Kommentar von Yves Wegelin: Erben mit Vernunft

Nr. 22 –

Entgegen aller bürgerlichen Polemik: Die Erbschaftssteuer ist gerecht. Von ihr profitieren die kleinen Leute.

Zuerst die schlechte Nachricht: In den kommenden Jahren wird das Geld in den öffentlichen Kassen knapp. Der AHV droht eine Schieflage, dem Bund sind letztes Jahr die Einnahmen eingebrochen, und die laufende Unternehmenssteuerreform III wird den Fiskus Milliarden kosten. Die gute Nachricht: Am 14. Juni kommt die Erbschaftssteuer an die Urne. Erbschaften an direkte Nachkommen sollen ab einem Freibetrag von zwei Millionen Franken mit zwanzig Prozent besteuert werden. Dies würde laut neusten Schätzungen jährlich bis zu sechs Milliarden Franken in die Kassen spülen. Zwei Drittel des Geldes gingen an die AHV, ein Drittel an die Kantone.

Darüber hinaus ist die Erbschaftssteuer vernünftig, gerecht, und sie würde lediglich die Reichsten des Landes treffen.

Vernünftig ist sie, weil sie einer der gefährlichsten Entwicklungen unserer Zeit entgegenwirken würde: Seit dem 19. Jahrhundert waren die Vermögen weltweit nie mehr so ungleich verteilt wie heute, wie der Ökonom Thomas Piketty in seinem tausendseitigen Werk gezeigt hat. Die Schweiz steht punkto Ungleichverteilung unter den Industriestaaten gar an der Spitze. Die reichsten zwei Prozent besitzen hierzulande inzwischen die Hälfte des Gesamtvermögens. Ursache dafür sind nicht zuletzt Steuerreformen, mit denen die Vermögenden sukzessive entlastet wurden: Seit 1999 ist der Anteil der Steuern aus Vermögen an den Schweizer Gesamteinnahmen von 9,4 auf 6,6 Prozent gefallen. Gleichzeitig wurde die Mehrwertsteuer erhöht, die die Mittelschicht und die kleinen Leute schröpft.

Gefährlich ist die wachsende Vermögensungleichheit, weil sie die Demokratie aushöhlt. Geld ist Macht. Gerade im aktuellen Abstimmungskampf hämmern die GegnerInnen den Menschen mit einer millionenschweren Plakatkampagne tagtäglich die Behauptung in den Kopf, die Erbschaftssteuer gefährde ihre Arbeitsplätze. Gefährlich ist die Ungleichheit aber vor allem, weil sie den Zusammenhalt der Gesellschaft bedroht.

Die Erbschaftssteuer ist gerecht, weil die rund sechzig Milliarden Franken, die in der Schweiz jedes Jahr geerbt werden, einen Grundwert der Aufklärung verletzen: dass anders als im Feudalismus jedes Individuum – egal welcher Familie es entstammt – mit denselben Voraussetzungen ins Leben starten soll. Nebst Linken haben deshalb seit jeher auch Liberale für die Erbschaftssteuer plädiert, darunter sogenannt ordoliberale Nachkriegsökonomen wie Alexander Rüstow, auf die sich die NZZ gerne beruft. Entsprechend waren auch in der bürgerlichen Schweiz kantonale Erbschaftssteuern für direkte Nachkommen bis Ende der neunziger Jahre eine feste Institution, bevor sie dem Steuerwettlauf zum Opfer fielen.

Während bei Liberalen wie meinem Grossvater Bücher Rüstows auf den Nachttischen lagen, ist unter heutigen Bürgerlichen der Liberalismus zu einer primitiven Formel geschrumpft: weniger Steuern. Die Mehrheit unter ihnen ist gegen die Initiative. Ihr Totschlagargument: Die Erbschaftssteuer schade den KMUs, da sie ihnen im Fall einer Vererbung Mittel entzöge. Das ist schlicht Unsinn. Der Initiativtext sieht dafür einen höheren Freibetrag vor. Und festgesetzt würde dieser von der bürgerlichen Parlamentsmehrheit. Mit einem Freibetrag von fünfzig Millionen, wie ihn die InitiantInnen vorschlagen, wäre kein KMU betroffen. Das hat selbst der KMU-Verband Schweiz der WOZ bestätigt (siehe WOZ Nr. 16/2015 ).

Die Absicht hinter dieser Polemik ist offensichtlich: Die GegnerInnen wollen den Mittelstand für sich gewinnen. Von der Erbschaftssteuer würden jedoch lediglich die Nachkommen jener knapp zwei Prozent Reichsten im Land getroffen, die über mehr als zwei Millionen Franken Reinvermögen verfügen. Der Mittelstand müsste keinen Rappen bezahlen. Im Gegenteil: Die Erbschaftssteuer würde die übrig gebliebenen kantonalen Erbschaftssteuern für weitere Nachkommen ersetzen, die bereits KleinsterbInnen mit hohen Sätzen belasten.

Vor allem aber würden der Mittelstand und die kleinen Leute von den bis zu sechs Milliarden Franken profitieren, die an AHV und Kantone gingen. Damit würden sie ein Stück weit von den Einschnitten bewahrt, die zur Sanierung der öffentlichen Kassen bevorstehen.