freakshow» nennt. Gemeinsam ziehen diese musizierenden Herren aus der Schweiz und Deutschland (Österreicher sind keine mit dabei) nun mit ihren Gitarren durch das Berner Emmental und die Voralpen und gastieren in der Mühle Tal in Schangnau, in der Alten Chäsi in Gysenstein, im Elchclub in Ostermundigen sowie auf der Stafelalp in Wattenwyl.

Mit dabei ist neben Organisator und Musiker Anton der Mundartsänger Sarbach, der auch als leidenschaftlicher Velofahrer bekannt ist und schon ganze Tourneen mit dem Velo bestritten hat. Aus Deutschland reisen Götz Widmann an (bis 2000 war er die eine Hälfte von Joint Venture), Rüdiger Bierhorst, Robert Kauffmann (der Mann, der singend das freihändige Urinieren beschreibt), Falk sowie die Gebrüder Kapgras. Zwei Stunden dauert die bestimmt unterhaltsame, aber auch poetische, politische und selbstironische Show.

Liedermacher-Freakshow in: Schangnau Mühle Tal, Do, 14. Mai 2015, 20 Uhr; Gysenstein Alte Chäsi, 
Fr, 15. Mai 2015, 21 Uhr; Ostermundigen Elchclub, 
Sa, 16. Mai 2015, 20 Uhr; Wattenwil Stafelalp, 
So, 17. Mai 2015, 18 Uhr.

Silvia Süess

Kunst

Die ersten hundert Tage der Siebziger

Rückblickend wirkt es, als wäre die Kunstszene in der Schweiz zu Beginn der siebziger Jahre förmlich explodiert: In Bern kuratierte Harald Szeemann seine Ausstellung «When Attitudes become Form». In Zürich verliessen Serge und Doris Stauffer die Kunsthochschule und gründeten die «F+F Schule für experimentelle Gestaltung». Und in Luzern fand, zusammengestellt von Jean-Christophe Ammann, die viel beachtete Schau «Visualisierte Denkprozesse» statt. Die Titel sprechen für sich: Erkundet wurden das Prozesshafte und das Experimentelle in der Kunst.

Die Kunstschaffenden selbst scheinen den kommenden Aufbruch gespürt zu haben, wie ein Foto von Pablo Stähli zeigt: In der Silvesternacht auf das Jahr 1970 fotografierte er den Sekundenzeiger seiner Uhr – als Startschuss für ein Mail-Art-Projekt, in dem er während der folgenden hundert Tage Postkarten und Nachrichten mit befreundeten Künstlern austauschte. Als Galerist verhalf Stähli der Luzerner Szene zur Sichtbarkeit, bis er 1978 nach Zürich zog. Dort setzte er später mit «Plötzlich diese Übersicht» von Fischli/Weiss eine weitere Wegmarke.

Eine Ausstellung im Museum Bellpark in Kriens versucht nun, den Geist der Siebziger einzufangen. Die Bestände kommen aus der Sammlung des heute in Brasilien lebenden Pablo Stähli: In den Fotografien von KünstlerfreundInnen erweist er sich nicht nur als Mitgestalter, sondern ebenso als genauer Beobachter des Aufbruchs.

«Die ersten hundert Tage der siebziger Jahre. Fotografien und Dokumente aus dem Archiv des Galeristen Pablo Stähli» in: Kriens Museum Bellpark, bis 5. Juli 2015, Mi–Sa, 14–17 Uhr, 
So, 11–17 Uhr.

Kaspar Surber