Kommentar: Sexarbeit: Noch regiert die Doppelmoral

Nr. 24 –

Der Bundesrat distanziert sich in einem aktuellen Bericht von der prominenten «‹Emma›-Linie» – der Forderung von Alice Schwarzer nach einem Verbot der Prostitution und folglich einer Verdrängung des Gewerbes in den unkontrollierten Untergrund. Damit stellt sich der Bundesrat auch gegen ein von einer Allianz aus christlichen FundamentalistInnen und gewissen linken FeministInnen gefordertes Prostitutionsverbot. Der Bericht mit dem Titel «Prostitution und Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung» soll dem Parlament im Umgang mit dem Sexgewerbe als Diskussionsgrundlage dienen.

Mit seiner Linie stellt sich der Bundesrat gegen die Stigmatisierung aller SexarbeiterInnen als Opfer von Gewalt und Menschenhandel. Das ist gut: Sexarbeit ist zu einem erheblichen Teil ein Gewerbe wie jedes andere auch – mit in der Tat prekären Arbeitsbedingungen. Bei den Details hört die Freude über den Bericht aber auf: Er ist voller Widersprüche, als würde der Bundesrat es gutschweizerisch allen Seiten recht machen wollen. Denn obwohl er die Legalität des Gewerbes befürwortet, schlägt er Reglementierungen vor, die einer teilweisen oder indirekten Kriminalisierung gleichkommen und nicht dafür sorgen werden, dass sich die Arbeitsbedingungen bessern.

Zum Beispiel mit dem «Verbot des Lebensunterhalts aus der Prostitution anderer». Oder dem «Verbot oder [der] Begrenzung der Prostitution im öffentlichen Raum»: Wie soll eine alleinerziehende Mutter ihrem Sohn das Studium finanzieren, wenn dieser sich durch das Verwenden des Geldes strafbar macht? Warum will man eine Begrenzung des Gewerbes? Und wie wäre das möglich, wenn nicht mit hohen reglementarischen Hürden, die schon jetzt viele Frauen zum Abtauchen in rechtliche Grauzonen zwingen und im Gewerbe zu Wuchermieten führen?

2015 gibt in der Sexarbeit noch immer die Doppelmoral den Ton an: Das ist das ernüchternde Fazit nach Lektüre des Berichts. Man tut sich schwer mit der Entstigmatisierung, konsequenten Anerkennung und Besserstellung des Gewerbes. Bleibt zu hoffen, dass VertreterInnen aus dem Gewerbe sowie Institutionen wie die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) bei der Debatte im Parlament keine Randfiguren bleiben, wie es im Bericht der Fall ist.