Kultour

Nr. 28 –

Film

Tierisches im Xenix

Man muss sich nur ein bisschen umsehen. In der vollen Bar, im Tram oder während einer hitzigen Diskussion; ab und an reicht auch schon ein Blick in den Spiegel, um sich eines zu vergegenwärtigen: Ob Affe, Spatz oder DoktorIn der Philosophie – wir alle stammen vom Pantoffeltierchen ab. Dies feiert nun das Kino Xenix mit dem kommenden Monatsprogramm. Die Filmreihe «Das Tier in mir», konzipiert vom Fotomuseum Winterthur anlässlich der Ausstellung «Beastly/Tierisch», bietet erlesene Werke um die Tiefen und Höhen des Animalischen im Menschen und des Menschlichen im Tier. Dabei sind unter anderem Jack Garfeins «Something Wild» (1961), Horrorklassiker wie «Cat People» (1942) von Jacques Tourneur und David Cronenbergs «The Fly» (1986) oder auch neuere Glanzstücke wie Jonas Alexander Arnbys «When Animals Dream» von 2014. Viele Gelegenheiten also, um begeistert mit den Hufen zu klatschen und sich zwischendurch in das kühle Dunkel des Kinosaals zurückzuziehen.

«Das Tier in mir» in: Zürich Kino Xenix, Kanzleistrasse 52, 9. Juli 2015 bis 26. August 2015. 
www.xenix.ch

«Beastly/Tierisch» in: Winterthur 
Fotomuseum, Grüzenstrasse 44/45, 
bis 4. Oktober 2015. www.fotomuseum.ch

Stephanie Danner

Solarkino

Sie eroberte im Sturm alle Herzen: «Amélie de Montmartre». Jean-Pierre Jeunets Film um die junge Pariserin Amélie Poulain, deren Ziel es ist, andere glücklich zu machen, verzauberte vor bald fünfzehn Jahren die KinogängerInnen. Audrey Tautou wurde als Amélie weltberühmt, und auch die Filmmusik von Yann Tiersen spielte sich in aller Ohren. Nun ist der Film unter freiem Himmel im Eichholz in Wabern bei Bern zu sehen.

Einmal mehr zieht das Cinéma Solaire durch die Schweiz und macht ein paar Tage in der Hauptstadt halt. Reto Schmid und Christof Seiler haben das solarbetriebene Kino im Jahr 2007 gebaut: Tagsüber wird mit Solarzellen Sonnenlicht eingesammelt und in der Lichtspeicherkiste zwischengelagert. Am Abend wird das Licht wieder durch das Projektorobjektiv freigelassen. Unterwegs sind die beiden jeweils ohne Auto: Sie transportieren das ganze Material mit ÖV und Velo.

Neben Amélie sind mit Silvester Stallone als «Rocky» (1976, Regie John G. Avildsen) und Jack Nicholson als Randle Patrick McMurphy aus «One Flew Over the Cuckoo’s Nest» (1975, Regie Milos Forman) weitere Kinokultfiguren im Eichholz zu Gast.

Cinéma Solaire in: Wabern bei Bern Eichholz, 
Do, 9. Juli 2015, «Rocky»; Fr, 10. Juli 2015, «One Flew 
Over the Cuckoo’s Nest»; Sa, 11. Juli 2015, 
«Amélie de Montmartre», jeweils ab 21.30 Uhr. Sitzgelegenheiten selber mitbringen. 
www.cinema-solaire.ch

Silvia Süess

Ausstellung

Vom Recht auf Doppelzüngigkeit

Die Stimme als politisches Instrument muss neu entdeckt werden – das zeigen die Arbeiten des jungen jordanischen Künstlers und Wissenschaftlers Lawrence Abu Hamdan immer wieder. Mit audiovisuellen Installationen, Performances oder forensischen Tonanalysen untersucht Abu Hamdan, welches Recht die Stimme im Zeitalter weltumspannender Abhörtechnologien und insbesondere im Kontext von Migrationspolitik und Grenzüberwachung für sich in Anspruch nehmen kann. Seine forensischen Audiountersuchungen sind Teil eines Forschungsprojekts über forensische Architektur am Goldsmith College in London, seine künstlerischen Arbeiten haben unter anderem Eingang in die Sammlung des Museum of Modern Art in New York gefunden.

Jetzt kommt Lawrence Abu Hamdan mit seiner bisher grössten Einzelausstellung in die Kunst Halle Sankt Gallen. Im Zentrum steht die «Taqiyya» – ein Teil der islamischen Rechtsprechung, die von Glaubensgemeinschaften wie den Drusen bis heute praktiziert wird und eine Art diplomatische Immunität beinhaltet: Wer verfolgt wird und sich in einem staatenlosen Zustand befindet, darf unter diesen Umständen nicht nur seinen Glauben leugnen, sondern sogar Straftaten begehen. Aussagen, die mit Berufung auf die Taqiyya gemacht werden, stehen also gleichzeitig innerhalb und ausserhalb des Rechts. Das versucht Abu Hamdan in einer Vielfalt von Kontexten und ästhetischen Praktiken zu veranschaulichen.

