Kultour
Festival
Fantastische Filme in Neuenburg
Genrefilme sind nur was für Jungs, und das Schweizer Kino hat auf dem Gebiet der Fantastik sowieso nichts zu bieten? Beides Vorurteile, die in Neuenburg mit schöner Regelmässigkeit widerlegt werden. Das Neuchâtel International Fantastic Film Festival (oder zackiger: NIFFF) war in der Schweiz das erste grössere Filmfest mit einer Frau an der Spitze: Anaïs Emery, die schon im Gründungsteam dabei war und am NIFFF inzwischen seit zehn Jahren als künstlerische Direktorin waltet. Und sie macht manchmal Dinge, die anderen Festivals nicht im Traum einfallen würden: Für den diesjährigen Wettbewerb versammelt sie eine internationale Jury, die ausschliesslich aus Frauen besteht. Mit dabei: die neuseeländische Stuntfrau Zoë Bell, der Quentin Tarantino mit «Death Proof» (2007) einst eine filmische Liebeserklärung gewidmet hat.
Unter den vierzehn Filmen im Wettbewerb findet man immerhin zwei Regisseurinnen: Karyn Kusama («Girlfight») mit ihrem Kammerspiel «The Invitation» und Anouk Whissell als Teil des Regietrios von «Turbo Kid». Ebenfalls im Wettbewerb mit dabei sind Samuel Schwarz und Julian M. Grünthal («Mary & Johnny»). Ihr wahnwitzig ambitiöser neuer Film «Polder» ist angesiedelt an der Schnittstelle, wo das Game in die Wirklichkeit schwappt (und umgekehrt). Fast schon ein Stammgast am NIFFF ist der Zürcher Mathieu Seiler («Der Ausflug»), der für seinen neuen Film «True Love Ways» abermals die Wälder im Umland seiner Berliner Wahlheimat als Schauerkulisse nutzt. Und auch zur Eröffnung läuft erstmals ein Schweizer Film – auch wenns nur die Premiere der Webserie «HELLvetia» ist, des Westschweizer Pendants zu «Güsel». Statt um Abfalldetektive gehts da um zwei Blogger, die unerklärlichen Phänomenen in der Schweiz nachspüren.
15. Neuchâtel International Fantastic Film Festival in: Neuenburg verschiedene Orte, Fr, 3., bis Sa,11. Juli 2015. www.nifff.ch
Florian Keller
Hinterhalt
In Uster hat man der Zeit noch nie einfach so ihren Lauf gelassen. Als die Fabrikherren hier 1832 mechanische Webstühle installieren wollten, legten die HeimarbeiterInnen Feuer in der Fabrik. Der Usterbrand war der bedeutendste Maschinensturm in der Schweiz. Heute boomt Uster als selbst ernannte «Wohnstadt am Wasser», doch ein aufrührerischer Geist ist noch immer zu spüren. Auf der Brache «Kern Süd» im Ortszentrum wird demnächst ein weiteres Hochhaus errichtet. Bevor es so weit ist, haben die OrganisatorInnen des Hinterhalt Festivals einen Pavillon auf dem Gelände als Schaltzentrale eingerichtet und achtzig KünstlerInnen zu einem Stelldichein geladen.
Konzerte, Theater und Kunst sollen das Areal zu einer Spielwiese machen und die Erwartungen des Publikums brechen – aus dem Hinterhalt agieren eben: Das Trio Saloniki Express singt zu griechischem Rembetiko von krummen Geschäften und gebrochenen Herzen. Attwenger fragen in den Songs ihres neuen, grossartigen Albums «Spot» nach dem Ende der bekannten Welt. Gerhard Meister bläst die Posaune, Anna Trauffer liest Geschichten, gemeinsam fordern sie in ihrem Theaterstück: «Use usem Uterus». Pascal Claude lässt Fussballschallplatten drehen, und das Duo Hell und Schnell wagt einen pyropatriotischen Hosenlupf. Es gibt auf der Brache Liegestühle für alle, Essen aus dem Quartier und selbstverständlich Kinderprogramme. Kurzum: All das klingt nach einem verrückten, vergnügten Stadtfest, wie man es sich besser nicht ausdenken kann. Gut, fährt die S-Bahn von Zürich alle zehn Minuten in den Hinterhalt.
Hinterhalt Festival in: Uster auf der Brache «Kern Süd», Fr–So, 3.–5. Juli 2015. www.hinterhalt.ch
Kaspar Surber
Literatur im Botanischen Garten
Der Briefwechsel zwischen dem chinesischen Punkmusiker Jian und seiner Freundin Mu steht im Zentrum von Xiaolu Guos neuem Roman «Ich bin China». Jian musste China verlassen, warum, erfahren die LeserInnen im Laufe des Buchs, das einen eindrücklichen Einblick in das Leben zweier junger ChinesInnen in einer globalisierten Welt sowie einer englischen Übersetzerin gibt.
