Kultour
Kino
11. Zurich Film Festival
Ja, der Arnold Schwarzenegger wird für sein Lebenswerk geehrt, aber das ist natürlich kein ausreichender Grund, um das Zurich Film Festival nicht ernst zu nehmen. Unter den diesjährigen Ehrengästen findet sich ja auch der britische Altmeister Mike Leigh, dem eine grosse Retrospektive gewidmet ist. Der schwer bepackte Terminator aus der Steiermark und der agile Improvisator aus Manchester: So halten sich Masse und Klasse irgendwie hübsch die Balance.
Im internationalen Wettbewerb gibts ein spätes Wiedersehen mit der Westschweizer Regisseurin Ruxandra Zenide: Zehn Jahre nach «Ryna» entwirft die gebürtige Rumänin in «The Miracle of Tekir» ein bildmächtiges Drama über Fruchtbarkeit und Aberglauben. Ebenfalls im Wettbewerb zeigt Micha Lewinsky sein Familiendrama «Nichts passiert» mit Max Hubacher und Devid Striesow. Die Dokumentarfilme drehen sich um die dunkle Seite von Internet und Staatsgewalt («Deep Web»), um die Frage nach der Endlagerung radioaktiver Abfälle («Containment») oder um den US-Neonazi Craig Cobb, der ein Kaff in North Dakota mit Gewalt zu einer reinrassigen Bastion für weisse Herrenmenschen machen wollte («Welcome to Leith»).
Die Reihe «Neue Welt Sicht» ist dem aktuellen iranischen Kino gewidmet, ein weiteres Spezialprogramm feiert die neue Generation französischer Regisseurinnen um Céline Sciamma und Rebecca Zlotowski («Nouvelle Vague au féminin»). Und wer zwischen zwei Filmen doch gerne mal grossen Künstlern zuhört, die frei von Schaumschlägerei überaus gescheit über Kino reden können, sollte zwei Master Classes nicht verpassen: Am 3. Oktober ist Mike Leigh zu Gast im Filmpodium, schon am 29. September spricht dort der US-Regisseur Todd Haynes, der in seinem neuen Edelmelodram «Carol» eine heimliche Liebe zwischen Cate Blanchett und Rooney Mara orchestriert.
11. Zurich Film Festival in: Zürich diverse Orte, Do, 24. September 2015, bis So, 4. Oktober 2015. www.zff.com
Florian Keller
Theater
Konzentriert bis zum letzten Schuss
«Wenn die Geschichte wahr ist, hätten Sie besser zielen sollen», sagt der Buchverleger. Diese Geschichte, sie handelt vom Aufeinandertreffen zweier Soldaten im russischen Bürgerkrieg von 1917 bis 1921. Der eine kommt auf einem schwarzen Gaul auf eine Waldlichtung, der andere auf einem weissen Hengst, der andere zieht das Gewehr, der eine die Pistole – und schiesst. Der eine, ein Weissgardist, meint, der andere, ein Rotgardist, sei tot, und raubt ihm den Hengst und reitet davon.
Der eine kann die Geschichte nie vergessen, die Begegnung mit dem Tod schreibt sich tief in seine Biografie ein. Immer wieder kehren seine Gedanken zurück in die flirrende Hitze jenes Tages. Im Exil in Paris kommt ihm Jahre später ein Buch in die Hand, in dem ein gewisser Alexander Wolf genau diese Geschichte aus der umgekehrten Sicht erzählt – und wie er sie schwer verletzt überlebt hat. Der eine macht sich nun auf die Suche nach Wolf, fragt erst einmal beim Verleger nach: «Wenn die Geschichte wahr ist, hätten Sie besser zielen sollen.»
Den einen spielt an diesem Theaterabend Thomas Sarbacher – und es tritt kein anderer auf im Zürcher Sogar-Theater. Sarbacher hält einen neunzigminütigen Monolog ohne Pause. In immer neuen Perspektiven kehrt er auf die Waldlichtung zurück, und in immer neuen Anläufen gelangt er zu Jelena Nikolajewna, jener geheimnisvollen Dritten, in die sich der eine wie auch der andere in Paris verliebt haben. «Das Phantom des Alexander Wolf» von Gaito Gasdanow, im Original auf Russisch 1947 erschienen und auf Deutsch erst vor drei Jahren, ist ein existenzielles Stück über den Krieg, die Gewalt und die Liebe. Regisseur Peter Schweiger bringt den Stoff konventionell, aber radikal auf die Bühne: Der Monolog von Sarbacher entwickelt einen ungeheuren Sog, der einen in die Geschichte hineinzieht – bis zum letzten Schuss.
