Personenrätsel: Der widerspenstige bayerische Pazifist

Nr. 27 –

«Mir ist – um mit Gorki zu reden – ‹mein Sozialismus von Kind an auf den Rücken geprügelt worden›. Das hat mich (…) zwangsläufig zum Rebellen gemacht», sagte der 1894 am Starnberger See geborene Bäckerssohn einmal. Als Heranwachsender stand er unter der Knute des ältesten Bruders, der, vom Militärdienst verkorkst, den Betrieb des früh verstorbenen Vaters weiterführte. Mit siebzehn hatte er genug von dessen Schlägen, er wollte Schriftsteller werden und verschwand nach München. Dort fand er Anschluss an die anarchistischen Kreise um Erich Mühsam. Er engagierte sich in dessen Gruppe Tat, begann, für die sozialistische Presse zu schreiben und verbrachte mit seinen neuen FreundInnen auch einige Monate in der Künstlerkolonie auf dem Monte Verità.

Dem Ersten Weltkrieg konnte der Pazifist sich nicht entziehen. Zu Eisenbahnarbeiten rekrutiert und mehrfach verwundet, gelang es ihm jedoch – dank Befehlsverweigerung, Hungerstreik und einer glaubhaft inszenierten Kriegsneurose –, 1916 als dienstuntauglich entlassen zu werden. Er nutzte die Zeit zum Schreiben – Gedichte und erste Erzählungen erschienen – und zur politischen Agitation: Sein Engagement beim MunitionsarbeiterInnenstreik und bei der Münchner Räterepublik führten zu kurzen Gefängnisaufenthalten; seine Wohnung wurde durchsucht, Manuskripte beschlagnahmt. Danach sorgte er als Dramaturg der Arbeiterbühne dafür, dass durch rauschende Feste Geld in die klammen Kassen gespült wurde.

Als 1933 die Nationalsozialisten den inzwischen arrivierten Schriftsteller für sich vereinnahmen wollten, protestierte er lautstark. Er wurde ausgebürgert, seine Bücher verbrannt. Von nun an staatenlos, ging er in die USA, vernetzte dort die deutsche Exilgemeinde und blieb auch – obwohl er nie richtig Englisch lernte –, als der Krieg längst vorüber war: In die BRD mit ihrem «wiedererwachten engstirnig-provinziellen deutschen Tüchtigkeitsprotzertum, gepaart mit der durchgehenden spiessbürgerlich-nihilistischen Prasserstimmung», wollte er nicht wieder zurück. 1967 starb der passionierte Lederhosenträger in New York.

Wer war der wortgewaltige Asthmatiker, der angeblich 500 Reichsmark erhielt, damit er sich, um Verwechslungen auszuschliessen, einen zweiten Vornamen zulegte?

Wir fragten nach dem deutschen Schriftsteller, Sozialisten und Pazifisten Oskar Maria Graf (1894–1967). Seinen schriftstellerischen Durchbruch brachte 1927 «Wir sind Gefangene», eine autobiografische Chronik der Münchner Räterepublik. Kurios war seine Vereinnahmung durch die Nazis: Obwohl sie dem «Kriegsdrückeberger» zuvor noch den Galgen zugedacht hatten, stand er 1933 plötzlich auf ihrer Liste der empfohlenen SchriftstellerInnen. «Diese Unehre habe ich nicht verdient!», empörte er sich öffentlich und verlangte, dass seine Bücher ebenfalls verbrannt wurden. Man kam seinem Wunsch nach. Graf verfasste unter anderem drei Gedichtbände, elf Romane und vierzehn Erzählbände. Als sein Meisterwerk gilt der Roman «Das Leben meiner Mutter» (1940).