Guo, zurzeit als Artist in Residence im Literaturhaus in Zürich, liest aus ihrem in englischer Sprache verfassten Buch am Openair Literatur Festival Zürich im Botanischen Garten. Weitere Gäste sind der Monty-Python-Star John Cleese, der am ausverkauften Eröffnungsabend aus seiner Autobiografie «Wo war ich noch mal» liest, die russischen Autoren Victor Jerofejew und Michail Schischkin, ausserdem Wladimir Kaminer, Sven Regener sowie Ruth Schweikert, die ihren Roman «Wie wir älter werden» vorstellt.
Openair Literatur Festival in: Zürich Botanischer Garten, Mo–So, 6.–12. Juli 2015. Türöffnung 19.30 oder 19 Uhr. www.literaturopenair.ch
Silvia Süess
Viel Geist und frische Luft
Wo befinden wir uns, wenn der Schweizer Dramatiker Lukas Bärfuss und der österreichische Philosoph Konrad Paul Liessmann über das Verschwinden der Wissensgesellschaft diskutieren und es sich trotzdem ein bisschen nach Sommerfrische anfühlt? Es kann nur ein Ort sein: das internationale Literaturfestival Leukerbad, das dieses Jahr sein 20. Jubiläum feiert.
Neben speziellen Formaten wie literarischen Spaziergängen in der Dalaschlucht, Mitternachtslesungen oder einem literarischen Abend in der Alpentherme sind es auch die AutorInnen aus elf Ländern, die das Festival in der einzigartigen Atmosphäre von Leukerbad zu etwas Besonderem machen. So wie die aus Deutschland stammende Barbara Lehmann, die als Reporterin in Krisengebieten, als Dramaturgin, Kritikerin, Moderatorin und nun als Romanautorin nicht nur politische Weitsicht beweist, sondern auch eine tiefe Einsicht in die menschliche Psyche gibt. Oder der ukrainische «literarische Feuerwerker» Serhij Zhadan, der in seinen urbanen Werken ohne grosse Nostalgie eine scharfe Beobachtungsgabe mit intensiver Atmosphäre verbindet. Viel Geist, viel frische Luft, viel zu hören, zu sehen, zu lesen und zu denken.
Internationales Literaturfestival Leukerbad in: Leukerbad Fr–So, 3.–5. Juli 2015. Fr und Sa ab 9.30 Uhr, So ab 10 Uhr. www.literaturfestival.ch
Stephanie Danner
Fotografie
Steve McCurry
Kaum einer kennt es nicht, das Foto von Sharbat Gula, dem «Afghanischen Mädchen» mit den leuchtend grünen Augen. Im Juni 1985 zierte es den Titel des «National Geographic»-Magazins und schrieb sich ins kollektive Bildgedächtnis ein. Zu Weltruhm hatte es der US-Amerikaner, der das ihm unbekannte Mädchen in einem Flüchtlingslager in Pakistan fotografierte, allerdings schon vorher gebracht. Steve McCurry gilt bis heute als einer der einflussreichsten und aussergewöhnlichsten Fotojournalisten weltweit. Ende der siebziger Jahre erregte er mit Bildern aus dem besetzten Afghanistan Aufsehen. In traditionelle afghanische Kleidung gehüllt, schmuggelte er sich damals ins Land und konnte so als einer der Ersten die sowjetische Intervention fotografisch dokumentieren. Für diesen Einsatz wurde er 1980 mit der Robert Capa Gold Medal ausgezeichnet, es sollten noch viele weitere Ehrungen folgen.
Der 1950 geborene McCurry hat sich mit seiner Kamera immer wieder an zahlreiche Schauplätze internationaler Krisen und Bürgerkriege gewagt und hat Fotografien von seltsamer Schönheit mitgebracht: Eindrücke aus dem Iran-Irak-Krieg, aus Beirut, Kambodscha oder dem ehemaligen Jugoslawien, um nur einige zu nennen. Das Museum für Gestaltung präsentiert nun in der Ausstellung «Fotografien aus dem Orient» noch nie publizierte Werke, Filme und Interviews des Ausnahmefotografen.
Steve McCurry: «Fotografien aus dem Orient» in: Zürich Museum für Gestaltung, Schaudepot, Toni-Areal, Pfingstweidstrasse 96, Fr, 3. Juli, bis So, 18. Oktober 2015, Di–So, 10–17 Uhr, Mi, 10–20 Uhr. Vernissage: Do, 2. Juli 2015, 19 Uhr. www.museum-gestaltung.ch
Stephanie Danner