«Das Phantom des Alexander Wolf» in: Zürich Sogar Theater, Do/Fr, 24./25. September 2015, 20.30 Uhr, Sa/So, 26./27. September 2015, 17 Uhr. www.sogar.ch
Kaspar Surber
Konzert
Jubiläum mit Space Schöttl
Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns noch fotokopierte Post aus der Vergangenheit. Darunter ein Konzertvertrag aus dem Jahr 1985, der Name der Band: Züri West. Als Gage waren fix 470 Franken vereinbart, unter «Übernachtung» der handschriftliche Vermerk: Massenlager. Kuno Lauener & Co. hätten damals vor zwanzig Leuten gespielt, so entnehmen wir dem Begleitbrief aus der Genossenschaftsbeiz Rössli in Mogelsberg. Jetzt feiert der örtliche Kulturverein sein 30-Jahr-Jubiläum, und dieses wird im «Rössli» mit zwei alten Bekannten begangen: Am Freitag kommt es zum Wiedersehen mit Ficht Tanner und Töbi Tobler vom Appenzeller Space Schöttl. Die einstige Hausband gastierte seit 1979 immer wieder in Mogelsberg. Das Konzert zum Jubiläum im «Rössli», so heisst es, soll eine einmalige Reunion bleiben.
Appenzeller Space Schöttl in: Mogelsberg Rössli, Fr, 25. September 2015, 20.15 Uhr. Reservation: 071 374 15 11 oder info@roessli-mogelsberg.ch.
Florian Keller
Bierfreunde, Staatsfeinde
«Besoffen in der Ecke liegen, nix mehr auf die Reihe kriegen, so scheissen wir gemeinsam auf die Welt.» So bringt die deutsche Punkrockband Knochenfabrik ihre Affinität zu Alkohol und der alten nihilistischen Punkparole «No Future» zum Ausdruck. Die Zeilen aus dem Lied «Filmriss» zeigen: Auf Punkkonzerten wird nicht nur fleissig getrunken, sondern das Bier wird auch besungen. Die zweite Deutschpunkband Bums wird in ihrem Antistaatslied «Räumt auf» ein wenig konkreter in der Gesellschaftskritik. So konkret, dass sich sogar der deutsche Staat für den Song interessierte, der in die legendäre CD-Reihe «Schlachtrufe BRD» aufgenommen wurde: Laut dem Verfassungsschutzbericht 2011 überschreitet die Punkband in «Räumt auf» «die Grenze zwischen Gesellschaftskritik und Gewaltverherrlichung».
Die Bier- und Gewaltverherrlicher wurden von der Oltner «Aktion Platz für alle» eingeladen, die seit mehr als zehn Jahren die örtliche Alternativkultur voranbringen möchte. Weiteren Punkrock gibts von Krank aus Zürich und Missstand aus Österreich zu hören. Wer also schon lange wieder mal ordentlich saufen, pogen und dabei noch eine lokale Kulturinitiative unterstützen möchte: auf nach Olten.
«Punk Night» in: Olten Schützi, Sa, 26. September 2015, 20 Uhr. www.schuetzi.ch
Rahel Locher
Buch
«Surprise»-Vernissage
Er war ein Teil unseres Quartiers: der «Surprise»-Verkäufer Res Ammann, der täglich durch die Berner Lorraine schlurfte, die Hose stets ein bisschen zu weit unten, und seine Hefte verkaufte und den Kindern Bonbons gab. Anfang Jahr ist er gestorben.
Dass der Tod ein enger Begleiter vieler «Surprise»-VerkäuferInnen ist, zeigt das Buch «Standort Strasse. Menschen in Not nehmen das Heft in die Hand» von Olivier Joliat. Darin lässt der Journalist zwanzig Menschen, die seit längerem in verschiedenen Schweizer Städten das Strassenmagazin verkaufen, aus ihrem Leben erzählen. Die Fotografien stammen von Matthias Willi, und Gastbeiträge gibt es von Daniel Binswanger, Knackeboul und anderen.
Ammann ist im Buch nicht porträtiert – zu früh wurde er vom Tod heimgesucht.
«Standort Strasse», Buchvernissage in: Basel Projektraum M54, Mörsbergerstrasse 54, Do, 24. September 2015, 18.30 Uhr; Zürich Buchhandlung im Volkshaus, Stauffacherstrasse 60, Mo, 28. September 2015, 19.30 Uhr.
Silvia Süess
Ausstellung
Zusammen
«Ensemble c’est tout» – so lautet der Titel einer Ausstellung, die Werke zeigt, an der Kunstschaffende mit und ohne Behinderung beteiligt waren. Im Kunstprojekt «Wir sind anders – Du auch!» von IWB (Integriertes Wohnen für Behinderte) haben sie in Zweier- oder Viererteams Videos, Bilder, Installationen und Zeichnungen erarbeitet. Diese sind nun im Kantonsspital Aarau zu sehen. Thema der Werke sind die gesellschaftliche Integration und neue Wahrnehmungen, die entstehen, wenn Menschen mit und ohne Behinderung den Alltag gemeinsam erkunden. Im Rahmenprogramm erzählt der Journalist und Übersetzer Stefan Zweifel von der Genese des Romans «Moravagine» von Blaise Cendrars, und der Ethnologe Urs Wickli referiert zum Thema Normativität.
«Ensemble c’est tout» in: Aarau Kantonsspital, Fr, 25. September 2015, 18 Uhr, Vernissage. Die Ausstellung dauert bis So, 29. November 2015, 16 Uhr. www.iwb-zh.ch
Silvia Süess