Kultour
Ausstellung
Interfoto – ein linkes Fotokollektiv
Zwei Männer stehen in Bergen schmutziger Wäsche, inmitten eines engen, gekachelten Raums unter Tage. Aus einer Öffnung im Hintergrund quellen immer neue Laken und Tücher – kein Arbeitsplatz für Klaustrophobe. Das Schwarzweissbild stammt aus dem Band «Les Coulisses du Travail. Arbeitsbilder» (1982) der Fotoagentur Interfoto aus Genf, die seit 1975 immer wieder aus Arbeitsstätten in der Schweiz berichtet, in die zuvor kaum jemand Licht gebracht hat.
Zu Beginn dokumentierten die FotografInnen des Kollektivs vor allem die Arbeitsbedingungen «am Fliessband». Ihr Ziel war politisch: Sie wollten Streiks und andere politische und soziale Kämpfe und Konflikte sichtbar machen. Deshalb bot das Kollektiv der linken Presse, Gewerkschaften, Hausbesetzerinnen ihre Bilder gratis an. Davon hat auch die junge WOZ immer wieder profitiert. Später wandten sich die Mitglieder des Kollektivs, die stets nur mit «Interfoto» und nicht mit dem eigenen Namen zeichnen, vermehrt den Alltagsthemen der Massengesellschaft zu – eindrücklich etwa im Band «Périphéries» (2006).
Über 140 000 Negative umfasst das Interfoto-Archiv heute; neun Bildbände hat das Kollektiv herausgegeben. Zum ersten Mal zeigt jetzt das Centre de la Photographie in Genf das Werk von Interfoto in seinen ganzen sozialen und politischen Dimensionen, von den Anfängen bis heute. Eine verdiente historische Würdigung.
«Interfoto – 1975–2015» in: Genf Centre de la Photographie, noch bis Ende Mai 2015, Di–So, 11–18 Uhr. www.centrephotogeneve.ch
Franziska Meister
Festival
Bildrausch in Basel
Was passiert eigentlich mit all den berauschenden Filmen, die es trotz Preisen an grossen Festivals nie in die Schweizer Kinos schaffen, weil sie sich – zu abartig, zu abseitig – hier kaum rentieren würden? Die landen, wenn sie Glück haben, am Bildrausch-Festival in Basel. Zu den Gästen des Filmfests gehört heuer der kanadische Avantgarde-Nostalgiker Guy Maddin, der sein jüngstes Werk, «The Forbidden Room», zeigt. Ebenfalls im Wettbewerb steht Lisandro Alonsos patagonischer Western «Jauja» mit Viggo Mortensen.
Die Spezialprogramme sind diesmal zwei Randfiguren des Kinos gewidmet, die auch musikalisch tätig sind. Erstens: der finnische Bastler Mika Taanila, der als jugendlicher Punk in einer Band namens Swissair spielte. Heute dreht er skurrile Filme über gescheiterte Experimente, fussballspielende Roboter und die futuristischen Träume von vorgestern. Zweitens: der Brite Peter Strickland, der in «The Duke of Burgundy» erlesenen Softcore-Fetischismus im historischen Kleid pflegt, mit Sidse Babett Knudsen («Borgen») als zweifelnder Domina. Beide Ehrengäste werden auch konzertant aufspielen: Strickland zeigt mit The Sonic Catering Band, wie man Essen zum Klingen bringt, und Taanila präsentiert eine multimediale Rockoper.
5. Bildrausch-Filmfest in: Basel, diverse Orte. Mi–So, 27.–31. Mai 2015. www.bildrausch-basel.ch
Florian Keller
Videoex in Zürich
«Die wichtigsten Dinge wollen unsichtbar bleiben. Liebe ist unsichtbar. Krieg ist unsichtbar. Kapital ist unsichtbar», erklärt eine Stimme im Video «How Not to Be Seen» von Hito Steyerl, Künstlerin, Filmemacherin, Theoretikerin, Aktivistin. Mit ihrer starken, berührenden Bildsprache ist Steyerl bei der diesjährigen Ausgabe des Videoex-Festivals in guter Gesellschaft. Beim einzigen Filmfestival der Schweiz, das sich ganz dem Experimentalfilm widmet, werden aus über 1500 Einsendungen die besten Arbeiten internationaler Filmemacher und KünstlerInnen prämiert.
Neben Arbeiten des 1992 verstorbenen US-amerikanischen Avantgarde-Filmemachers Gregory J. Markopoulos sind ausgewählte KünstlerInnen aus Portugal wie etwa João Maria Gusmão und Pedro Paiva mit ihren verstörend intensiven Kurzfilmen zu Gast. Ebenso die international bekannte Schweizerin Elodie Pong. Und als wären diese Gustostücke des Experimentalfilms noch nicht genug, gibt es ein vielfältiges Rahmenprogramm mit Live-Acts, Workshops und vielem mehr. Es wäre bedauerlich, bei diesem Anlass durch Unsichtbarkeit zu glänzen!
Videoex in: Zürich, Festivalzentrum Kunstraum Walcheturm, Festivalkino Cinema Z3, Kanonengasse 20, Sa, 23. Mai 2015, bis So, 31. Mai 2015. Filme, Bar, Tickets und Installationen täglich ab 16 Uhr. Mehr Infos: www.videoex.ch.
Stephanie Danner
Theater
Neumarkt im Exil
Es tut sich was in der Nachbarschaft der WOZ-Redaktion. Die Preise der Wohnungen hoch oben in den Escherterrassen sind zwar immer noch so überrissen, dass ein Grossteil davon leer steht, und auf dem alten Tramdepot, wo dereinst zwei städtische Hochhäuser in den Himmel wachsen sollen, wächst bis jetzt erst Unkraut. Aber ebenerdig wurde bereits fleissig gebaut, auf kleiner Scholle: Pukapuka heisst die Baracke, die in den letzten Tagen neben dem Tramdepot auf dem Escher-Wyss-Platz aufgestellt wurde, als Insel im Alltag, eingezwängt zwischen Verkehrsknotenpunkt und begradigtem Flusslauf. Es ist das temporäre Exil des Theaters Neumarkt, das hier zwei Wochen lang unter Einmischung zahlreicher Gäste das «Draussen» erforscht.
Eröffnet wird die urbane Oase mit einem Richtfest, dann zeigt die Berliner Puppenbühne Das Helmi unter anderem «Rocky», einen verzerrten «Ödipus» und eine Schnellschussversion von Dürrenmatts «Panne». Und draussen neben der Baracke haust als geladener Clochard mit Schreibauftrag der «Vice»-Journalist Benjamin von Wyl. Was wird er da tun? «Essen und schlafen, vielleicht auch fischen und masturbieren.» Wenn dir mal kalt ist, lieber Benjamin, darfst du gern zu uns rüber an die Wärme kommen. Aber nicht zum Masturbieren, das machen wir lieber selbst.
Pukapuka in: Zürich beim Tramdepot auf dem Escher-Wyss-Platz, Do, 21. Mai 2015, bis Do, 4. Juni 2015. www.theaterneumarkt.ch
Florian Keller