In der Arbeit «Conflicted Phenomenes» etwa geht es um eine Kartografie von Akzenten. Mit ihrer Hilfe führt Abu Hamdan vor Augen, wie absurd die gängige Praxis vieler Asylbehörden ist, die Aussprache einzelner Silben als Beweis für die Herkunft eines Flüchtlings nehmen zu wollen.

«Taqiyya – The Right to Duplicity» in: St. Gallen Kunst Halle Sankt Gallen, Vernissage am Fr, 10. Juli 2015, 18 Uhr. Gespräch mit Lawrence Abu Hamdan am Sa, 11. Juli 2015, 12 Uhr. 11. Juli 2015 bis 13. September 2015. 
www.kunsthallesanktgallen.ch

Franziska Meister

Unsichtbar werden

Unsichtbarkeit als Waffe, als Mittel des Widerstands – wann war die Sehnsucht danach grösser als heute im Zeitalter des gläsernen Menschen, in der Allgegenwart von User-Tracking und GPS-Ortungsdiensten?

In der von Mythen und Sagen durchwucherten Welt des Harry Potter ist der Unsichtbarkeitsumhang eine seiner stärksten Waffen. Selbst dem mächtigsten der bösen Magier kann er damit am Ende ein Schnippchen schlagen.

Im Unterschied zu Potter müssen wir den Umhang allerdings unseren Tablets und Smartphones umwerfen statt uns selbst. Und dazu braucht es glücklicherweise keine Magie, sondern nur ein bisschen You-know-how im Kampf gegen You-know-who: Im Haus der elektronischen Künste Basel heisst es während der gesamten Laufzeit der Ausstellung «Poetics and Politics of Data» «Kill Your Phone!»: Im offenen Workshopformat des Künstlers Aram Bartholl, der auch in der Ausstellung vertreten ist, sind alle BesucherInnen eingeladen, sich eine eigene funksignalblockierende Handytasche anzufertigen. Einmal von so einer Tasche umhüllt, kann das eingeschaltete Handy weder senden noch empfangen. Und vielleicht ist das ja doch ein bisschen Magie in unserer zunehmend datenraffenden Welt, wenn man sagen kann: Ich bin dann mal unsichtbar!

«Poetics and politics of Data» in: Basel Haus der elektronischen Künste, Freilager-Platz 9, bis 30. August 2015. Das Workshopformat «Kill Your Phone!» läuft während der regulären Öffnungszeiten. Materialkosten 2 Franken. www.hek.ch

Stephanie Danner

Kunst

Junge Kunst in Ernen

«Der Berg macht blöd», sagte einst der Filmemacher Peter Liechti, dabei war er, wenn er ins Gebirge ging, selbst der stärkste Beweis, dass das nicht stimmen kann. Heute macht der Berg immer öfter auch Ausstellungen, und gar nicht mal so blöde dazu. «Zur frohen Aussicht» heisst das jüngste Beispiel, und was dem Namen nach gut und gerne auch eine neue Zürcher Hipsterbar sein könnte, ist gewissermassen der junge Gegenentwurf zu prominent bestückten alpinen Kunstevents, die in Gstaad und anderswo ja immer auch mit grossen Namen den Tourismus ankurbeln sollen. Wie ironisch der frohe Titel gemeint sein könnte, das werden die Arbeiten der sieben beteiligten KünstlerInnen zeigen, die ab dem 12. Juli das Walliser Bergdorf Ernen, den Vorposten zum Binntal, mit ihren Interventionen heimsuchen werden.

Zum Beispiel Remo Stoller, der sich, ausgehend von lokalen Schmugglerpfaden, abenteuerliche Geschichten ausdenkt, die sich in die Haushalte in Ernen einschleichen. Oder Flurina Badel und Jérémie Sarbach, die Siebdrucke aus Blütenpollen erstellen, und Raphael Stucky, der bei den Recherchen zu seiner Arbeit «Camouflage» darauf gestossen ist, dass bekannte Künstler der Moderne im Ersten Weltkrieg als Tarnfarbenmaler eingesetzt wurden. Und weil das heute zu jeder kuratorischen Arbeit dazugehört, ist die Selbstkritik zu dieser Art von alpiner Kunstschau auch in Ernen schon mit eingebaut: Am 9. August geht ein Podium der Frage nach, ob der Trend, die Kunst in die Berge zu tragen, vielleicht auch nur eine Modeerscheinung unserer digital gestressten Gesellschaft sei. Wir vermuten mal: nicht nur, aber schon auch.

«Zur frohen Aussicht» in: Ernen VS 
diverse Orte. So, 12. Juli 2015, bis Sa, 22. August 2015. 
www.zurfrohenaussicht.org

Florian Keller